Reinhard Engel: "Der wankende Riese"
Gewerkschaften zwischen Globalisierung und Krise der Sozialpartnerschaft
Auslaufmodell
Gewerkschaft
Das vorliegende Buch über 'Gewerkschaften zwischen
Globalisierung und Krise der Sozialpartnerschaft' (Untertitel)
behandelt ein sehr heikles Thema moderner Industriegesellschaften: die
galoppierende Entmachtung der (organisierten) Arbeitnehmer. Was seit
dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mühsam
erkämpft worden war, soll nun auf dem Altar der Globalisierung
dem Gott der Profitmaximierung geopfert werden. Im vorliegenden Buch
diskutiert der Autor diese Problematik am Beispiel des ÖGB,
des Österreichischen Gewerkschafts-Bundes. Engel skizziert
mögliche Chancen der Gewerkschaften in der Zukunft und
lässt Politiker, Wirtschaftler, Funktionäre,
Arbeitnehmer und Betriebsräte zu Wort kommen. Insgesamt
möchte uns Engel vermitteln, "was Gewerkschaftsarbeit in einer
modernen, internationalisierten Gesellschaft bedeutet" (vgl. Vorwort).
Gewerkschaften haben heutzutage finanzielle und strukturelle Probleme -
und sie laborieren an der wachsenden "Kluft zwischen der oberen
Führungsschicht und der Masse der Mitglieder", deren
Mitspracherecht oft ausgehöhlt erscheint und deren Mangel an
Kontrolle der Funktionäre zunimmt. Probleme sind die
Flächentarif- bzw. die Kollektivverträge sowie die
Untergrabung des Kündigungsschutzes. Die Zahl der Unternehmen
mit Betriebsrat nimmt ab, die Funktion und Effektivität der
Betriebsräte ebenso.
Der Industriesoziologe Hermann Kotthoff hat die Entwicklung der
Wirtschaft respektive der Rolle der Gewerkschaften einmal so
charakterisiert: "Erst ging es um den Aufbau, dann um Ausbau,
schließlich um Abbau, heute um Umbau." Die Arbeitnehmer und
ihre Gewerkschaftsvertreter sind heutzutage Erpressungsversuchen
ausgeliefert, deren Varianten da lauten: Personalabbau, Outsourcing,
Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Tarife oder ganz simpel
Schließung eines Betriebes. Die
Verhandlungsspielräume für die Gewerkschaften sind
sehr eng geworden - ein Generalstreik ist nur noch sehr selten eine
wirksame Drohgebärde. Neben dem regionalen und dem globalen
Denken hat das nationale an Bedeutung verloren. Die sogenannte
Sozialpartnerschaft unter dem Patronat starker Gewerkschaften ist ein
Auslaufmodell.
Unter diesem Eindruck kommt es zu vermehrten Austritten aus den
Gewerkschaften, so dass sich sogar die Frage stellt, ob Gewerkschaften
überhaupt noch zeitgemäß bzw. relevant
sind. Arbeitszeitmodelle und Tarifabschlüsse können
angeblich oder tatsächlich nicht mehr flächendeckend
beschlossen werden. Den Betrieben geht es ausschließlich um
internationale Wettbewerbsfähigkeit - da zählt das
einzelne Arbeitnehmerschicksal
überhaupt nichts mehr. Die Ironie der Geschichte will es so,
dass die Gewerkschaften an Glaubwürdigkeit verlieren -
eigentlich unverschuldetermaßen, denn sie sind immer auf den
Part des Reagierens gegenüber den Konzernen und
Wirtschaftspolitikern beschränkt. Das vorliegende Buch
verdeutlicht am österreichischen Beispiel eine wenig
hoffnungsfroh stimmende Entwicklung - die Tendenz weist für
die Gewerkschaften auf Rückschritt - der
Kapitalismus zeigt
immer unverhohlener seine Fratze.
(KS; 09/2006)
Reinhard
Engel: "Der wankende Riese"
Molden Verlag, 2006. 172 Seiten.
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