Johann
Wolfgang von Goethe: "Gesang der Geister"
Autorisierte
Lesefassung
(Hörbuchrezension)
Goethe
im Tremolo
Heute noch etwas Originelles
über Goethe schreiben zu wollen,
ist genauso schwer und überflüssig wie Steine auf den
Mount Everest zu schleppen. Geben wir uns damit zufrieden, wie Goethe
selbst über das Verhältnis von Ästhetik und
Räsonieren urteilte: "Die Natur des Schönen besteht
ja eben darin, dass sein inneres Wesen außer den Grenzen der
Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem eigenen Werden liegt. Eben
darum, weil die Denkkraft beim Schönen nicht mehr fragen kann,
warum es schön sei, ist es schön" - so zitiert Goethe
Gedanken von Karl Philipp Moritz, welche dieser aus Unterhaltungen
zwischen den beiden notiert hatte ('Über die bildende
Nachahmung des Schönen', 1788). Eben in diesem Sinne des
Werdens kann man die vielen Versuche unterschiedlicher
Künstler und Gelehrter verstehen, Goethes Worte zu rezitieren
bzw. substanzielle Gedanken zu ihm zu formulieren. Auf der vorliegenden
CD finden sich wichtige historische Zeugnisse diesbezüglicher
Bemühungen.
Jedenfalls erlebt man hier, was wirklich Pathos ist - da ist der Kinski
(der auch etwas sprechen darf) ja noch harmlos gegenüber
seinen historischen Vorgängern. In der Verlagswerbung
heißt es auch ganz trivial-appellativ: "Eine einzigartige
Zusammenstellung von 22 beeindruckenden Zeitdokumenten, die jedem
Goethe-Liebhaber das Herz aufgehen lässt." Warum bewirbt man
solch ein edles Produkt (es geht ja immerhin um Goethe!) mit so
schnulzigem Vokabular? Diese CD wollen wir nicht hören, weil
sie uns "das Herz aufgehen" lässt, sondern weil da
für das Normalpublikum schwer zugängliche
Tondokumente dabei sind, die uns sowohl Goethes Texte in engagierten
akustischen Interpretationen präsentieren, als auch aufzeigen,
wie prominente Nachfahren Goethe für das Renomée
Deutschlands instrumentalisierten.
Hier erleben wir Goethe von Tremolo bis Tremor - 'Lesungen, Reden,
Szenen' (Untertitel) – zum Teil aus den Urzeiten der
Tonkonserve. Das älteste Goethe-Tondokument aus dem Deutschen
Rundfunkarchiv ist die Rezitation des Gedichts 'Der Totentanz' von
Anton Zimmerer aus dem Jahre 1909. Einen wahrhaft ekstatisch
tremolierenden Vortrag des
'Prometheus'
liefert Alexander Moissi, den 'Gesang der Geister über den
Wassern' intoniert würdevoll Friedrich Kayßler,
während man bei Amanda Lindners Gretchen-Interpretation
den Brustkorb beben zu hören meint. Ein wenig peinlich fast
hört sich Gerhart Hauptmann als Repräsentant der
deutschen Geisteskultur im Jahre 1932 an, im gleichen Jahr spricht
Thomas Mann deutlichere, kritische Worte. Ein Höhepunkt sind
immer wieder Aufnahmen mit
Gustav
Gründgens, hier z.B. das 'Lied vom Floh' aus 'Faust
I'. Interessant der Vergleich der beiden Reden von Th. Mann und J.R.
Becher im Jahr 1949 zur Feier des 200. Geburtstags Goethes in Weimar.
Und so gibt es allerhand Abwechslungsreiches zu hören,
teilweise mit dem Charme historischer Tonqualität, ein
facettenreiches Dokument unterschiedlicher Annäherungen an
Goethes Werk und Bedeutung.
(KS; 02/2007)
Johann
Wolfgang von Goethe: "Gesang der Geister"
Autorisierte Lesefassung. Sprecher: Thomas Mann,
Klaus Kinski, Gustaf Gründgens,
Albert Schweitzer,
Gerhart Hauptmann,
Oskar
Werner, u.v.a.
Produktion: Deutsches Rundfunkarchiv / Casa di Goethe, 1900-1986.
Der Hörverlag, 2007. 1 CD; Laufzeit ca. 74 Minuten.
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