Arnulf Krause: "Die Geschichte der Germanen"
Im Vorjahr konnte man in den
Buchhandlungen ein im Campus-Verlag erschienenes, optisch aufregendes Buch mit
dem verlockenden Titel "Die Welt der Kelten" bewundern. Geschrieben
hat es der Bonner Germanist Arnulf Krause, der einer der führenden Experten für
germanische Heldensagen und die Dichtungen der
Edda ist. In diesem Sommer legt
der Autor mit einer Neuauflage seines 2002 erschienenen Buches "Die
Geschichte der Germanen" nach. Auch dieses Buch besticht durch seine
Quellenkenntnis und den sachlichen, aber belletristischen Erzählstil. Da unsere
Vorfahren ein immer populäreres Thema geworden sind, kommt dieses Buch gerade
recht, denn es ist akademisch fundiert und zugleich angenehm lesbar.
Es gliedert sich in einen Hauptteil und zahlreiche Exkurse. Im Hauptteil wird
Krauses These, dass es "die" Germanen als einzelnes Volk so nicht
gegeben hat, dass sie keine starke eigene Identität hatten, aber immer bereit
waren, fremdes Kulturgut aufzunehmen, eindrucksvoll bewiesen. Es gilt ja sogar
heute noch, dass es wenige Völker gibt, die eine derartige Begeisterung für
die Kultur anderer Völker aufbringen wie das der Deutschen. Wer hierzulande als
kultiviert gelten will, prahlt beim Italiener mit authentischen Wortfetzen und
solider Weinkenntnis, hat sein savoir vivre während seiner Aufenthalte
in der Provence gewonnen und zitiert Shakespeare, anstatt von Theoderich dem Großen
zu schwärmen. In dieser Hinsicht - soviel stellt Krause klar - war das Dritte
Reich mit seiner Deutschtümelei die Zuspitzung einer nationalen Befindlichkeit,
die sich höchstens auf das späte 19. Jahrhundert, aber nicht weiter zurück
erstreckte.
Krause erzählt die deutsche Geschichte anhand der erhaltenen Schriftstücke
nach. Sie beginnt
in der Römerzeit bei Tacitus und seiner Schrift "Über
die Germanen" und endet im Spätmittelalter beim Verlöschen der
Wikingerbewegung. Ger hieß ja auf altdeutsch der "Speer", aber
Germanen nannten sich jene Völker, die damals in Mitteleuropa außerhalb des römischen
Reiches lebten, nicht, noch unterschieden sie sich so besonders stark von den
Alpenbewohnern oder den Galliern. Es war eine große Anzahl kleinerer Völker,
die sich untereinander nur selten ähnelten und auch nicht, wie Cäsar im "Gallischen
Krieg" schreibt, jenseits des Rheins lebten. Da der römische Feldherr
diesen Fluss als Grenze festschrieb, entspannen sich Streitigkeiten zwischen
Deutschen und Franzosen bis ins 20. Jahrhundert. Tatsache aber ist, dass dieser
Fluss keine Grenze zwischen all den munteren deutschen Völkchen bildete, die
durchaus zwischendurch bereit waren, von den Römern zu lernen. Ein Klischee
kann Krause allerdings nicht ausräumen: Das des marodierenden biersaufenden
Primitiven, der lieber eine Stadt ausraubt, anstatt fleißig zu arbeiten. Erst
die Erfindung des Steuerstaates scheint hier einen Ausgleich geschaffen zu
haben.
In seinen zahlreichen "Exkursen" geht Krause auf jene Phänomene ein,
die heute am Buchmarkt für Furore sorgen. Wie sieht es mit der Götterwelt der
Germanen aus? Welche Bedeutung hatten die Moorleichen? Was sind
Runen,
und wie wurden sie verwendet? Was war die Magie der Germanen, und ihre Kunst,
wie lebten sie im Alltag? Krause beschränkt sich hier im Wesentlichen auf ältere
schriftliche Quellen und hält sich von jeder Spekulation fern. Seine Stärke
liegt zweifelsohne in der Auslegung und Zuordnung der Heldenlieder, die er kurz
rekapituliert und geschichtlichen Personen zuordnet.
Zusammengefasst ist es ein für den Schulunterricht geeignetes Buch, das
unterhaltsam zu lesen ist und eine solide Grundlage für alle bietet, die
geschichtliche Fakten zum Thema der Germanen suchen. Zahlreiche, zum Teil auch
farbige Abbildungen heben den Wert der ungewöhnlich preisgünstigen
Taschenbuchausgabe.
(Berndt Rieger; 07/2005)
Arnulf Krause: "Die Geschichte der
Germanen"
Campus, 2005. 296 Seiten.
ISBN 3-593-37800-0.
Buch
bei amazon.de bestellen
Ein weiteres Buch des Autors:
"Die Welt der Kelten. Geschichte und Mythos eines rätselhaften Volkes"
Sie gelten als antikes Kernvolk Europas, sie siedelten von Spanien bis Anatolien
und von Italien bis Irland: die Kelten. Die
keltische
Kultur und ihre Mythen faszinieren uns noch heute, sensationelle Funde fördern
immer neue Überraschungen zutage. (Campus)
Buch
bei amazon.de bestellen
Leseprobe:
Diese Katastrophe hat einen Namen, der bis heute in Deutschland mit einem der
wichtigsten Ereignisse der vermeintlich nationalen Geschichte verbunden wird:
die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Chr. Ihr siegreicher Held ist
"Hermann der Cherusker", dem 1875 bei Detmold ein monumentales Denkmal
von mehr als 53 Metern Höhe gesetzt wurde. Die Bronzefigur des ersten Befreiers
der "Deutschen" trägt einen Flügelhelm und reckt mit der Rechten ein
elf Zentner schweres Schwert in den Himmel. Mehr als 125 Jahre nach der
Einweihung, bei der Kaiser Wilhelm I. höchstpersönlich sich die Ehre gab, ist
das wilhelminische Monstrum noch immer ein beliebtes Ausflugsziel. Historisch
ist jedoch nichts Wahres an dem Riesengermanen: Ein Flügelhelm, eher in den
Fundus einer Wagneroper passend, wurde nie von einem Germanen getragen. Den
Recken Hermann hat es nie gegeben, allenfalls hieß er Arminius, und der erste
"deutsche" Nationalheld war er auch nicht; denn bis die Deutschen sich
selbst entdeckten, sollten noch 1000 Jahre vergehen. Mittlerweile weiß man
auch, dass die Schlacht im Teutoburger Wald gar nicht in diesem bis ins 17.
Jahrhundert Osning genannten Mittelgebirge stattgefunden hat, sondern lediglich
in dessen weiterer Umgebung. Als historische Tatsache des Jahres 9 bleibt aber
eine in der Tat denkwürdige Niederlage Roms.
Die Ereignisse dieses Jahres rücken einen germanischen Stamm ins Licht der Geschichte
und mit ihm einige Personen. Zum ersten Mal treten in der antiken Geschichtsschreibung
Germanen als Persönlichkeiten stärker hervor. Die Cherusker, was "Hirschleute"
bedeuten könnte, siedelten im Gebiet von Teutoburger Wald und Weser, etwa bis
zum Harz. Den Römern ging der Stamm lange Zeit aus dem Weg.
Für seine Berühmtheit mag ein Vertrag verantwortlich sein, in dem Tiberius auf
dem Germanienfeldzug die Cherusker zu Verbündeten machte. Die vornehmste Sippe
des Stammes war von diesem Entschluss offenbar überzeugt, denn der Gauhäuptling
Sigimer ließ zwei seiner Söhne in römische Dienste treten. Sie wurden so integriert,
dass nur ihre lateinischen Namen überliefert sind: Flavus und Arminius. Beide
kämpften als römische Offiziere in den Heeren Roms, und von Letzterem wissen
wir, dass er eine herausragende Karriere machte: Unter anderem bewies er beim
Pannonischen Aufstand seine Treue und seinen Mut, vielleicht sogar in der Funktion
eines Präfekten über cheruskische Auxiliareinheiten, also Hilfstruppen. Arminius
kannte sich aus in der römischen Welt, mit Sicherheit in den Provinzen, vielleicht
sogar in Rom. Die lateinische Sprache beherrschte er fließend. Selbst vor Römern
dürfte er eine gute Figur gemacht haben, besaß er doch das römische Bürgerrecht
und den Rang eines Ritters. Dennoch zeigte er auch seine barbarische Seite,
so als er dem Häuptling Segestes dessen Tochter
Thusnelda
raubte und sie zur Frau nahm. Dies lässt tief in die Stammesbräuche blicken
und brachte Arminius die Todfeindschaft seines Schwiegervaters ein.
Aus Pannonien zurückgekehrt bewies er weiterhin seine Verbundenheit zu Rom,
denn er bewegte sich im unmittelbaren Umfeld des Varus und begleitete ihn auf
seinen Zügen durch das Land. Arminius und sein Vater Sigimer werden sogar als
Tischgäste des Statthalters bezeichnet. Er scheint ihnen vollständig vertraut
zu haben, vor allem Arminius, der ihm lateinisch sprechend und als Römer
gekleidet gegenübertrat. In den Plänen des Varus spielte er eine wichtige
Rolle und sollte im zukünftigen Provinzialgermanien zentrale Aufgaben übernehmen.
Dies alles änderte sich schlagartig im Spätsommer des Jahres 9. Die römischen
Historiker werfen dem Statthalter bodenlosen Leichtsinn und eine völlige
Verkennung der Situation vor: Er vertraute den Germanen blindlings, wo sie doch
bei aller Wildheit äußerst schlau seien und zudem von Geburt an zur Lüge
neigten. So vermieden sie zwar den offenen Aufstand, weil sie am Rhein und im
Inneren Germaniens die römischen Legionen wussten. Sie täuschten vor, hinter
allen Forderungen des Varus zu stehen. In Wahrheit aber wollten die Stammeshäuptlinge
wieder ihre traditionelle Macht erringen und die fremde Tyrannei beenden.
Folgende konkrete Ereignisse sind überliefert: Die germanischen
Adligen, vor
allem die Cherusker, hatten Varus ihre vollständige Loyalität
zugesichert. Sie
vermittelten ihm den Eindruck, auch ohne militärische Gewalt seinen
Anordnungen
und den Gesetzen Roms zu folgen. Auf diese Weise lockten sie ihn weit
in das
Gebiet der Cherusker bis zur Weser. Der Anführer dieser Verschwörung
war
ausgerechnet Arminius. Der Fast-Römer, der römische Offizier und Kenner
des
kaiserlichen Heeres redete wortreich davon, dass die Legionen mit ihren
Hilfstruppen besiegt werden könnten. Dazu bot er die richtige Strategie
an - unter einer Bedingung: Den Oberbefehl über die Verbände der
Aufständischen
sollte er führen. Nur Übersicht und römische Disziplin gewährleisteten
den
Erfolg des gesamten Unternehmens. (...)