Arnon Grünberg: "Der Heilige des Unmöglichen"
Bittersüße
Traumwelten
Vor sechs Jahren ist Raffaella vor der Armut und Hoffnungslosigkeit mit
ihren beiden Söhnen in die USA geflohen, nachdem ihr Mann bei
einem Einbruch zu Tode gekommen ist.
Doch die Bilanz ihres Aufenthalts zeigt, dass sie ihr Ziel nicht
erreicht haben. Armut und Hoffnungslosigkeit sind ihre Begleiter
geblieben; Raffaella arbeitet als Bedienung in einem bescheidenen New
Yorker Café, ihre achtzehn- und neunzehnjährigen
Söhne Tito und Paul liefern Burritos und Chili Tacos aus.
Zusammengenommen reichen ihre Einkünfte nur für das
Notwendigste. Wenigstens haben die Jungen inzwischen das Gesetz der
Straße verstanden und müssen sich nicht mehr
verprügeln lassen. Die beiden fungieren in der Geschichte als
Erzähler und lassen den Leser an ihrer schüchternen
Schwärmerei für die Kroatin Kristin teilhaben, die
sie im Englischkurs kennen gelernt haben, und die sich mit einer Aura
des Mysteriösen umgibt. Tito und Paul sind von ihr hingerissen
und versuchen sich in linkischen Annäherungsversuchen.
Ihre noch recht junge und attraktive Mutter lebt weniger vom Einkommen
als Bedienung als von Zuwendungen ihrer zahlreichen Verehrer unter der
Kundschaft, die sie sich jedoch zumeist vom Leibe zu halten
weiß. Eines Tages wirft sie ihre Bedenken über Bord
und lässt zu, dass sie sich in Edward Krieg verliebt, der sich
als Schriftsteller ausgibt oder vielleicht wirklich einer ist, und der
sie auf poetische Weise umgarnt. Er setzt ihr den Floh ins Ohr, dass
sie unbedingt einen eigenen Burrito-Lieferservice aufbauen
müsse - ein Traum, dem das Gesundheitsamt rasch ein Ende setzt.
Zugleich hat auch die zarte Affäre der Söhne mit
Kristin eine dramatische und für die Jungen unbegreifliche
Wendung genommen. Während Raffaella, die um des kurzlebigen
Traumes willen leichtsinnig ihre Arbeit aufgegeben hat, die
Hoffnungslosigkeit der Lage akzeptiert und einen Umzug in Richtung
Westen plant, verharren Tito und Paul eingeschlossen in einer
Seifenblase aus träumerischer Hoffnung, die sie immer durch
Gebete zum Heiligen des Unmöglichen,
Antonius,
genährt haben.
Der in New York lebende jüdisch-holländische
Schriftsteller Arnon Grünberg ist ein Meister der Darstellung
des Grotesken. Einerseits stellt er die fast schon manische Suche
seiner Protagonisten
nach
einem Glück auf charmante Weise
einfühlsam, zart und humorvoll dar, andererseits
führt all dieses Pastell zwangsläufig in absurde
Sackgassen: Hinter der tiefen und scheinbar oder vielleicht auch
tatsächlich einfühlsamen Schilderung birgt sich ein
ausgeprägter Sarkasmus, der immer wieder zum Vorschein kommt,
etwa, wenn die beiden Jungen bis zum Ende nicht wahrhaben wollen, was
für den Leser praktisch von Anfang an offensichtlich ist: Die
von ihnen verehrte Kristin, die sich vor den naiven Brüdern
als bezaubernde, von hehren Prinzipien beseelte Prinzessin und
Meisterin der Verführung
produziert und sich damit selbst eine
Traumwelt erschafft, ist nichts anderes als eine einfache kleine
Prostituierte. Raffaellas Liebhaber, der in ihren Augen eine Chance auf
ein besseres Leben verkörpert, gibt ihr nach heißen
Liebesschwüren den Laufpass, sobald er ihre berufliche und
damit finanzielle Zukunft durch sein Drängen auf die Umsetzung
des Burrito-Lieferservices ruiniert hat.
Lachen und Weinen liegen in dieser Erzählung dicht beieinander
und haben beide ihre Berechtigung. Klägliches, ergeben
hingenommenes Scheitern und große Träume, die dem
Träumenden den Blick auf die Wirklichkeit verstellen, kann man
mit düsterem Humor eindrucksvoller darstellen als durch eine
rein realistische Darstellung.
Arnon Grünberg ist mit diesem Buch ein
bittersüßes, auf melancholische Weise liebenswertes
kleines Kunstwerk gelungen, das nachdenklich stimmt mit seinem
Porträt eines Mikrokosmos des
Scheiterns der offensichtlich
für die Hoffnungslosigkeit Prädestinierten, zumeist
aufgrund von zu intensiv durchlebten Träumen von
Normalität und bescheidenem Glück.
(Regina Károlyi; 04/2007)
Arnon Grünberg: "Der Heilige des Unmöglichen" Ein weiteres Buch des Autors:
(Originaltitel "De heilige Antonio")
Aus den Niederländischen von Rainer Kersten.
Diogenes, 2007. 169 Seiten.
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"Mitgenommen"
Major Anthony droht den Krieg zu Hause zu verlieren: Seine Frau wünscht sich
ein Kind, aber es klappt nicht. Vor der Tür sieht es nicht besser aus, das südamerikanische
Land droht im Chaos zu versinken. Doch winkt Anthony unverhofftes Glück: Bei
einem Einsatz gegen Aufständische findet er das Mädchen Lina - und schenkt es
seiner Frau ...
In seinem großen Südamerika-Roman entführt Arnon Grünberg
den Leser in eine gottverlassene Provinzstadt und
in Berge, wo die Menschen
ebenso lehmfarben sind wie die Hütten um sie herum. Da ist ein Major, dem seine
Menschlichkeit zum Verhängnis wird, ein Anführer, für den die Revolution sein
privates Kunstwerk ist, und nicht zuletzt ein zehnjähriges Mädchen, das sich
durchschlägt. "Mitgenommen" ist ein Buch über Liebe, Kampf,
Kindersegen und Freiheit - und die Abgründe, die sich dahinter auftun. Südamerika
à la Grünberg: zwischen Opulenz, Absurdität und messerscharfer Analyse. (Diogenes)
Buch
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