Klaus Berger: "Glaubensspaltung ist Gottesverrat"

Wege aus der zerrissenen Christenheit


Allein schon der Titel verheißt blanke Provokation. Ist es doch heute Usus und quasi der gute Ton, die Aufspaltung der Christenheit in mehrere Konfessionen nicht nur als unabänderliches Produkt historischer Zwistigkeiten mehr oder weniger schicksalsergeben hinzunehmen, sondern geradezu als zeitgemäßen Ausdruck pluralistischer Gesellschaftsverhältnisse als erstrebens- als wie auch erhaltenswert zu belobigen. Nicht nur, dass man sich also mit dem Ungemach abfindet, man bejaht es auch noch. Der Neutestamentler Klaus Berger kann dieser sonderlichen, weil in ihrem heißen Verlangen nach Heil im Unheil sich zweckopportunistisch gerierenden Spielart eines christlichen Positivismus (geboren aus dem Geiste der Resignation?) nichts abgewinnen, zumal es seiner festen Überzeugung entspricht, zu konstatieren, dass Jesus die eine Kirche gegründet hat und deren späterer Zerfall in konkurrierende Teilkirchen somit des Heilands Willensentschluss nicht nur abträglich sein muss, sondern überdies die Christenheit im Zustand eines fortgesetzten Gottesverrats hält.

Jesus, wie gleichwohl der Apostel Paulus, sie beide wollten die eine Kirche, betont der Autor, nicht aber eine Mehrzahl von Kirchen, denn Jesus gründete nur eine Kirche und Paulus, der diese einzige jesuanische Kirche zur sozialen Entfaltung brachte, focht sein Lebtag lang gegen aufkeimende Spaltungstendenzen, also gegen eine Herausbildung abtrünniger Kirchengemeinschaften oder auch nur von divergierenden Strömungen innerhalb der einen Sozietät. Glaubensspaltung sei eben kein Segen, und als ein zur Organisationslogik verfestigtes Laster eine unverzeihliche Abwendung von Gottes Willen. Diese, so könnte man nun meinen, wahrlich gotteslästerliche Lage der Christenheit gilt es besser heute denn morgen zu korrigieren, zumal sich die Christenheit, so bemerkte es Klaus Berger anlässlich der Buchpräsentation am 2. März 2006 in Wien, angesichts der islamischen Herausforderung eine Glaubensspaltung hinkünftig nicht fortgesetzt leisten können wird.

Wer sich nun eine im Duktus aufrührerische oder gar alles niederreißende Streitschrift erwartet, wird bei Lektüre des Buches rasch eines Anderen belehrt, denn Klaus Berger vertritt zur politischen Soziologie der christlichen Glaubensgemeinschaft in Summe eher - und teils dezidiert - konservative Positionen. Demnach überwiegend tendenziös katholische Auffassungen, was bei einem "Diasporakatholiken" jedoch nicht weiter verwundern darf. So ist er keineswegs geneigt, das Papsttum in Frage zu stellen, sondern bejaht es vielmehr als stabilisierende organisationstechnische Einrichtung und, gewahrlich der viel kritisierten Unfehlbarkeit des Papstes, als Streit schlichtende letztgültige theologische Instanz. Man müsse das päpstliche Amt einfach nüchtern sehen und dürfe es keineswegs in polemischer Gelauntheit als orientalischen Götzenkult verkennen oder die sündigen Päpste des Mittelalters in ein antithetisches Widerspruchsmuster zum "Heiligen Stuhl" im Hier und Jetzt verfrachten.

Um nichts weniger katholisch nimmt sich die Position des zur evangelischen Kirche zwangskonvertierten (weil zum Übertritt dermaleinst genötigten) Theologen Klaus Berger aus, wenn er auf die Frage der Ordination von Frauen (zum katholischen Priesteramt) oder auf den bei Protestanten verpönten katholischen Marienkult zu sprechen kommt. Maria ist zwar zugegebener Weise ein heikler Punkt. Aber symbolisiert die Gottesmutter denn viel mehr als den Prototyp des vor Gott begnadeten Menschen? - fragt Berger. Was doch einem jeden Christen tolerabel sein sollte. Und dass Frauen in der katholischen und byzantinischen Kirche nicht ordiniert werden können, sollte man nach dem Dafürhalten von Berger nicht allemal in moralischer Entrüstung als altväterliche Verweigerung von grundlegenden Menschenrechten begreifen, sondern besser über das Verständnis der getreuen Inszenierung archetypischer Riten richtig erkennen lernen. Die Eucharistie als rituelle Inszenierung des letzten Abendmahls lässt sich so gesehen durch eine Frau genauso wenig zelebrieren, wie es einem Mann nicht möglich ist, in Goethes "Faust" die Rolle des von Faust letztlich geschwängerten Gretchens zu mimen. Jesus war unzweifelhaft ein Mann, und so bedarf es in der rituellen Verkörperung seiner Person aus Gründen der Getreulichkeit eines Mannes. Womit aber nicht verwehrt ist, dass christliche Zusammenkünfte anderer Natur durch Frauen geleitet werden. Auch dazu sollte bei einigem guten Willen ein von Vernunft geleiteter Konsens zwischen den Glaubensgruppen möglich sein.

Aus den soeben zum Zwecke der Demonstration ausgeführten Schlaglichtern zum Buchinhalt könnte man nun den voreiligen Schluss ziehen, Klaus Berger ginge es um die Verfestigung katholischer Standpunkte, und die von ihm begehrte Überwindung der Glaubensspaltung intendiere in erster Linie die Unterwerfung der evangelischen Christenheit unter eine römische Herrschaftsdogmatik. So gesehen wäre der Autor freilich falsch verstanden, denn, obgleich er sehr wohl von Unterwerfung spricht, und dies in sogar akzentuierter Tonlage, das Ideal der Ökumene ist für ihn in letzter und bester Konsequenz eben nicht eine einseitige, sondern eine gegenseitige bzw. wechselseitige Unterwerfung in Manier einer demütigen Gottesbegegnung. - Um das zu konkretisieren: Dies sei derartig vorgestellt als ein vor dem jeweils anderen Menschen demütiges Niederknien. Und nicht verkannt als Unterwerfung unter Menschen und von deren Menschenhand geleitete Bürokratien, sondern als Unterwerfung unter Gott, welcher sohin dem Gläubigen über das gelebte Prinzip der Nächstenliebe und auf Geheiß des Heiligen Geistes mit und durch die Erfahrung des Mitmenschen manifest wird.

Eine im verwendeten Vokabular zugespitzte Gebärdensprache - Unterwerfung! - wie diese, obgleich über beigefügte Erläuterungen geklärt und entschärft, mag nun so manchem zur umgangssprachlichen Sensibilität sozialisierten Zeitgenossen sauer aufstoßen, doch Berger bedient sich sehr bewusst, weil aus Überzeugung eines nicht ganz so zeitgemäßen Wortlauts. Und, bei allem Bemühen um Verständigung im dialogischen Diskurs, einem sich über politisch korrekte Sprachregelungen vorgeblich liberal, doch tatsächlich in Unduldsamkeitsmustern zelebrierenden Zeitgeist oder anderweitigen Moden dienstlich zu sein, ist seine Sache nicht. In diesem Kontext betrachtet ist Berger ein Ketzer gegenüber dem förmlichen Gemeinsinn, welcher Anpassung an populäre Tugendgebote fordert, ist in seinem Eigensinn unbeugsam und deswegen auch nicht unbedingt der Freund eines in Europa und Nordamerika grassierenden katholischen Modernismus, welcher die evangelischen Kirchen längst schon links überholt hat und dessen berüchtigte Neigung zur Hyperkritik des Autors Ablehnung erfährt. Jesus, oder beispielsweise der Apostel Paulus, dieser und jener war nicht einfach nur ein "guter Mensch" mit vorwiegend sozialethischer Ambition. Es gibt auch einen bewahrenswerten Kosmos spirituell reichhaltiger Zeichen und Symbole, sowie die Magie der Amtsgnade beim Akt des Handauflegens im Rahmen der apostolischen Sukzession [= "Kette der Handauflegungen" bei der ununterbrochenen Weitergabe des Bischofsamts ausgehend von den Aposteln]. Im Übrigen werde aber gerade an den katholischen Modernisten deutlich, dass die trennende Kluft heute nicht mehr zwischen Katholiken und Evangelischen verläuft, sondern quer zu den Konfessionen. Womit sich im Grund genommen eine günstige Chance zu ihrer Überwindung offeriert.

Es ergibt sich bei der Lektüre des Buches der Eindruck, Klaus Berger will mit seiner im Tonfall nüchterner Gelehrtheit gehaltenen Schrift niemandem ob gefälliger Denkweisen gefallen, noch irgendeines Personenkreises Gunst vermittels einer Taktik des Anbiederns erwerben, denn mit einem Gutteil seiner Thesen zur schützenswerten Beharrlichkeit spirituellen Kulturguts gibt er nicht nur ein Bekenntnis zu einer unzeitgemäßen Weltsicht ab, sondern setzt sich solcherart zuweilen sprichwörtlich zwischen alle Stühle. Und, wer wollte daran Zweifel hegen, die von ihm propagierte "Theologie der Unterwerfung" widerspricht als Gestik der Selbstdemütigung einem jeden modernistischen Freiheits- und Selbstbehauptungsempfinden des seiner Mündigkeit und seines bürgerlichen Stolzes bewussten Gegenwartsmenschen, dem zwar nach herrschender Verhaltensnorm die Toleranz gegenüber fremdartigen und sogar kulturell unverträglichen Umgangsformen als unbedingt chic zu gelten hat, doch dies im Sinne eines Nebeneinanders in Parallelwelten. Bergers einziges Ziel ist es jedoch, ohne falsche Rücksichtnahme auf intellektuell verflachte Befindlichkeiten, und bei Wahrung der Unantastbarkeit der Reichhaltigkeit des überlieferten Glaubensguts, der Vision vom Ende der Glaubensspaltung einen Anstoß zur initialen Zündung zu geben: Der Skandal einer zerrissenen Christenheit muss sein Ende finden. Über eine Ökumene der Herrlichkeit, statt theologischer Rechthaberei, über eine Pflege der Volksfrömmigkeit nach dem Vorbild der Gemeinschaft von Taizé, führt der Weg zur ersehnten Einheit. Und das mit Papsttum, mit Bischöfen, mit kirchlichem Lehramt, Marienkult und apostolischer Sukzession.

Nicht nur der Glaube, ebenso ein starker Wille kann Berge versetzen. Soweit er unbeugsam bleibt und von unbestechlicher Lauterkeit in seinem Argument. - Aus diesem Geiste höchster intellektueller Redlichkeit ist Klaus Bergers Plädoyer für eine Reunionierung der christlichen Kirchen geboren. Er führt sein eigenes Wort, ohne dabei einem koketten Gehaben anheim zu fallen, bekundet ein starkes Wollen zu einer eben nicht nivellierenden Einheit der Christenheit, die aber auch keinesfalls ein multikulturelles Nebeneinander im Rahmen einer sodann eine bloße Illusion von Einheit vortäuschenden Organisation sein dürfe, und ist solcherart einmal mehr ein aus der Mode gefallener Unbequemer und Quertreiber. Einer zwar, der auf den Werken und Werten der Vätergenerationen aufbaut, doch dieses auf ebenso eigenwillige wie eigentümliche Art und Weise. Berger, der in jüngeren Jahren aus Gründen vermeintlicher Häresie im theologischen Streit mit der römischkatholischen Glaubensbürokratie in Ungnade gefallen war (man machte ihm eine Betonung des jüdischen Charakters Jesu Christi zum Vorwurf) und deswegen in weiterer Folge, da seine Willenskraft sich zu behaupten wünschte, schmerzenden Herzens von seinem Wunsch, Priester zu werden, absehen musste, sodann überhaupt dem Katholizismus äußerlich verlustig ging, zumal er aus existenzieller Notwendigkeit, um als Theologe arbeiten und lehren zu dürfen, juristisch zur evangelischen Kirche konvertieren musste, dieser Klaus Berger - äußerlich evangelisch, innerlich katholisch - führt heute in Wort, Tat und Unterlassung eine überwiegend katholisch geprägte ökumenische Existenz, deren kirchenpolitisches Ansinnen die unverbrüchliche Einheit aller Christen ist.

Der katholische Weltkatechismus hat in seiner aktuell letztgültigen Fassung Bergers in früheren Tagen noch anstößige Exegese zur jüdischen Identität Jesu Christi übernommen und ergo den einst verfemten theologischen Denker nachträglich rehabilitiert. Klaus Berger ist in diesen Tagen ein unter katholischen Gelehrten gerne gesehener Gast, welcher im Rahmen der sich ihm bietenden zwischenkonfessionellen Beziehungen sein in die Zukunft weisendes Sprachspiel von der einen Kirche Jesu Christi lehrt. Es ist die teils gewagte und teils sogar tollkühne, doch stets vermittels theologischer Vernunftbegriffe fundierte Vision der Wiederherstellung einer verlustig geratenen Einheit aller Christen, die ideale Vorstellung eines zukünftigen Zustandes also, welche im günstigsten Fall all jenen aus Bequemlichkeit, Unverträglichkeit oder Untertanenmentalität im unfraglich Seienden gedankenlos verharrenden christlich Gläubigen eine aufreizende Orientierung und Zielanleitung sein soll, die weg von der Spaltung und hin zur globalen Gemeinschaft aller Christen bei gleichzeitig weit reichender Wahrung des Reichtums christlicher Geisteskultur führt.

Ob der Erfolgsaussicht zur löblichen Ambition des Autors muss abwartende Skepsis geboten sein; das Buch selbst darf jedoch nichtsdestotrotz, allein schon wegen der reichhaltigen Fülle unkonventioneller Gedankengänge, des inspirierenden Inhalts und des einträglichen Stils wegen, zur Lektüre unbedingt empfohlen sein. Nicht jedem und jeder wird zwar gefallen, was Klaus Berger vermittels seiner geschliffenen Argumentationskunst über sein Schriftstück zum finalen Zwecke einer öffentlichen Thematisierung darbringt, doch, wie schon gesagt, ein um Gunst werbendes Opportunitätsstreben in Bezug auf das Denken von Moden und der Moderne mag wohl des einen oder anderen aus anderer Werkstatt stammenden Geisteshektikers allfällige Methode sein; - Klaus Bergers Art ist es nicht. Ein auf seine Weise progressiv vorwärts schreitender Hang zur unzeitgemäßen Betrachtung ist dieses Autors Metier. Mancher mag darin eine verzopfte Attitüde erblicken, die sich im Gestern verkriecht. Wie auch immer; platte Modernität ist bei Berger passé. Dafür bürgt sein Buch für eine Authentizität des Denkens, die sich biografisch als intellektueller Heroismus widerspiegelt. So denkt und schreibt ein in geistigen Dingen unbestechlicher Kopf. Was in unseren Tagen eine auch nicht mehr alltägliche Tugend literarischen Schaffens ist.

(Harald Schulz; 03/2006)


Klaus Berger: "Glaubensspaltung ist Gottesverrat"
Pattloch Verlag, 2006. 319 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen