Johann Wolfgang Goethe: "Sprüche in Prosa"
Sämtliche Maximen und Reflexionen. Im Originalzusammenhang wiederhergestellt und erläutert von Harald Fricke
Goethe zum Schmökern
Harald Fricke, der Herausgeber des Bandes "Sprüche in Prosa", 1949
in Braunschweig geboren, ist promovierter Philosoph und seit 1984
Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Literatur und allgemeine
Literaturwissenschaft an der Universität Fribourg in der Schweiz.
Er ist Mitherausgeber der Frankfurter Ausgabe.
Das vorliegende Buch ist eine Leseausgabe der textkritischen Neuedition
des Bandes I.13 der vierzigbändigen Frankfurter Ausgabe des Deutschen
Klassiker Verlags aus dem Jahre 1993, die gegenüber dieser
älteren Ausgabe auch an einzelnen Stellen verbessert wurde.
Schon in der ersten von Eckermann edierten Goethe Gesamtausgabe aus dem
Jahre 1840 befanden sich die beiden Bände "Sprüche in Versen"
und "Sprüche in Prosa". Im zwanzigsten Jahrhundert, beklagt der
Herausgeber, kam es beginnend mit der Hecker-Edition zu einer Reihe
unsauberer
Sprüchesammlungen, weil teils auch Notizen Goethes fremder Quellen
als Goethetexte ausgegeben wurden, weil manche Sentenzen aus dem
Zusammenhang gerissen
wurden und - man staunt - unabhängige Fragmente
zusammengefügt präsentiert wurden, sogenannte editorische
Klitterungen. Anlass also, im Zuge der Frankfurter Ausgabe die
Sprüche völlig neu zusammenzustellen.
Apropos Sprüche: "Die Kritik erscheint wie Ate: Sie verfolgen die
Autoren - aber hinkend", schrieb der Meister einst. Die Ate wurde von
ihrem Vater Zeus im Zorn vom Olymp geworfen,
weshalb sie rastlos und hinkend fortan die
Mythologie
durchstreifte. Goethe mochte offenbar keine Kritiker, denn diese Ate
stürzte Menschen wie Götter ins Unheil und steht im
Übrigen für die Verblendung.
Die Sprüche Goethes werden in sieben Kapiteln präsentiert:
(1) Aphorismen, (2) Thesen, (3) angeeignete Sprüche, (4)
Sprüche in Übersetzungen, (5) Sprüche in Exzerpten, (6)
Sprüche in Miszellen und (7) Sprüche in Rollenprosa. Sofern
Kommentare hilfreich sind, so befinden sie sich auf den betreffenden
Seiten. Das ist sehr angenehm.
Ein paar Beispiele aus den Aphorismen: "Eigentlich weiß man nur,
wenn man wenig weiß; mit dem Wissen wächst der Zweifel."
Oder: "Tief und ernstlich denkende Menschen haben gegen das Publikum
einen bösen Stand." Etwas zutiefst Menschliches noch: "Wenn er
wäre, wie er sein sollte, hätt ich ihn nicht so lieb!"
Viel Wahres enthält folgende These: "Eigentlich lernen wir nur von
Büchern, die wir nicht beurteilen können. Der Autor eines
Buches, das wir beurteilen können, müsste von uns lernen."
Und so entschuldigt sich der Rezensent vorsorglich bei allen Autoren,
deren Büchern er nicht verstanden, aber dennoch kommentiert hat.
Zur romantischen Literatur seiner Zeit schrieb Goethe: "Klassisch ist das Gesunde, romantisch das
Kranke.
[...] Das Romantische ist schon in seinen Abgrund verlaufen - das
Grässlichste der neuern Produktionen ist kaum noch gesunkener zu
denken." Doch, Herr Goethe, leider.
Auch hierin steckt leider viel Wahrheit: "Gewisse Bücher scheinen
geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man
wisse, dass der Verfasser etwas gewusst hat. Sie peitschen den Quark,
ob nicht etwa Crème daraus wolle."
Doch es geht natürlich nicht nur um Bücher, denn Goethe
verfasste seine Kommentare zu den verschiedensten Themen. Er war kein
notorischer und konzentrierter Aphoristiker wie Lichtenberg,
aber in diesem Opus steckt dennoch eine enorme Menge an geistreichen
Kommentaren. Das umfangreiche Register macht es auch leicht, sich in
der Fülle von Sentenzen zurechtzufinden. Auf 45 Seiten sind
Spruchanfänge mit ihren Fundstellen im Buch aufgelistet. Ein
zweites Register listet 30 Themen wie zum Beispiel "Alter und Jugend",
Genie oder Religion mit jeweils etwa 10 bis 40 Verweisen auf.
Fazit:
"Denn zum ungehinderten Schmökern ist diese Neuausgabe bestimmt:
zum Blättern, Überspringen, Hängenbleiben und
innehaltenden Nachdenken.", schreibt der Herausgeber. Und weiter: "Denn
zur Erschließung von Goethes Gesamtwerk gibt es wohl keinen
vielseitigeren Schlüssel als das Studium dieser vermischten
Prosa-Aufzeichnungen. [...] In keinem anderen Buch findet man so sehr
wie in diesem den ganzen Goethe auf kleinstem Raum."
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht ..., dass man
über die vierzigbändige Frankfurter Ausgabe doch noch einmal
nachdenken könnte.
(Klaus Prinz; 12/2005)
Johann Wolfgang Goethe: "Sprüche in Prosa.
Sämtliche Maximen und Reflexionen"
Insel, 2005. 486 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Noch ein Buchtipp:
Olaf L. Müller: "Mehr Licht. Goethe mit Newton im Streit um die Farben"
Goethe als Naturwissenschaftler: eine Rehabilitation!
Ob Goethe ganz
zuletzt "Mehr Licht!" gesagt hat, werden wir nie erfahren. Fest steht, dass er
es hätte sagen sollen: Der Spruch bringt Jahrzehnte seiner Forschung zu
Farben,
Licht und Finsternis auf den Punkt. Die Erhöhung der Helligkeit, auf die Goethe
abzielte, führt zu ganz konkreten, exakt reproduzierbaren und überraschenden
Experimenten.
Gegen die verfehlte Goethe-Kritik zweier Jahrhunderte zeigt der Philosoph und
Wissenschaftstheoretiker Olaf L. Müller anhand ausführlich illustrierter
Experimente, wo Goethe gegen Newton gewonnen hat und welchen Gewinn wir daraus
ziehen können. Goethe war nicht nur ein gewiefter Experimentator - er war auch
ein begnadeter Wissenschaftsphilosoph. (S. Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen