Karl-Markus Gauß: "Die versprengten Deutschen"
Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer
Gauß,
der Schicksalsarchäologe
Wie ein Altertumsforscher, der aus wenigen Gewebefasern, ein paar
Scherben oder Knochen im antiken
Kehricht menschliche Schicksale zu rekonstruieren vermag, zieht
Karl-Markus Gauß in drei osteuropäische
Länder, um dort versprengte und
vergessene Deutsche zu suchen und sie kurz vor deren Verschwinden und
Vergessen auch zu finden. Meist sind es alte Frauen, aus deren
Erinnerungen und Mitteilungen er versucht, Einblicke in die fast
verlorene ethnische Vielfalt Europas vor dem Siegeszug des
Nationalismus zu geben.
Doch wer ist ein Deutscher? Die Kenntnis der deutschen Sprache ist wohl
kaum das Hauptkriterium fürs Deutschtum, eher ist es eine vage
Familienerinnerung und der feste Glaube an die Abstammung und die
Herkunft der Ahnen aus deutschsprachigen Ländern.
So lesen wir, wie schwer es für die unterschiedlichen
deutschen Gruppen in
Litauen
(und anderswo) ist, Andere, die ein unterschiedliches, aber nicht
weniger schlimmes Schicksal ihrer Sprache und Herkunft entfremdete, als
Ihresgleichen zu akzeptieren
("... unter den vielen Vereinsmeiern, die
sich jetzt wieder in radebrechendem
Deutsch als Deutsche aufzuspielen
begannen ", Seite 127). Eigenartige Koalitionen werden
geschlossen, um
wechselseitig die Aktivitäten von Minderheitenvereinen und
-gruppen zu
"sichern": In Smolník/Schmöllnitz in der
Ostslowakei überlebt der
deutsche Kirchenchor nur durch die Zuwanderung von ukrainischen
Tschernobyl-Flüchtlingen ... Und was bewirkt das Deutsche
Auswärtige
Amt mit seiner Minderheitenförderung? Das damit finanzierte
deutsche
Gymnasium in Poprad sei wohl "eher ein strategisches Mittel,
in den
neuen slowakischen Eliten kompetente Geschäftspartner von
morgen
heranzuziehen" (Seite 105).
Gauß beschränkt sich nicht nur auf
Gespräche mit wieder entdeckten
Deutschen, sondern zeigt auch deutlich, wie schwer sich sowjetische,
ukrainische, litauische und vor allem bundesdeutsche Behörden
mit einer
behaupteten deutschen Abkunft tun, die sich in der dritten oder vierten
Generation nach der Deportation aus dem Schwarzmeergebiet oder aus
Litauen nach Kasachstan und Kirgisien verdünnt hat. In solchen
Fällen
sei die frühere Zugehörigkeit des
Großvaters zu einer SS-Einheit immer
noch hilfreich, um eine begehrte Einreisegenehmigung nach Deutschland
zu erlangen.
Kein einziges der geschilderten Schicksale, keine einzige der vielen
Gruppen von deutschsprachigen Bevölkerungsresten im Osten
blieb von der
Politik und der Geschichte des 20. Jahrhunderts und schon gar nicht vom
nationalsozialistischen Missbrauch ethnischer Kategorien und von der
undifferenzierten Vergeltung der Sieger verschont. Gauß
versteht es,
bei historischen Zusammenhängen klare Grenzen zu Aktivisten
der
"nationalen Wiedergutmachung" zu ziehen. Tendenziösen Quellen
revanchistischer Heimatvertriebener entnimmt er nur Fakten, aber keine
Interpretationen. Besonders die reich kommentierte Bibliografie am Ende
des Buches gibt für jede Quelle penibel die
Vertrauenswürdigkeit, den
Nutzen und die allfällige Gefahr von Einseitigkeit an.
Und doch ist dieses Buch kein historisches oder ethnografisches Werk,
sondern ein engagiertes und literarisch präzises
Plädoyer für geistige
Vielfalt in einem kulturell reichen Europa, das sich an Menschen, nicht
an Wirtschaftsstandorten orientiert.
(Wolfgang Moser; 08/2005)
Karl-Markus
Gauß: "Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen,
durch
die Zips und am Schwarzen Meer"
Mit Fotos von Kurt Kaindl.
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2005. 240 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2008. 234 Seiten.
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Ein
weiteres Buch des Autors:
"Zu früh, zu spät. Zwei Jahre"
Worum es in diesem Buch geht? Karl-Markus Gauß schreibt vom
Irak-Krieg und von
den Illusionen seiner aus der Wojwodina nach Amerika ausgewanderten
Verwandten;
er berichtet von profitablen Spermabanken und räsoniert
über uralte
Menschheitsfragen; er forscht seinem Vater nach, der
"großen Portalfigur
des Scheiterns in meinem Leben"; und die Lektüre
berühmter, vergessener
oder hierzulande wenig bekannter Autoren gerät ihm immer auch
zur existenziellen
Selbstprüfung.
Viele literarische Genres stehen diesem Autor zur Verfügung,
dem die
scheinbaren Nebensachen nicht weniger wichtig sind als die Widrigkeiten
der
Epoche. (Zsolnay)
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Manuel Möglich: "Deutschland überall. Eine Suche auf
fünf Kontinenten"
Ob auf dem Oktoberfest in Brasilien, beim Liederkranz in New York oder
in der Brauerei in China - Deutsche und ihre Kultur findet man
überall und in allen Klimazonen.
Manuel Möglich macht sich auf die Suche: Er bereist alle
fünf Kontinente, forscht nach den letzten deutschen Spuren in
Tsingtao, unterhält sich in Westafrika mit perfekt
Hochdeutsch
sprechenden Namibiern über ihre Kindheit in der DDR,
er fahndet in Südamerika nach der deutschen Festtagslaune und
dem deutschen Fleiß. Und wie denken eigentlich die Nachfahren
früherer Kolonialherren, junge und alte Auswanderer, die
Abkömmlinge von einst Emigrierten über jenes Land,
das ihnen nah und fern zugleich ist? Was bedeuten das deutsche Erbe,
die Kultur und das Phantom der deutschen Tugenden jenen Menschen, die
die heutige Bundesrepublik kaum kennen? Sind sie am Ende die
deutscheren Deutschen?
Ohne Scheu und mit größter Offenheit begibt sich
Manuel Möglich mitten hinein in diese deutschen
Parallelwelten, die man allenfalls als Urlaubsparadiese kennt, und
zeichnet ein gänzlich neues Bild von den Deutschen. Er wirft
einen frischen Blick auf sehr exotische und zugleich urdeutsche Themen.
Manuel Möglich, geboren 1979 in Weilburg/Hessen, studierte
Medien- und Kulturwissenschaft, schrieb für "Spex" und "VICE",
arbeitete als Radiojournalist und gehört heute zu den
herausragenden jüngeren Fernsehreportern. Seine Serie "Wild
Germany" auf "ZDFneo", die ihn und seinen direkten,
persönlichen Stil bekanntmachte, war für den
"Deutschen Fernsehpreis" nominiert. Manuel Möglich lebt in
Berlin, "Deutschland
überall" ist sein erstes Buch. (Rowohlt Berlin)
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