Walter Wippersberg: "Einiges über den lieben Gott"
Essay
Walter
Wippersberg ist kein Unbekannter. Man weiß ihn
längst als ebenso scharfzüngigen wie feinsinnigen
Essayisten zu schätzen. Seine einem breiten Publikum vor allem
aus den Feuilletons von Qualitätszeitungen bekannten
Aufsätze zeugen von höchster Wortgewandtheit und
einer geradezu enzyklopädischen Belesenheit. Seine Texte
gelten als informativ, ernsthaft und provokativ. Drei
Qualitätsmerkmale, die, richtig dosiert, ein Erfolg
versprechendes Buch abgeben. Insbesondere wenn es dabei um Religion
geht, solcherart feinnervige Empfindlichkeiten fraglos gereizt werden.
Denn Walter Wippersberg, seines Zeichens fürwahr kein
Frömmler, hat den verdienten Ruf, so manch gläubigem
Christenmenschen ein rechtes Ärgernis zu sein. Der eine oder
andere von jenen bekannte sich schon öffentlich dazu,
für Walter Wippersbergs Seelenheil zu beten. Zur Besinnung ist
es bekanntlich niemals zu spät.
Auch dieses im - übrigens christlichen (!) - Otto
Müller Verlag erschienene Buch mag nun geeignet sein, so
manchen Nerv freizulegen. Von christlicher Seite hagelt es bereits
Vorwürfe. Unter anderem jener, die Prämisse zu seinem
Buch sei die Nichtexistenz Gottes, und er durchschneide die Heiligen
Schriften einzig zu dem einen Zweck, die Selbstevidenz der von ihm
gewissermaßen vorausgesetzten Gottlosigkeit nachzuweisen. In
der Tat ist Gott für Wippersberg eine literarische Figur, die
in den jeweiligen historischen Verhältnissen ihr sich stets
wandelndes Gepräge erhielt. Nicht
Gott
schuf also den
Menschen, sondern
der Mensch schuf
Gott. Seine Existenz ist demnach insoweit verbürgt,
als er im Denken und Sehnen der Menschen gegenwärtig und
vermittels dieser in der Welt wirkmächtig ist. Wie es jedoch
um den transzendenten Gott bestellt ist, darauf lässt sich der
Autor nicht ein. Von einer Nichtexistenz des einen wahren Gottes zu
sprechen, wäre ja auch ein theologischer Fehlschluss, denn
Existieren oder Nichtexistieren kann allemal ein Ding, das der
Daseinssphäre menschlichen Sinnens angehört. Gott nun
aber ist in keiner Hinsicht auch nur irgendwie menschlich und folglich
auch nicht nach Kategorien irdischen Erkenntnisvermögens
fassbar.
Wippersberg beschränkt sich auf den irdischen Gott - auf den
Gott der Elendigen im Jammertal. Mit feiner Ironie reflektiert der
Autor die seines Erachtens einzig literarische Figur einer sich stetig
wandelnden Gottesvorstellung, wobei es ihm zuweilen zur
Unschärfe gerät, ob sich seine Kritik nun
primär auf die Biografie von Menschen bezieht, die eine Idee
von Gott definiert und praktiziert haben, oder ob er vielleicht nicht
doch, im atheistischen Furor, eine Biografie der Nichtexistenz Gottes
meint. Einen Furor, welchen Wippersberg bei Vorhaltung
übrigens entschieden in Abrede stellt, denn im Fokus seines
Interesses stehe jener Gott, der in den Köpfen der Menschen
existiert. Wippersberg ist ja auch, bei all seiner universalen Bildung,
weder Theologe noch Historiker, sondern in erster Linie Literat. Und
als solcher dem Mythos zugeneigt. Die Heiligen Schriften sind
für ihn nicht Wort Gottes, sondern große
Menschheitsdichtung.
Und als Dichter nimmt er sich das Recht heraus, es den
alttestamentarischen Propheten
gleich tuend, die Biografie des
dreifaltigen Christengottes fortzuschreiben. Ein poetischer Akt von in
der konkreten Umsetzung gewiss origineller Natur und überdies
bar jeglicher billiger Polemik, doch spätestens jetzt wird
wohl so manchem christlichen Leser die Zornesader schwellen.
Man darf getrost sagen, dass es sich bei dieser jüngsten
Schrift des Walter Wippersberg um eine sehr ernsthafte, wenn auch
seinem Grundinstinkte gemäß nicht ganz faire, weil
das Christentum in generalisierender Manier als reaktionär
denunzierende Schrift handelt, die ihm nicht beiläufig aus dem
Handgelenk geflossen ist, sondern der ein fundiertes Text- und
Quellenstudium vorangegangen ist. Die kritische Würdigung des
Gottes der Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) ist dem Autor
ein überbordendes Anliegen. Theologische Reflexionen wechseln
mit poetischen Annäherungen ab. Auch aus seiner grundlegenden
Ablehnung macht der Literat keineswegs eine Mördergrube. Denn
der Gott der großen monotheistischen Weltreligionen sei in
Hinblick auf seine historische Bedingtheit fraglich und, anders als
Voltaire
und Kant
es annahmen, für eine gesittete
Sozialdisziplin entbehrlich. Letztlich erkennt der Rezensent das
besprochene Buch nicht als Sachbuch im eigentlichen Sinne, sondern als
lustvollen Versuch eines ob seines intellektuellen Skeptizismus
Nichtglaubenden, sich mit dem Faszinosum Gott auf respektvolle und
zugleich irgendwie auch lästerliche Art und Weise ins
Einverständnis zu setzen. Ein Essay der Nachdenklichkeit aus
der Feder eines Gottlosen, der sich für Gott begeistert, ohne
ihm ein Knecht zu sein.
(Tasso; 12/2006)
Walter
Wippersberg: "Einiges über den lieben Gott"
Otto Müller Verlag, 2006. 328 Seiten.
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