John Gribbin: "Geschöpfe aus Sternenstaub"

Warum wir nicht einzigartig sind

Wir sind Geschöpfe aus Sternenstaub. Der menschliche Körper besteht fast ausschließlich aus den Überresten ausgebrannter Sterne.


Was der Astrophysiker John Gribbin in seinem jüngsten Buch zu Diskussion stellt, bringt wohl so manches Weltbild ins Wanken und mag vor allem für das religiöse Selbstverständnis einer Mehrheit von anthropozentrisch empfindenden Erdenbewohnern eine nicht unbeachtliche Zumutung darstellen. Die mit viel Liebe zum Detail ausgeführte Hypothese besagt nämlich, dass die Rohstoffe für die Erschaffung des Lebens aus interstellaren Ausschüttungen herrühren, in gewaltigen Sternenexplosionen entstanden sind, und im Grunde überall, wo es die Verhältnisse zulassen, Formen des Lebens begründen können. Und deren günstige Orte gibt es im Weltall viele, ist Gribbin überzeugt. Es müsste demnach unwahrscheinlich, wenn nicht gar ausgeschlossen sein, dass dem Menschen eine Sonderstellung im Kosmos zukommt. Das Leben auf unserem Planeten ist folglich weder einzigartig, noch ist der Mensch als vernunftbegabtes Geschöpf zwangsläufig die exklusive Krönung allen Werdens, weil Sternenstaub, die Vorläufermaterie zu allem Leben, findet sich in allen Galaxien und fürwahr nicht nur in unserem Sonnensystem.

Gribbins Buch wäre nicht weiter beachtenswert, würde er darin nur eine vage Hypothese sensationellen Gehalts zum Besten geben, ein wissenschaftliches Geplauder um des Fabulierens willen. Dem ist jedoch nicht so. Gribbin versteht überzeugend darzulegen, warum seiner Auffassung vom kosmischen Ursprung des Lebens mehr Plausibilität zukommt als den klassischen Theorien, welche, in formaler Konformität mit religiösen Schöpfungserzählungen, das Leben dem Mutterschoß unseres vertrauten Planeten entschlüpfen lassen. Alleine schon die Tatsache, dass für den Zeitpunkt um weniger als 600 Millionen Jahre nach Entstehung des Planeten Erde bereits einfachste Formen des Lebens nachweisbar sind, spricht für Gribbins These, da es unwahrscheinlich ist, dass sich in dieser kurzen Zeitspanne aus völlig toter Materie auch nur die Vorläufersubstanzen zur Bildung von Lebensformen herausbilden konnten. Geht man hingegen davon aus, dass diese Grundbausteine in Gestalt interplanetarer Staubteilchen sachte auf die Erde herunterschwebten, solcherart auch in unseren Tagen alljährlich etwa 300 Tonnen organische Materie auf die Oberfläche des Planeten gelangen, so überspringt man nicht nur mühelos die kurze - und für die Entstehung von Leben allzu kurze - Zeitspanne von 600 Millionen Jahren, sondern gewinnt zusätzlich eine Zeitspanne von 10 Milliarden Jahren, was dann selbstverständlich jedem auch noch so sperrigen Entwicklungsprozess zu seiner Machbarkeit verhilft. Die Ursprünge des Lebens wären demnach wesentlich älter als unser Planet. Freilich, diese Vorläufersubstanzen des Lebens, welche auf die junge Erde fielen, fanden sich erst hier zu Biomolekülen zusammen. Was jedoch wiederum eine ganz andere Geschichte ist.

Was in obiger Ausführung so salopp skizziert wird, liest sich in einer seriösen wissenschaftlichen Darstellung natürlich weitaus komplizierter. Und der Wissenschaftspublizist John Gribbin bemüht sich auch um eine entsprechend fachspezifische Fundierung seiner Hypothese über den Ursprung des Lebens. Hohe Mathematik wie auch esoterisches Fachlatein werden tunlichst gemieden, doch bleibt dem Leser eine allgemeine Einführung in die Grundbegriffe der Physik nicht erspart. Und so werden Bildungslücken aufgefüllt, man lernt auf ein Neues, dass ein Element der einfachste Stoff ist, der mit chemischen Mitteln nicht in einfachere Bausteine zerlegbar ist, wie ein Atom - aber auch unser Sonnensystem - aufgebaut ist, dass das sichtbare Weltall von nur zwei Atomsorten beherrscht wird (75 Prozent Wasserstoff, 25 Prozent Helium), wie sich Elemente (beziehungsweise Atome) zu Molekülen verbinden; man vertieft sich in die klassische doch überholte Panspermie-Hypothese, demnach die Erde mit Lebenskeimen in Form von Mikroorganismen (hauptsächlich Bakterien) besät worden sei, und befasst sich mit der "Speziellen Relativitätstheorie" von Albert Einstein, dessen ebenso schlichte wie geniale Formel zur Äquivalenz von Masse und Energie, E=mc², zwar jedem Alltagsverstand widerspricht, nichtsdestotrotz jedoch noch jeder experimentellen Überprüfung standgehalten hat. All dieses, und noch viel mehr, bildet zweifellos den Sachverstand und dient letztlich dem einen Zweck, den Leser - und wohl auch die fachkundige Gelehrtenwelt - davon zu überzeugen, dass alle Lebewesen dieser Erde Geschöpfe aus Sternenstaub sind.

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es John Gribbin mit seinem Bildungsauftrag zuweilen zu gut meint, so dass der Leser das eigentliche Thema aus dem Blick verliert und sich gelegentlich in der Faszination Physik bzw. Astrophysik verlieren mag. Man könnte das Buch also vielleicht schlanker abfassen, bzw. die gegenständliche Hypothese für den Laien mit deutlich weniger Worten abhandeln, obgleich natürlich auch dieser Überfluss, diese unmäßige Lust des Autors am Erzählen und Erklären ihren Reiz hat und letztlich, über den Zugewinn von Sachkompetenz, einem umfassenden Verständnis nur dienlich sein kann.

Im Anhang zu den neun Kapiteln zur Sternenstaubtheorie findet sich eine kleine Überraschung, die mit der eigentlichen Thematik bestenfalls mittelbar noch zu tun hat. Gribbin skizziert an dieser Stelle vermittels eines eigenen Kapitels eine zugegebenermaßen noch unausgereifte Hypothese aus der Hexenküche der Astrophysik, welche in Anlehnung an Charles Darwins Evolutionstheorie das Werden der Welten beschreibt, als wären sie lebende Systeme. Nach diesem Modell bilden sich in einem jeden Weltall, über die Schwarzen Löcher, Keime neuer Welten aus, welche ihren Elternwelten genetisch ähnlich sind, sich im Konkurrenzkampf um "Lebensraum" durchsetzen müssen, dabei dem darwinistischen Selektionsprinzip unterliegen, und schlussendlich, sobald sie sich ihr Territorium gesichert haben, selbst Nachkommen ausbilden. Die Welten mit den meisten Nachkommen sind "erfolgreich" und bringen dem gemäß, durch natürliche Selektion, über ihre Nachkommen zunehmend komplexere Welten zur Gestaltung. In der Generationenfolge von Welten findet solcherart ein echter Evolutionsprozess statt, welcher eine Modifizierung der physikalischen Gesetze begünstigt und das Dasein in seiner kosmischen Dimension zur Entfaltung bringt.

Ob John Gribbins Thesen "richtig" sind, muss aus der Sicht eines Laien dahingestellt bleiben, faszinierend sind sie noch allemal. Spannend und lehrreich lesen sich seine Ausführungen zur Herkunft des Lebens und zu den lebenden Systemen, als welche die Welten neuerdings denkbar geworden sind. Um die Thematik noch einmal in ihrer ganzen Brisanz zu resümieren, möge das Schlusswort somit dem Physiker überlassen sein: "Wir bestehen aus Sternenstaub, weil wir eine natürliche Folge der Existenz von Sternen sind, und wenn man sich dies klarmacht, dann kann man eigentlich nicht mehr glauben, dass wir allein im Weltall sind - und damit einzigartig."

John Gribbin, geboren 1946 in Maidstone/Kent, studierte Physik und Astronomie, war Mitarbeiter bei "Nature", "New Scientist" und der "Times". Er lehrt und forscht an der University of Sussex. Autor zahlreicher Sachbücher, darunter "Auf der Suche nach Schrödingers Katze", "Richard Feynman" (mit Mary Gribbin) und "Wissenschaft für die Westentasche".

(Harald Schulz; 09/2003)


John Gribbin: "Geschöpfe aus Sternenstaub. Warum wir nicht einzigartig sind"
(Originaltitel "Stardust")
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt.
Piper, 2003. 274 Seiten mit 8 Seiten Farbbildteil und 21 s/w-Grafiken.
ISBN 3-492-04414-X.
ca. EUR 19,90.
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