Laurent Gaudé: "Der Tod des Königs Tsongor"

Ein Trojanisches Pferd gegen den Militarismus


Für "Der Tod des Königs Tsongor" erhielt Laurent Gaudé 2003 in Frankreich den Prix des Libraires - zurecht. Auf etwas mehr als zweihundert Seiten gelingt es ihm, ein Epos mit philosophischen Finessen auszubreiten, ohne dabei wie ein Oberlehrer zu wirken.

Zentrale Figur der Erzählung ist König Tsongor. Zwanzig Jahre hatte der Monarch im Sattel verbracht, um ein Land nach dem anderen zu unterwerfen und seiner Domäne einzugliedern. Nicht weniger als ein Reich ohne Grenzen strebt er an. Am Ziel seiner Träume angelangt, sattelt er von Krieg auf Frieden um, etabliert seine Hauptstadt Massaba als florierendes Zentrum eines ganzen Kontinents. Tsongor hat drei Söhne und eine Tochter, Samilia. Sie möchte er mit Kouame, dem mächtigen Fürsten der Salzländer, verheiraten, um das Imperium langfristig zu stabilisieren. Doch am Vorabend der Hochzeit, mitten in den Feierlichkeiten, erscheint ein ungebetener Gast, Sango Kerim. Samilia und er wuchsen gemeinsam auf und schworen sich als Kinder, späterhin Mann und Frau zu werden. Sango Kerim ist gekommen, um dieses Versprechen einzufordern. Und mit ihm wartet eine ganze Armee waffenstarrend vor Massaba auf Tsongors Antwort.

Der greise König darf keinen der beiden Freier brüskieren, das würde Krieg bedeuten. Also entschließt er sich zum Freitod, um durch sein Opfer Kouame und Sango Kerim zur Vernunft zu bringen. Vergeblich. Derer beiden Heere breschen Tag für Tag aneinander, ohne dass es einen Sieger gibt. Massaba wird belagert, verfällt immer mehr. Blut und ausgebleichte Knochen bedecken die Ebene vor der Stadt.

Und auch Tsongors Familie zerfällt. Einer seiner Söhne bezieht Position für Kouame, der zweite schlägt sich auf Sango Kerims Seite, während Samilias Herz verhärtet. Des toten Königs Lebenswerk liegt in Scherben. Nur seinem dritten Sohn, Souba, ist es gegeben, diesen Niedergang nicht mit ansehen zu müssen. Er war auf Geheiß seines Vaters am Tag nach dessen Freitod aufgebrochen, um im ganzen Reich sieben Grabstätten für Tsongor zu errichten. Erst wenn dies geschehen ist, kann des Königs Geist letzte Ruhe finden.

Laurent Gaudés Roman vereint viele Elemente klassischer Epen. Der Streit um Samilia samt der Belagerung Massabas zeigt Parallelen zur "Ilias", wo die Griechenheere zehn lange Jahre gegen Trojas Mauern anrennen, um die entführte Königin Helena zurückzuholen. Die grausamen, ohne Sieger endenden Schlachten gemahnen an das indische "Mahabharata". Tsongor selbst könnte aus der Feder William Shakespeares entflossen sein, während Souba Züge des "Parsifal in sich trägt, der auf seiner Pilgerschaft Linderung für die Wunden des Gralskönigs sucht.

Trotz all des Schlachtengetoses steht nicht die Verherrlichung des Krieges im Zentrum des Buches, sondern das in Parabeln verkleidete Aufzeigen der Sinnlosigkeit von Rache oder übertriebener Ehre. Die strahlenden Heroen fallen Kapitel für Kapitel ihrem Starsinn zum Opfer, geraten zu blutrünstigen Bestien ihrer selbst, vergessen im Blutrausch sogar den ursprünglichen Grund ihres Kampfes.

Laurent Gaudé hebt aber nicht nur mahnend den Pazifistenfinger, sondern schmückt "Der Tod des Königs Tsongor" mit amüsanten Travestien auf das Soldatenethos aus. Da gibt es die "Kriegshündinnen", geschminkte und als Frauen verkleidete Krieger, die sich im Fleisch ihrer Feinde verbeißen oder die "Khat-Esser", ständig unter Drogen stehende Kämpfer, die im Sinnesnebel nicht immer Feind von Freund zu trennen wissen. Gaudé entfaltet die Roman-Botschaft trickreich. Inmitten militaristischer Szenarien öffnet er die Luken seines papierenen Trojanischen Pferdes, um dem Frieden eine Lanze zu brechen.

(lostlobo; 04/2004)


Laurent Gaudé: "Der Tod des Königs Tsongor"
Übersetzt von Angela Wagner.
dtv, 2004. 220 Seiten.
ISBN 3-423-24419-4.
ca. EUR 14,50. Buch bestellen

Laurent Gaudé, geboren 1972, ist Theater- und Romanautor. "Der Tod des Königs Tsongor", sein zweiter Roman, war im Herbst 2002 das Lieblingsbuch der französischen Buchhändler und wurde mit dem Prix Goncourt des lycéens 2002 sowie dem Prix des Libraires 2003 ausgezeichnet.