Brian Burrell: "Im Museum der Gehirne"
Die Suche nach Geist in den Köpfen berühmter Menschen
Skurriles Sachbuch
Der Einband in einem Rosaton, der wohl der Farbe
frischer "weißer Substanz" unseres Denkorgans entspricht, mit
Gehirnen und Gehirnteilen in verschiedenen Positionen geschmückt, ist
vielleicht nicht jedermanns Sache, wenngleich er bestens zum Inhalt passt. Und
dieser Inhalt hat es durchaus in sich: Brian Burrell zeigt den langen Weg der
Gehirnforschung
auf, den so viele Abwege und Sackgassen kennzeichnen; manche von ihnen hatten
fatale und gefährliche Folgen.
In der Antike wurde dem Gehirn nur wenig Bedeutung beigemessen. Das Interesse
an diesem rätselhaften Organ wuchs ab dem Beginn der Aufklärung stark, doch
erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an standen sowohl ausreichende Präparations-
und Konservierungsmethoden als auch Möglichkeiten zur Betrachtung und Vermessung
bestimmter Parameter zur Verfügung. Da stets ein Mangel an Untersuchungsobjekten
bestand, wurden in einigen Ländern anthropologische Gesellschaften gegründet,
deren Mitglieder ihre Gehirne zur Konservierung und Analyse durch die anderen
zur Verfügung stellten. Auf diese Weise, aber auch durch nicht ganz legale Aneignung
von Gehirnen herausragender Persönlichkeiten (Beispiele:
Gauß,
Byron), entstanden umfangreiche Gehirnsammlungen.
Den politisch-ideologischen Strömungen des 19. Jahrhunderts entsprechend suchten
Forscher nach Möglichkeiten, eine Veranlagung zum Genie oder zum
Verbrecher
im Gehirn zu finden und die Minderwertigkeit anderer "Rassen" gegenüber der
weißen zu belegen. Aufgrund falscher, als Wahrheit vorausgesetzter Prämissen,
viel zu kleiner Stichproben und mangelhafter oder fehlender Vergleichsgruppen,
fehlerhafter Methodik und vor allem des Ziels, das zu finden, was sie finden
wollten, kamen diese Wissenschaftler nicht selten zu Resultaten, die zu Diskriminierung
und Menschenrechtsmissachtung beispielsweise im Zuge der von solchen "Forschungsergebnissen"
abgeleiteten Eugenik führten. Auswüchse dieses Wissenschaftszweigs namens Phrenologie
werden heute noch gelegentlich aufgewärmt. Manch seriöser Forscher musste erleben,
wie seine Erkenntnisse verdreht und willkürlich verwendet wurden.
Je weiter die Untersuchungstechniken perfektioniert wurden, desto mehr zeigte
sich eine Tatsache, die auch derzeit den Stand des Wissens darstellt: Es gibt
bei wissenschaftlich korrekter Betrachtung keinen Unterschied zwischen den
Gehirnen von Verbrechern, Genies, Männern, Frauen, Schwarzen, Weißen und
Asiaten. Und so erlosch das Interesse an der Vermessung des Gehirns zum zweiten
Viertel des 20. Jahrhunderts hin zugunsten der neurologischen Forschung.
Der Titel deutet auf ein weiteres Thema des Buchs hin: Immer wieder finden sich
skurrile Geschichten zu präparierten Gehirnen und deren ehemaligen Besitzern
sowie zu Gehirnsammlungen. Beispiele sind die schier endlose Odyssee von
Einsteins Gehirn oder der absonderliche Kult um Lenins Denkorgan. Nicht weniger
verblüffend muten die Biografien mancher Hirnforscher und Phrenologen an. Daher
hat das Buch nicht nur einen hohen Wert als wissenschaftshistorisches Sachbuch,
sondern auch als spannende und unterhaltsame Lektüre für Menschen ohne
spezifisches Interesse an neurologischen Themen.
Der ausführliche Anhang enthält eine Übersicht verschiedener
Gehirnsammlungen, eine 1912 erstellte Liste der 100 schwersten Gehirne,
Anmerkungen einschließlich Quellen, ein Literaturverzeichnis und ein
vorbildliches Register.
"Im Museum der Gehirne" ist gut verständlich und in einem angenehmen,
klaren Stil verfasst. Die Übersetzung scheint mir sehr gelungen. Ein paar
leichte Irritationen (z.B. fehlerhafte Darstellung des "kleinen Gauß",
S. 87, und Namensverwechslungen, S. 254) gibt es zwar, doch insgesamt handelt es
sich um eine empfehlenswerte Lektüre, die auf jeden Fall zur Allgemeinbildung
beiträgt, zumal dieses Thema meines Wissens hiermit zum ersten Mal gleichzeitig
fundiert, unkompliziert und originell aufbereitet wurde.
(Regina Károlyi; 11/2005)
Brian Burrell: "Im Museum der Gehirne"
(Originaltitel "Postcards from the Brain Museum")
Deutsch
von Hainer Kober.
Hoffmann und Campe, 2005. 384 Seiten.
ISBN 3-455-09521-6.
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Brian Burrell lehrt Mathematik an der University of Massachusetts in Amherst.