Wim Luijpers, Rudolf Nagiller: "Gentle Moving. Bewegen nach Feldenkrais"

Gentle bewegst du dich, wenn du dich natürlich bewegst, so wie es in deiner Natur liegt. Die Natur ist gentle.

(Zitat aus "Gentle Moving")


Nach ihrem viel beachteten Erstling über die Kunst des richtigen Laufens - in Bezug auf behutsames, freundliches, sanftes Laufen als "Gentle Running" betitelt - wendet sich das Autorenduo Wim Luijpers und Rudolf Nagiller nun mit einem Ratgeber zur bewussten Ausführung von Alltagsbewegung an ein Publikum, das ob seiner zur Selbsterkenntnis gebrachten Entleibungserfahrung an der Wiederentdeckung von Körperintelligenz notgedrungen interessiert sein sollte.

Entleibungserfahrung?! Gar wohl, denn geht menschliches Leben in vielen Fällen nicht mit einem schleichenden Verlust von Körperwahrnehmung einher? Und werden nicht alltägliche Verrichtungen üblich in mehr oder minder dumpfer Halbbewusstheit, also auch recht fahrig beziehungsweise fahrlässig, ausgeführt? Dergestalt als automatisierte Flüchtigkeiten, die, ihrer Mangelhaftigkeit wegen, in Summe einen Rattenschwanz von körperlichen und seelischen Beschwerden nach sich ziehen. In der Tat werden Bewegungsmuster in der Regel über gesellschaftliche Vermittlung eingelernt, ja geradezu andressiert und in weiterer Folge als fraglose Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Lebensvollzugs gewohnheitsmäßig ausgeführt. Und das ohne Bedachtnahme auf etwaige Folgeschäden. Ruhig sitzen, wie es dem Schüler geboten ist, oder stramm stehen, wie beim Militär dem Rekruten anbefohlen, mag beides der um Anpassung bemühten Person vielleicht als eine - wenn auch zweifelhafte - Tugend angerechnet werden, dem Körper jedoch ist es ein Schaden, weil weder ist ruhiges Sitzen natürlich, noch strammes Stehen der Anatomie des Menschen gerecht. Und der Frauen Liebe zu ihren hohen Stöckeln wird mit ruinösen Gesundheitsschäden erkauft, zu deren gewissenhafter und nicht ganz unpolemisch dargebrachter Aufzählung sich Luijpers und Nagiller - bei allem offen bekundeten Respekt vor der holden Weiblichkeit - nach reiflicher Überlegung doch entschlossen haben. Stöckelschuhe mögen zwar trendig und wohl auch sexy sein, doch zum Gehen eignen sie sich nicht.

Sich der körperlichen Selbstentfremdung gewahr zu werden und aus dieser Erkenntnis die richtige Konsequenz zu ziehen, ist das erklärte Anliegen von "Gentle Moving", einem von Wim Luijpers entwickelten Bewegungstraining, das sich an der von Moshé Feldenkrais (1904-1984), einem israelischen Physiker, begründeten Methode des dynamischen Körperlernens durch Selbsterfahrung orientiert. Anhand einer Vielzahl praktischer Anleitungen sollen alltägliche Bewegungsfehler erkannt und vermittels bewusster Übertreibung spürbar gemacht werden. Sodann werden die empfohlenen Weisen des Stehens, Gehens, Atmens, Sitzens, und noch einiges mehr, eingeübt, all dies in Hinblick auf die Verwirklichung von mehr Wohlbefinden im Alltag.

"Gentle Moving" versteht sich somit als eine Reise zur Entdeckung des eigenen Körpers, als eine durchdachte Methode zur Rückgewinnung einer unverkrampften Körperlichkeit, die einen Zugewinn an Lebensfreude verheißt. In diesem Zusammenhang kommt auch bissige Kritik an modischen oder immer schon kursierenden Praktiken zur Sprache. So wird der in diesen Tagen so beliebten Leistungsschinderei in Fitnesscentern schlichtweg das Merkmal des "gentle" abgesprochen, weil sportliche Bewegung in erster Linie lustvoll und nicht etwa langweilig oder gar quälend sein sollte. Ganzheitliches Wohlbefinden und nicht die Präsenz gestählter Athletik sollte einem vernünftigen Begriff von Körperkultur allemal noch zugrunde liegen. Sportliche Askese ist jedenfalls völlig verfehlt, denn in Bezug auf die erwünschte Entwicklung von Fitness schlussendlich kontraproduktiv und dem Lebensgenuss als eine Praxis der Selbstpeinigung sowieso abträglich. Fitness, Gesundheit und eine gewisse Verjüngung des Körpers sind lediglich erfreuliche Nebenprodukte einer sanften Bewegungskultur, die für sich jeglichen Leistungsdruck als schädlich zurückweist. Der geistig-seelische Aspekt steht bei Luijpers im Vordergrund, wie ja auch seine Methode des "Gentle Running" als ein eher meditatives Laufen bzw. als ein "faules Ganzkörperlaufen, mit allen Gliedern, ohne Selbstquälerei" zu begreifen ist. "Sorry, GENTLE RUNNING ist kein Sport; und schon gar kein Leistungssport", wird Luijpers nicht müde zu betonen.

Umgangssprachlich verfasst, übersichtlich strukturiert, mit einer Fülle von praktischen Anweisungen zur unmittelbaren Umsetzung angerissener Ideen, erweist sich das gleichnamige Buch zu "Gentle Moving" als anregender Ratgeber für Personen, denen es in ihrem Alltag um Lebenslust, bessere Ausstrahlung, Fitness, Gesundheit und Prävention von Krankheit und Gelenksabnützung geht. Und wer sich an dem allemal noch Glückseligkeit verströmenden Anblick des blonden Hünen Wim Luijpers nicht stößt, sondern gar daran erfreut, der ist mit gezählten neunzehn Stück ganzseitiger Porträtfotos und ungezählten kleinformatigeren Ablichtungen des Laufgurus sicherlich gut bedient. Die hierbei offenbar angewandte Methode bewusster Übertreibung droht in der Tat in einen Personenkult um den Lauftrainer Luijpers auszuarten, dessen illustrative Selbstvermarktung in manchen Aspekten beinahe schon messianische Züge annimmt, obgleich diese auch zuweilen in ihrer Gestik an volkstümlichere Kulturträger von der Statur eines Hansi Hinterseer gemahnt. Ein "Gentle Criticism" also, den man diesem ansonsten durchaus gelungenen Lebensstilratgeber leider doch nicht ersparen kann. Wim Luijpers, der durch Fachkompetenz zu überzeugen weiß, sollte es eigentlich nicht nötig haben, sein Äußeres in Manier einer Popdiva oder eines um Gefolgschaft buhlenden Heilspredigers zu prostituieren. Der geneigte Leser wäre jetzt jedoch schlecht beraten, sich durch diesen etwas aufreizenden und sicherlich auch geschmäcklerischen Nebenaspekt von der Lektüre dieses ansonsten ebenso gestalterisch ansprechenden wie wertvolles Anwendungswissen vermittelnden Buches abschrecken zu lassen. Schließlich geht es primär um mehr Lebensfreude im Alltag durch bewusstes Bewegen. Und dazu haben das Autorenduo Luijpers und Nagiller doch einiges von inhaltlichem Gewicht beizutragen.

Wim Luijpers, Jahrgang 1970, ist als Bewegungs- und Lauftrainer tätig. Er lebt abwechselnd im Burgenland und in Griechenland.

Rudolf Nagiller wurde 1943 geboren. Er arbeitet als Journalist. Der passionierte Läufer und Feldenkrais-Kenner lebt in Perchtoldsdorf bei Wien.

 (Harald Schulz; 05/2003)


Wim Luijpers, Rudolf Nagiller: "Gentle Moving. Bewegen nach Feldenkrais"
NP Verlag, 2003. 176 Seiten. 
ISBN 3-
85326-106-X.
ca. EUR 19,90.
Buch bestellen

Lien:
Netzseite von Wim Luijpers