Thomas Glavinic: "Das bin doch ich"
Autor
Thomas Glavinic beginnt das
Buch über sich - oder über sein alter ego - nach dem
Abschluss von "Die
Arbeit der Nacht". Er fühlt sich unzufrieden,
unausgefüllt und weiß
nicht recht, was er nun mit sich anfangen soll. Zunächst bangt
er, ob und wo
sein Roman wohl veröffentlicht werden wird; nachdem dies
geklärt ist, fragt er
sich, wie erfolgreich das Buch wohl sein wird. Dass sein Autorenfreund
Daniel
Kehlmann parallel zu dieser Entwicklung Ruhm über Ruhm mit "Die
Vermessung der Welt" einheimst, macht Glavinics Dilemma nicht
kleiner.
Zwischen all der Aufregung und der Sinnfrage, nicht nur nach der
eigenen Person
und dem eigenen Wesen, sondern auch nach dem Sinn des
Schreibens beziehungsweise der Frage "Kann ich es überhaupt?"
erlebt
Glavinic noch zahlreiche andere
Dinge. Er schlägt sich mit anderen Autoren, mehr und
weniger bekannten
Personen, mit Lesern, Unbekannten und der Familie herum - und zu guter
Letzt in
erster Linie mit der eigenen Person. Thomas Glavinic ist hysterisch,
hypochondrisch, ein wenig unberechenbar, und er trinkt zuviel.
Dieser Roman ist vor allem eines: seltsam. Noch mehr als der
Protagonist selbst
ist der Leser hin und her gerissen, einmal von der einen Buchseite zur
anderen,
einmal schon von einem Absatz zum nächsten. Entsprechend
schwer fällt es,
"Das bin doch ich" einzuordnen oder zu bewerten.
Wie real ist der Protagonist, der "zufällig" so
heißt wie der Autor
und dessen Eckdaten ebenfalls alle zutreffen? Sicherlich nicht zur
Gänze real,
denn nicht umsonst wird "Das bin doch ich" als Roman bezeichnet, und
einige Details, vom Inder am Naschmarkt natürlich abgesehen,
scheinen auch gar
nicht zu Glavinic zu passen - oder zumindest nicht zu früheren
Aussagen in
Interviews, Podcasts und Co. Dennoch steckt eine
gehörige Prise des
Autors in der Figur Thomas Glavinic, und dass man zu keiner Zeit
weiß, wie viel
wirklich authentisch ist, verunsichert auf ganzer Linie.
Sicherlich, man kann sich über viele Passagen kringelig lachen
und fühlt sich
gut unterhalten, aber da sind auch die Passagen, bei denen man sich
fragt, ob
man nicht vielleicht doch Autobiografisches liest, ob man nicht
irgendwo
inmitten einer Abart von Dieter
Bohlens "Nichts als die Wahrheit" steckt. Sollte dem so sein,
dann
wäre manches nicht mehr ganz so komisch, manches
überhaupt nicht mehr. Dann wäre
es streckenweise ein dreistes Buch, ein schamloses und eines, das
Andere vorführt.
Ob dies zutrifft oder nicht, vermag man jedoch wie bereits
erwähnt zu keinem
Zeitpunkt definitiv festzulegen, und so führt Glavinic vor
allem einen vor, nämlich
den Leser. Und auch dieser Gedanke ist nicht komisch.
So steckt man bei "Das bin doch ich" ständig zwischen Lachen
und
Weinen, zwischen Mitgefühl und Zorn. Und vor allem Letzteres
lässt einen
verwirrt zurück, denn man stellt fest, dass sich der Zorn, aus
Unsicherheit
entstanden, nicht wirklich auf den Autor und dessen alter ego bezieht,
sondern
vor allem auf einen selbst. Unweigerlich befasst man sich mit den
eigenen
Macken, mit den eigenen Unzulänglichkeiten, mit der eigenen
Neigung zum
Voyeurismus.
Und plötzlich stellt man fest, dass Glavinic dieses
238-seitige Buch wohl kaum
einfach so herunter geschrieben hat, wie man meinen könnte,
dass die
autobiografische, tagebuchartige Art ein Stilmittel ist, keineswegs
belanglos,
sondern mitten in den Kern treffend.
"Ist doch alles nur Spaß!" - oder? Genau weiß man
es nicht und wird
es vielleicht auch nie erfahren. Das ist nicht nur komisch und
unterhaltend,
sondern plötzlich auch irgendwie beklemmend.
Ein grotesker Roman, dessen Wirkung deutlich über die auf den
Leser hinausgeht.
(Tanja Elskamp; 10/2007)
Thomas
Glavinic: "Das bin doch ich"
Gebundene Ausgabe:
Hanser, 2007. 238 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010.
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Ein
weiteres Buch des Autors:
"Das Leben der Wünsche"
Der Unbekannte, der in der Mittagspause neben Jonas auf der Parkbank
sitzt, ist
unauffällig, sein Angebot aber unerhört: "Ich
erfülle Ihnen drei Wünsche."
Ein Spiel offenbar, und Jonas lässt sich darauf ein. Mit einer
leisen Warnung
geht der Mann davon: "Geben Sie Ihren Wünschen Zeit, sich zu
entfalten."
Doch was wünscht sich einer? In Jonas' geregeltem Leben als
Ehemann, Vater,
Werbetexter und leidenschaftlicher außerehelicher Liebhaber
kommt es immer öfter
zu unerklärlichen Vorfällen.
Sein zu klein geratener Sohn erfährt einen sichtlichen
Wachstumsschub. Seine
Aktienkurse steigen rasant. Mit Glück entgeht er einem
Flugzeugabsturz. Und bei
Nacht treibt die Schlaflosigkeit ihn langsam in unbegreifliche
Situationen voll
mysteriöser Zeichen. Doch dann liegt eines Abends seine Frau
tot in der
Badewanne. Weiß die Nacht etwa mehr von seinen
Wünschen als er selbst? (Hanser) zur Rezension ...
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Leseprobe:
(...)
An
der Tür bittet mich Else, nicht
zu spät nach Hause zu kommen. Ich verspreche es. Sie erinnert
mich daran, daß
Thomas Maurer die Lesung von Jonathan Safran Foer moderieren wird. Ich
schaue sie
fragend an.
"Na, weil es immer spät wird, wenn du Thomas triffst."
"Diesmal nicht."
"Das sagst du jedesmal."
"Aber diesmal sicher nicht."
"Das sagst du auch jedesmal."
Im Rabenhof-Theater setze ich mich in eine der leeren hinteren Reihen.
150
Besucher. Für eine Literaturveranstaltung in Wien sehr viel,
vor allem bei 15
Euro Eintritt. Das Weinglas muß ich unter dem Sitz
verstecken, da Gläser und
Flaschen im Saal nicht erlaubt sind. Ich lege die Beine über
die Lehne des
Stuhls vor mir. Die Kante schneidet mir in die Waden.
Drei Personen sitzen auf der Bühne: Der Moderator Thomas
Maurer, der
Schauspieler Nicholas Ofczarek, und der Autor selbst, Jonathan Safran
Foer. Maurer stellt dem Autor Fragen. Na bravo, denke ich, ein
englischer Abend,
und das mit meinen miserablen Sprachkenntnissen. Aber was habe ich
erwartet?
Deutsch wird der Mann nicht können, und außer mir
spricht sowieso jeder unter
Vierzig perfekt Englisch. Und so ist es auch, der Autor macht einen
Scherz, und
alle im Saal lachen laut, denn sie müssen ja zeigen,
daß sie den Witz
verstanden haben, besonders zu Anfang. Ich habe ihn nicht kapiert.
Foer liest aus seinem Buch vor. Die Leute sind amüsiert und
lachen und nicken.
Jesusmaria, Lesungen sind ja schon auf Deutsch heikle Veranstaltungen,
wo bin
ich hier? Ist das ganze Land in der Lage, die Feinheiten des hier
vorgetragenen
Werks zu erfassen? Waren die alle als Austauschkinder in Ohio? Ich
schleiche
hinaus und hole mir noch Wein.
Der Autor liest auf Englisch, der Schauspieler liest auf Deutsch, dann
darf das
Publikum Fragen stellen. Foer antwortet mit freundlicher Gelassenheit.
Der Mann
ist der weltweit bestbezahlte Autor unter Dreißig, schreiben
Journalisten, weil
Journalisten so etwas gern schreiben. Diese Gelassenheit kann aber
durchaus mit
Erfolg zu tun haben, wenn auch nicht zwingend mit finanziellem. Ich
beneide ihn
um sie, denn in mir tobt ständig etwas, und ich frage mich,
was mich eigentlich
zusammenhält. Nein, ich frage mich das nicht, ich
weiß es ja, es ist das
Schreiben, und deswegen muß ich etwas unternehmen, ich kann
nicht einfach einen
Roman zu Ende bringen und eine Weile nichts tun.
Nach der Veranstaltung sitze ich in einem der roten, bequemen Fauteuils
im
Foyer. Maurer fragt, ob ich noch mitgehe. Ich weiß nicht, ob
ich Lust habe. Ich
gratuliere ihm, er hat einen ganzen Abend mit englischer Moderation
durchgestanden. Er freut sich. Nicht über mein Lob, sondern
weil er selbst
weiß, daß er gut war.
Ein SMS von Daniel: Bin auf der Shortlist für den Deutschen
Buchpreis.
Ich schreibe zurück: Und du wirst den Preis auch kriegen.
Daniel hat gerade ein Buch veröffentlicht, das Die
Vermessung der Welt heißt. Ich habe ihm prophezeit, er werde
davon 80.000 Exemplare
oder mehr verkaufen. Er sagt, ich spinne. Ich spinne nicht, das
heißt, ich
spinne schon manchmal, aber hier nicht. Und den Deutschen Buchpreis,
den Preis
für den besten Roman des Jahres, wird er wohl auch gewinnen.
Erst gab es die
Longlist: die besten 20 Titel, von einer Jury gewählt. Jetzt
sind es noch 6,
die Shortlist. Bei der Buchmesse in Frankfurt wird der Gewinner
bekanntgegeben
werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemand anderer
sein wird als er.
Es ist ein bißchen seltsam für mich,
zuzusehen, wie Ruhm und Erfolg meines Freundes von Woche zu Woche
größer
werden. Vor einigen Jahren war ich für kurze Zeit der etwas
weniger Unbekannte
und Erfolglose.
Jetzt hat er schon 25.000 Exemplare seines neuen Buches verkauft, und
ich stehe
ohne Verlag da.
Thomas Gratzer, der Rabenhof-Chef, sagt, ich soll noch mitkommen. Er
drängt,
ich sage okay. Wir gehen zu seinem Auto. Jemand ruft ihn
zurück,
er soll gleich den Autor mitnehmen. Und so kommt, was ich
befürchtet habe: Ich
muß Englisch sprechen.
Vorne am Steuer Gratzer, im Fond Foer und ich. Weil ja irgend etwas
geredet
werden muß, erzähle ich meine Londoner
Lieblingsgeschichte. Als ich dort die
Übersetzung meines ersten Romans präsentierte, bat
ich die Anwesenden um
Entschuldigung dafür, auf Deutsch
zu ihnen zu sprechen, mein
Übersetzer werde
gewiß so freundlich sein, meine Worte zu dolmetschen. Ich
redete also über
mein Buch, dann nickte ich meinem Übersetzer zu. Er
entschuldigte sich, er
könne nicht. Sein Sprechdeutsch sei leider schlechter als sein
Lesedeutsch. Foer
will es nicht glauben. Aber die Geschichte ist wahr, und ich
erzähle
noch, wie sie weiterging. Ich mußte also den ganzen Abend vor
ein paar Dutzend
Journalisten auf Englisch bestreiten. Tage später las ich in
einem
Zeitungsartikel über die Veranstaltung den Satz: "In his
reasonable but
not perfect English Mr. Glavinic said..." Foer lacht wieder, winkt ab:
"No no, it’s more than reasonable." Ich Trottel freue mich
auch noch.
Er ist vor einem Jahr schon einmal in Wien gewesen. Hat Werner Schlager
interviewt, ob ich ihn kenne. Moment, du hast Werner Schlager in Wien
interviewt? Ja, ob Schlager hierzulande berühmt ist. Ein
großartiger Spieler.
Und so unterhalten wir uns über Werner Schlager, den auch ich
beeindruckend
finde, während vorne Gratzer verzweifelt einen Parkplatz sucht
und vermutlich
nicht weiß, daß Werner Schlager
Tischtennis-Weltmeister war. Er findet keine
Lücke, so läßt er uns vor der Tür
des Gasthauses Wild aussteigen.
Foer und ich sitzen nebeneinander. Er bestellt Fisch und Wasser, ich
ein Glas
Wein. Er fragt mich, ob dies eine typisch österreichische
Gastwirtschaft ist.
Bedauernd schüttele ich den Kopf: "It’s a bit too
clean and the waiter
is too polite."
Verstohlen betrachte ich die Berühmtheit neben mir. Foer wirkt
besonnen,
klug, geistreich. Er hat das, was Karl
May ein "feines, durchgeistigtes
Gesicht" nennt, und das erinnert mich nicht ganz leidlos daran,
daß ich
das nicht habe, daß man meinem Gesicht nicht Bildung abliest
oder Geistestiefe
oder Scharfsinnigkeit oder die Lektüre von Tausenden
Büchern, sondern - naja,
irgend etwas anderes.