Ralph Giordano: "Morris"
Geschichte einer Freundschaft
Diese Novelle war
Ralph Giordanos erste Veröffentlichung in Buchform und schuf die Grundlagen zu
"Die Bertinis".
"Morris - das ist die Geschichte jugendlicher Hingabe an Bedrohte, ein
Bekenntnis der Anfälligkeit für Schwächere, ohnmächtig gegenüber dem inneren
Zwang, ihnen auch unter Gefahr für den eigenen Leib, für das eigene Leben zu
helfen", schreibt Ralph Giordano in seinem Vorwort.
In dieser Novelle
begegnet der Ich-Erzähler im Alter von 15 Jahren dem Juden Morris Bertheaux, der
in Hamburg ein Uhrengeschäft besitzt. Diese Begegnung ist für den Erzähler
gleichzeitig eine Begegnung mit der Judenverfolgung in Deutschland, denn der
Laden wird gerade von einem anderen jungen Mann im Rahmen der
Reichskristallnacht verwüstet. Der gehbehinderte Ich-Erzähler hat mit den Nazis
seine eigenen Probleme und da er selber noch sehr jung ist, ist er auch als
Deutscher von der Nazi-Propaganda noch relativ unbeeinflusst. Und so freunden
sich die beiden an, der ältere Jude und der junge Mann.
Vor dem Hintergrund von Deportation, Tod und Verfolgung entsteht eine
Freundschaft, die den Krieg, die Bombennächte und alle Gefahr überdauert, und
bald auch die Familie Bertheaux, das heißt Morris' Frau und seine Eltern,
einschließt.
In kurzen Abschnitten
wird die Entwicklung der Verfolgung in den folgenden Jahren geschildert, wie zum
Beispiel Morris' Enteignung, die Inhaftierung in einem Lager, die Deportation
der Eltern nach Polen und die Nachrichten, die das Ehepaar immer wieder aus den
polnischen Gebieten über das Schicksal der dort lebenden Juden
bekommt.
Während Hamburg von den Engländern bombardiert wird, stirbt Morris'
Frau - denn die beiden werden als mischjüdisches Ehepaar nicht gerne in den
Luftschutzbunkern gesehen - und es sieht zunächst so aus, als würde Morris nun
endgültig am Leben verzweifeln. Aber er kommt bei zwei älteren Damen unter und
lebt dort lange deprimierende Monate in einem abgedunkelten Kellerraum, bis die
"Festung Hamburg" schließlich weitestgehend kampflos an die Engländer übergeben
wird. Danach beschließt Morris, den nun nichts mehr in Hamburg hält, nach
Liverpool zu gehen.
Am Beispiel des
Ich-Erzählers wird hier die Notwendigkeit reflektiert, ein Volk nach den
Ereignissen im Dritten Reich vollständig "umzukrempeln" und keine der alten
Strukturen zu übernehmen, um eine Wiederholung der Ereignisse zu vermeiden -
aber ebenso um die verwundeten Seelen aller betroffener Menschen, auch der Täter
und Wegschauer - heilen zu lassen. Mit der Tatsache, dass dies nicht wirklich
geschehen ist, setzt sich Giordano dann in seinen späteren Werken "Die
Traditionslüge", "Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein",
"Deutschlandreise" und "Wird Deutschland wieder gefährlich"
auseinander.
Ralph Giordano wurde
1923 in Hamburg geboren. Weil seine Mutter Jüdin war, fiel die Familie unter die
NS-Rassengesetze. Es folgten Flucht in die Illegalität und Befreiung durch die
Briten am 4. Mai 1945 in Hamburg. So wie Morris musste sich auch Giordano in den
letzten Wochen des Krieges in einem Hamburger Ruinenkeller vor der Gestapo
verstecken; ähnlich wie Morris erlebte er, wie nahe Verwandte verschleppt
wurden. Nach Kriegsende arbeitete Giordano als Journalist, Fernsehdokumentarist und Schriftsteller. Für seine publizistische Arbeit erhielt er zahlreiche
Auszeichnungen und Ehrungen.
Ralph Giordano starb am 10. Dezember 2014 im Alter von 91 Jahren an den Folgen
eines Oberschenkelhalsbruchs in Köln.
(K.-G. Beck-Ewerhardy)
Ralph Giordano: "Morris.
Geschichte einer Freundschaft"
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Weitere Bücher des Autors:
"Die
Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr"
Das Hauptverbrechen Hitlerdeutschlands war sein
Krieg, nicht Auschwitz. Denn erst die Siege der Wehrmacht ermöglichten Holocaust
und Völkermord. Trotzdem pflegt die Bundeswehr Traditionen der Wehrmacht, tragen
zwei Dutzend Kasernen immer noch die Namen von Wehrmachtoffizieren. Außer Widerstand
und Ungehorsam jedoch gibt es in der Geschichte des Deutschen Reiches bis 1945
keine Militärtraditionen, die von der Streitmacht des demokratischen Deutschlands
übernommen werden dürften. Mit diesem Buch setzt Ralph Giordano seinen kurz
nach der Befreiung begonnenen Kampf gegen deutsche Lebenslügen fort, die bis
heute überdauert haben. Am Beispiel von Erwin Rommel, Symbolfigur der Traditionslüge,
wird gezeigt, wie der Widerstand missbraucht wird, um die Ehre einer Armee zu
retten, deren Oberbefehlshaber Adolf Hitler war. Giordano:
"Nicht alle Wehrmachtangehörigen waren Verbrecher, aber sie alle haben dem verbrecherischsten
Krieg der Geschichte gedient." Außer Widerstand und Ungehorsam gibt es in der
Geschichte des Deutschen Reiches bis 1945 keinerlei Militärtraditionen, die
von der Bundeswehr übernommen werden dürften. Dennoch hat die Bundeswehr den
Kriegerkult in ihr Traditionsverständnis und ihre Traditionspflege einbezogen.
Das ist die Traditionslüge.
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"Deutschlandreise.
Aufzeichnungen aus einer schwierigen Heimat"
Gut 150 Jahre
nach Heinrich Heine begibt sich Ralph Giordano auf die Reise durch eine damals
wie heute "schwierige Heimat" und zieht eine literarische, politische und
historische Bilanz. Rügen und Obersalzberg, Köln und Hoyerswerda - der Autor
sucht Erinnerungsorte auf, setzt sich mit der jüngeren deutschen Geschichte und
der eigenen Vergangenheit auseinander. Landschaften und Städte werden ihm zum
Anlass, eine problematische Identität zu hinterfragen: Sind die Deutschen in Ost
und West überzeugte Demokraten geworden? Und sind sie "ganz normale Europäer"?
Giordano entwirft ein eindrucksvolles Portrait seiner Heimat und fordert
gleichzeitig zum Mitdenken und zu eigener Stellungnahme heraus. Ein Buch, das
von Sympathie und Kritik gleichermaßen geprägt ist, ein Buch, das Lust macht,
dieses Land neu zu entdecken.
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"Die zweite Schuld oder Von der Last
Deutscher zu sein"
Die
zweite Schuld hat die politische Kultur der Bundesrepublik wesentlich
mitgeprägt. Ihr Kern ist die kalte Amnestie für jede Art von Naziverbrechern,
darunter hohe Repräsentanten des NS-Vernichtungsapparats: Blutrichter und
-staatsanwälte, Militärs, Diplomaten, Wirtschaftsführer - die Funktionselite des
"Dritten Reichs", die bis 1958 nahezu lückenlos wieder in die
Nachkriegsgesellschaft eingegliedert war. Ralph Giordano nennt das den "großen
Frieden mit den Tätern", für ihn ein Fundament der bundesdeutschen
Staatsexistenz. Das Hauptthema Giordanos sind die Folgen der moralischen
Katastrophe, die eintrat, weil das Bekenntnis zur Kollektivschuld ausblieb. Das
Buch ist eine gnadenlose Abrechnung mit zahlreichen Einzelposten einer langen
politischen Mängelliste bundesdeutscher Wirklichkeit. Es wurde - mit Zorn,
Trauer und Hoffnung - geschrieben, damit sich nicht wiederholt, was schon einmal
in Verfolgung und Krieg mündete.
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"Die Bertinis"
Die Kriegserlebnisse verarbeitete Giordano in seiner autobiografischen Familien- und
Verfolgtensaga "Die Bertinis". An dem viele Hundert Seiten umfassenden Roman
arbeitete der Autor 40 Jahre lang.
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