Gunther Moll/ Ralph Dawirs/ Svenja Niescken: "Hallo, hier spricht mein Gehirn"

Eine Entdeckungsreise von der Zeugung bis zum Schulanfang
Mit Illustrationen von Eva Wagendristel


Gunter Moll ist Psychiater und Leiter der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Universitäts-Klinikum in Erlangen. Sein Erlanger Kollege Ralph Dawirs ist Biologe und Gehirnexperte am selben Institut. Svenja Niescken hat sich als Journalistin und Psychologin ausführlich mit den verschiedenen psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters beschäftigt.

Ihnen allen lag es schon seit langem am Herzen, der Öffentlichkeit die Ergebnisse ihrer Forschungen in einer knappen, allgemeinverständlichen Form zu präsentieren. Denn nur auf diese Weise - so ihre Gedanken - würden sich diejenigen erreichen lassen, die für das Gelingen einer positiven Entwicklung hin zur psychischen Gesundheit von Kindern eine ganz besondere und von niemandem sonst zu übernehmende Verantwortung tragen: die werdenden Eltern und die jungen Eltern.

Und so ist ein Buch herausgekommen, das in einfacher Sprache (es "spricht" zunächst das Gehirn des Fötus und später der Säugling selbst) die aktuellen Ergebnisse der Hirnforschung über die Entwicklungsschritte des menschlichen Gehirns während der Schwangerschaft und in den ersten Jahren nach der Geburt beschreibt und gleichzeitig als vorsichtiger, partnerschaftlicher Ratgeber daherkommt, der Eltern ermutigen will, die für die positive Entwicklung des kindlichen Gehirns nötigen Dinge zu tun bzw. zu unterlassen.

Ein Beispiel für dieses nur als gelungen zu bezeichnende Vorhaben:
"Manchmal bekomme ich plötzlich Angst, dass Mamas und Papas Zuneigungsbeweise eines Tages nachlassen oder sogar aufhören könnten. Das wäre ganz schlimm, wo ihre liebevolle Zuwendung doch so wichtig für mich ist. Natürlich könnte es auch noch viel schlimmer kommen: Sie könnten mir beispielsweise Angst machen und mir so das Gefühl nehmen, bei ihnen sicher und geborgen zu sein. Wir sprachen ja schon über die enormen Gefahren, die für die weitere Entwicklung meines Gehirns und damit meiner gesamten Persönlichkeit von Tabakqualm, Alkohol, Medikamenten und Giftstoffen ausgehen. Aber auch körperliche und seelische Misshandlungen, gegen die ich mich in meiner jetzigen Position auch gar nicht wehren könnte, stellen in diesem Zusammenhang eine ernste Bedrohung für die Entwicklung meines Gehirns dar. Ich hoffe wirklich, dass mir solche Erschütterungen erspart bleiben, sie könnten die Entwicklung meiner Nervenzellnetze empfindlich treffen und hier Verletzungen erzeugen, die zu unsichtbaren Narben führen, die mich dann mein ganzes Leben lang entstellen können. Eine ganz gefährliche Narbe ist zum Beispiel die Unfähigkeit, ein gesundes Selbstvertrauen und Zuversicht in meine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Dazu brauche ich ein stabiles Urvertrauen, das jetzt auf gar keinen Fall erschüttert werden darf."

Absolute Pflichtlektüre nicht  nur für werdende Eltern, sondern besonders für alle Multiplikatoren: Frauenärzte, Hebammen, Sozialarbeiter, Erzieherinnen usw.

Dabei bleibt bei aller Unterstützung dieses Vorhabens nach der Lektüre ein skeptischer Eindruck zurück: Viele der beschriebenen Entwicklungen passieren, wenn die Mutter noch gar nicht weiß, dass sie schwanger ist, oder ob sie das Kind behalten will. Und die Entwicklung ist schon fast abgeschlossen, wenn das Kind in der Kindergarten kommt und eine besondere familienunterstützende Förderung bekommen soll. In diesem "fast" liegt denn auch die ganze Hoffnung für die leider immer größer werdende Anzahl von Kindern, die unter Umständen aufwachsen, die dem im Buch so sympathisch sprechenden Gehirn gar nicht gefallen würden.

Dem Verlag ist zu dieser Publikation nur zu gratulieren. Lobenswert auch das ausführliche Glossar und die Informationen über die Autoren.

(Winfried Stanzick; 11/2006)


Gunther Moll/ Ralph Dawirs/ Svenja Niescken: "Hallo, hier spricht mein Gehirn"
Beltz, 2006. 148 Seiten.
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