Jacques Le Goff: "Franz von Assisi"
Das
vom Klett-Cotta Verlag vorgelegte Werk ist eine gelungene
Zusammenstellung von Aufsätzen, die Jacques Le Goff zum Teil
vor langer Zeit an unterschiedlichen Orten publiziert hat.
In seinem Vorwort zu dieser Ausgabe beschriebt Le Goff, warum ihn
praktisch seit einem halben Jahrhundert, zusammen mit dem Beginn seines
Interesses für das Mittelalter, die Person und die historische
Wirkung des Franz von Assisi gefangengenommen hat: "Er trug
entscheidend zum Aufschwung der neuen Bettelorden bei und verbreitete
in einer christlichen Gesellschaft eine neues Evangelium, das die
christliche Spiritualität um eine neue Verbundenheit mit allem
Lebendigen bereicherte, weshalb er auch als Begründer eines
neuen Naturgefühls im Mittelalter gilt, das sich in der
Religion, in der Literatur und in der Malerei niederschlug. Franz von
Assisi verkörperte eine neue, um Christus zentrierte
Heiligkeit und identifizierte sich mit ihm so sehr, dass er als erster
Mensch die Wundmale des Gekreuzigten empfing. Er gehörte zu
den beeindruckendsten Persönlichkeiten seiner Zeit und ist es
im gesamten Mittelalter, ja sogar bis heute geblieben."
Im ersten in diesem Buch abgedruckten Aufsatz "Franz von
Assisi - Erneuerung und Beharrungsvermögen der Grundherrschaft",
der zuerst 1981 in der katholischen, der Theologie der Befreiung
verbundenen Theologiezeitschrift "Concilium" veröffentlicht
wurde, diskutiert Le Goff die geschichtswissenschaftlichen Probleme
einer Biografiebildung des Hl. Franziskus. Er endet mit dem Abdruck des
Sonnengesangs, des wohl bekanntesten und wirkungsmächtigsten
Texts jenes großen Mannes.
In einem zweiten Text, der mehr sozialgeschichtlich orientiert ist und,
als Vortrag 1967 gehalten, 1973 zuerst veröffentlicht wurde,
führt Le Goff ein in die "Gesellschaftliche(n)
Gruppen und Klassen und ihre Bezeichnungen bei Franz von Assisi und
seinen Hagiographen im 13. Jahrhundert". Er kommt zu dem
Ergebnis:
"In diesem Sinne können wir einem die Geschichte zwar
gedrängt erläuternden, aber wissenschaftlich stets
wirksamen Ansatz folgend feststellen, dass die gesellschaftliche
Idiomatik des frühen Franziskanismus nicht nur für
die Phase des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus,
sondern aufgrund der charakteristischen Umstände, die er in
ihr aufgedeckt hat, auch für die Gesellschaft des Abendlandes
im Mittelalter repräsentativ ist."
Der den Band abschließende Text "Franziskanismus
und kulturelle Vorstellungen im 13. Jahrhundert", ein
Vortrag, den Le Goff 1980 in Assisi gehalten hat, führt den
heutigen Leser auf hervorragende Weise in das Denken und Leben der
damaligen Menschen ein und postuliert am Schluss die
Aktualität franziskanischen Denkens und Glaubens:
"In unserer Zeit, da sich unsere Blicke und Anstrengungen vor
allem auf die unglücklichen unterentwickelten Länder
richten und wir uns an den Kleinen, Armen und Unterdrückten
orientieren müssen, ist die Lektion der Franziskaner in ihrer
breiten Öffnung gegenüber den Laien trotz aller
Misserfolge, Fehlentwicklungen und Gaunereien noch immer
gültig für unsere Zeit, solange
Hunger, Armut und
Unterdrückung noch nicht besiegt sind."
Ein schönes, lehrreiches Buch, gut geeignet für die
Einführung in das Leben Franz von Assisis und das Denken
seiner Zeit.
(Winfried Stanzick; 10/2006)
Jacques
Le Goff: "Franz von Assisi"
(Originaltitel "Saint François d'Assise")
Aus dem Französischen von Jochen Grube.
Klett-Cotta, 2006. 261 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen