Rudolf Gelpke: "Vom Rausch im Orient und Okzident"
Eros und Rausch als Mittel zur Erreichung höherer Ziele!
Rauschfeindlichkeit ist eine Einstellung, die dem Okzident - und hier auch erst in den letzten Jahrhunderten - zu eigen ist. Ganz anders da der Orient - wenn sich auch hier infolge der Ausbreitung fundamentalistischer Tendenzen ähnliche Entwicklungen abzeichnen wie im Abendland.
Der Schweizer Orientalist, Religionswissenschafter und Philologe, Rudolf
Gelpke, Spross einer großbürgerlichen Familie, war schon seit seiner frühen
Jugend an Vergeistigung interessiert; so begab er sich in das sagenumwobene
Morgenland, um die dortige Kultur, Religion und Sprache zu studieren. Diese
Begegnung mit dem Orient wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis, das ihn zeitlebens
nicht mehr los ließ, und so fasste er den Entschluss, nachdem er eine strahlende
akademische Karriere in Europa und den USA hinter sich gelassen hatte, in Persien
seine neue Heimat zu finden. Zweifellos war es wohl eher noch das "alte" Persien,
jenes also zur Zeit, ehe noch Ayatollah Khomeini den islamischen Fundamentalismus
in die übrige islamische Welt exportierte.
Dieses Persien war damals - wenn auch nicht politisch - ein relativ freisinniges
und tolerantes Land, in dem Gelpke sich mit allen Facetten dieser dortigen Kultur
vertraut machen konnte. Er merkte bald, dass dieser Teil der Welt ein ganz anderes
Verständnis von Rausch und Eros hatte als dieses, das er vom Westen her kannte.
Während hierzulande der Rausch - zumeist ist ohnehin nur der Alkoholrausch gemeint
- eine zweifelhafte Färbung aufweist, sieht der Orientale in der Berauschung u.
a. ein Mittel, mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten. Seine Studien der alten
Dichter wie Hafis,
Chayam und Rumi lieferten
ihm den handfesten Beweis, dass Ekstase nicht - wie im christlichen Abendland
- zumeist dem "Bösen" zuzuordnen sei, sondern ganz im Gegenteil, oftmals als ein
wesentlicher Bestandteil religiöser Praxis angesehen wird. Gelpke legte in seinem
Werk "Vom Rausch im Orient und Okzident" dar, dass beispielsweise die ernsthaft
nach Verinnerlichung strebenden Sufis sich durchaus auch Rauschdrogen, wie vor
allem Haschischs und Opiums befleißigten, um das zu erreichen, was man in unseren
Religionen - leider viel zu selten - als unio mystica, also die unmittelbare Vereinigung
zwischen Mensch und Gott bzw. göttlichem Prinzip, anstrebt. Dass im Wort Vereinigung
durchaus auch eine erotische Komponente liegt, ist kein Zufall. Der islamische
Orient hat oftmals einen völlig anderen Zugang zur Erotik, als der puritanische
Westen.
Gelpkes Buch scheint sich, vordergründig betrachtet, mit dem Rausch zu beschäftigen; es wäre allerdings völlig verfehlt, dieses Werk als eines von vielen weiteren - und wie es derzeit wiederum ziemlich modern ist - "Rauschhandbüchern" anzusehen. Dazu ist Gelpke viel zu tief in den Orient eingedrungen. Gelpke war aus diesem tiefen Verständnis für diese dortige Welt auch in der Lage, etliche großartige dichterische Werke dem Westen zugänglich zu machen und nahm so eine Mittlerrolle zwischen Morgen- und Abendland ein. Berühmt ist seine hervorragende Übersetzung des hochangesehenen, für sämtliche orientalische Liebesgeschichten als stellvertretend geltenden Romans "Leila und Madschun".
Was das Buch "Vom Rausch im Orient und Okzident" betrifft, so überzeugt
es nicht zuletzt auch deshalb, weil Gelpke mit seiner stupenden Kenntnis der orientalischen
Seele Dinge zu vermitteln versteht, die bis dato von westlichen Autoren in dieser
Form ihrem Publikum noch nie zuvor zugänglich gemacht worden sind. Darüber hinaus
lässt sein "Kulturenvergleich" vieles, was von Abendländern oft als gegeben hingenommen
wird, in einer neuen, - im Vergleich zum Morgenland - nicht selten kleinkarierten
Weise erscheinen! Es versteht sich anhand des bisher Gesagten fast schon von selbst,
dass unser rational-aufgeklärtes Denken dabei mitunter gar nicht gut wegkommt:
Eine seiner grundlegendsten Theorien ist nämlich, dass der Orient den Rausch und
die Ekstase zumeist dazu verwendet, um "zu sich", zum Wesenskern sozusagen, zu
gelangen, während der Okzident meistens im Rausch vor sich flüchten will. Dergestalt
ist es klar, dass Drogenkonsum im Westen mit all seinen möglichen unguten Begleiterscheinungen
(was Gelpke auch keineswegs leugnet!) einhergehen kann und im schlimmsten Fall
zur Zerstörung des Individuums beizutragen imstande ist.
Gelpke weist durchaus auch auf die Gefahren hin, die in einem konsumorientierten
Missbrauch von Rauschmittel liegen, er macht dafür aber eher eine emotional-spirituelle
Dekadenz des Okzidents, denn die Rauschmittel an sich, verantwortlich.
Anhand von zahlreichen Beispielen von Dichtern oder/und Mystikern offenbart
er dem Leser eine Welt, wie sie jenseits von christlichen Moralbegriffen ist und
bei uns sein könnte. Letztlich ist Gelpke aber auch genug Realist, um zu betonen,
dass viele der Rauschmittel den heutigen Abendländern (ohne entsprechende Einführung
und Aufsicht!) besser erst gar nicht in die Hand gegeben werden sollten, zumal
selbige mit ihrer verkommenen, verklemmten Konsummentalität, dabei Dinge offen
zu legen imstande wären, die vielen von ihnen zu großen persönlichen psychischen
Schwierigkeiten gereichen könnten.
Rudolf Gelpke war nach seiner Rückkehr aus
Persien
bemüht, dem Abendland einen eben anderen Zugang zu Ekstase, Eros und Rausch
nahe zu bringen. Obgleich er sich psychonautischen Pionieren wie z. B.
Timothy
Leary, Albert Hoffmann (dem Entdecker des LSD) u. a. anzuschließen und deren
Arbeiten mit seinen "orientalischen" Erfahrungen zu bereichern suchte, bleibt
dahingestellt, in wie fern das Abendland zu einer derartigen Betrachtungsweise
hinsichtlich solch heikler Themen (schon!?) bereit ist.
Wenn auch in unseren Breiten immer noch das meiste abseits von Wein, Schnaps und Bier als kulturfremd und deshalb höchst bedrohlich abgetan wird, so ist dieses Buch Gelpkes dennoch höchst lesenswert, weil es auch abseits der Beschreibung von diversen Rauschmitteln einen mehr als gelungenen Einblick in die - anscheinend - so andersartige Welt des Orients bietet.
(Ex Oriente Lux; 09/2002)
Rudolf Gelpke: "Vom Rausch im Orient und Okzident"
Klett-Cotta,
1995. 271 Seiten.
ISBN 3-6089-1720-9.
ca. EUR 25,-.
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