Christian Dietrich Grabbe: "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung"

Gelesen von Wiglaf Droste und Harry Rowohlt
(Hörbuchrezension)


Parodie und höherer Klamauk

Da haben sich die richtigen Drei gefunden: Grabbe der Alkoholiker, der beruflich und ehelich nicht zu reüssieren vermochte, Droste der fiese Polemiker und Rowohlt der begnadete Trinker und Plauderer. Weil in der Hölle Putztag ist, kommt der Teufel auf die Erde und erfriert fast. Von vier Naturhistorikern ins Schloss des Barons von Haldungen gebracht, erwacht er im Kamin wieder zu neuem Leben, wonach er sich als Generalsuperindentent ausgibt. Die weitere Handlung ist reichlich verworren - eine der Pointen besteht darin, dass der versoffene Schulmeister den Teufel (denn als solchen hat er ihn sehr wohl identifiziert) in einem großen Vogelkäfig fängt, indem er Kondome als Köder auslegt. Schließlich befreit aber des Teufels Großmutter denselben, und Grabbe bereitet dem Stück höchstselbst durch einen Kurzauftritt ein Ende, indem er den Schulmeister einen "unermesslichen Lügenbeutel" nennt, weil dieser über ihn gesagt hatte: "Das ist der vermaledeite Grabbe (...) Er ist so dumm wie ein Kuhfuß, schimpft auf alle Schriftsteller und taugt selber nichts."

Diesen Eindruck hat man hin und wieder auch, u.a. da manche Szenen in puren Klamauk auszuarten scheinen, was das Stück in die Nähe der Verwechslungskomödie mit commedia dell'arte-Elementen bringt. Man fragt sich streckenweise schon: Handelt es sich um eine Parodie oder um eine höchst lästerliche Verlachkomödie mit ernst zu nehmenden Angriffen auf Journalisten, Lehrer, Kirche, die bessere Gesellschaft und auch immer wieder heftig gegen die damalige deutsche Literatur. Verstaubte Wissenschaft, hohles Pathos, Spießermoral und Oberflächlichkeit stehen im Fokus der hämischen Kritik. Grabbes Weltbild scheint im Nihilismus zu enden - ein verbitterter Moralist karikiert schonungslos die bornierten Zeitgenossen.

Droste ist da ein Geistesverwandter mit seiner Kolumne in der "taz" und etlichen satirischen Veröffentlichungen. Rowohlt ist als Autor von "Pu der Bär" ebenso erfolgreich wie als ausdauernder Vortragskünstler. Grabbe wird immerhin neben Büchner als Erneuerer des deutschen Dramas seiner Zeit eingeschätzt. Er kümmert sich nicht um Theaterkonventionen und sorgt mit teilweise schrillen Szenen für gehörige Desillusionierung. Heine hatte ihn einen "betrunkenen Shakespeare" genannt und ihm "Geschmacklosigkeit" und "Zynismus" attestiert. All das sollte man sich aber 83 Minuten lang selbst durch die Gehörgänge schlüpfen lassen, dann wird man merken, wie modern dieser Grabbe eigentlich ist.

(KS; 10/2006)


Christian Dietrich Grabbe: "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung"
Random House Audio, 2006. 2 CDs, Laufzeit 83 Minuten.
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Christian Dietrich Grabbe wurde am 11. Dezember 1801 in Detmold als einziges Kind des Zuchthausaufsehers Adolph Heinrich Grabbe geboren. Er besuchte das Gymnasium in Detmold und studierte Jura, später verdiente er einige Zeit seinen Lebensunterhalt recht unwillig als Advokat. Sein Versuch, eine Theaterlaufbahn einzuschlagen, scheiterte, seine Ehe verlief unglücklich; Grabbe stürzte mehr und mehr in eine Lebenskrise. Der schwer Alkoholkranke litt an Rückenmarkschwindsucht und starb am 12. September 1836 in Detmold.

"(...) Sein (Friedrich Hebbel; Anm. d. Red.) Antipode, aus ähnlich niederem Milieu entwachsen, Christian Dietrich Grabbe (1801 bis 1836), Sohn eines Zuchthausaufsehers in Detmold, wollte weniger - aber konnte mehr. Er empfing seine ersten Eindrücke, wenn er im Zuchthause spielte und die Gefangenen wurden zum Spaziergang an die frische Luft geführt. Zwei und zwei, zwischen grauen Mauern, den grauen Himmel über sich, umschritten sie schweigend in Anstaltskleidern das vorgeschriebene Kreisrund, bis die Zeit erfüllt ward. Seine Dramenhelden: der Herzog von Gothland, Napoleon, Hannibal, haben alle etwas von Zuchthäuslern, die an den Stäben ihres Gefängnisses rütteln: vergeblich.
Der Zwiespalt zwischen Idee und Wirklichkeit scheint unentrinnbar. Der hehrste und heiligste Wille wird in den Staub gezogen: Achilleus schleift Hektors Leiche an seinem Wagen um die Mauern von Troja ... Immer fällt Hektor, der Anwalt der reinen Idee, und immer siegt Achilleus, grobschlächtig und protzig, weil er die Macht und die realen Dinge hinter sich hat. Die tiefste Tragödie freilich spielt sich im Herzen des Menschen ab. Grabbes Stauffendramen (Heinrich VI., Barbarossa), vor allem aber Napoleon und Hannibal nähern sich der durch Faust und Wallenstein bezirkten großen Tragödie. Dieser Hannibal ist ein ungeheuerlicher Bursche. Eine riesige Termite, die in der winzigen Ameisenwelt, ein Held, der unter den Händlern zugrunde gehen muß. In "Don Juan und Faust" machte Grabbe den kühnen Versuch, den germanischen und den romanischen Typus nebeneinanderzustellen. Sein Lustspiel "Scherz, Ironie, Satire und tiefere Bedeutung", in dem der Autor voll romantischer Ironie höchstpersönlich nicht ohne tiefere Bedeutung auftritt, bietet in seiner bäuerlichen und teuflischen Derbheit ein Gegenstück zu Georg Büchners zartem und schwankem Schwank "Leonce und Lena" mit seinen zerbrechlichen Figuren und Kontroversen. (...)"
Aus "Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde" von Klabund

"Von der Klassik und Romantik wandte er sich schroff ab, die Dichter, die sangen, rezitierten und deklamierten, hat er verachtet. Er wollte nicht singen, er wollte stöhnen, schreien und brüllen, er hatte eine ganz neue Literatur im Sinn. Das Hauptproblem seines (vorwiegend dramatischen Werks) ist der Konflikt zwischen Idee und Wirklichkeit. Das gilt auch für seine eigenen literarischen Bemühungen: Er hat viel geplant, großzügig skizziert und genialisch entworfen, aber nur wenig realisiert. Gleichwohl hat er inspirierend, ja bahnbrechend gewirkt: Er hat das realistische Drama angeregt und die Expressionisten ebenfalls. Er hat manche Elemente des 'epischen Theaters' und - zumal mit seinem Lustspiel Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung - sogar das 'Theater des Absurden' vorweggenommen."
Marcel Reich-Ranicki im Begleittext zu "Der Kanon. Die deutsche Literatur. Dramen"
Dieser Kanon mit 43 Dramen von 23 Autoren ist repräsentativ für die Typenvielfalt und die Geschichte der deutschsprachigen Dramatik, mit Werken, die überdauert haben, die auf den Bühnen ständig gespielt werden, die bis heute lesbar geblieben sind.
2004 erschien die größte Sammlung deutschsprachiger Dramen, 43 Theaterstücke von 23 Autoren. Die acht Bände enthalten die wichtigsten theatralischen Werke von Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist, Ferdinand Raimund, Christian Dietrich Grabbe, Johann Nestroy, Georg Büchner, Friedrich Hebbel, Arthur Schnitzler, Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Hugo von Hofmannsthal, Carl Sternheim, Bertolt Brecht, Ödön von Horváth, Max Frisch, Peter Weiss, Friedrich Dürrenmatt, Peter Hacks, Heiner Müller, Thomas Bernhard und Botho Strauß. Herausgegeben von Marcel-Reich Ranicki. (Insel Verlag)
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