Milán Füst: "Die Geschichte meiner Frau"
Ein
Requiem für die Liebe
Als dem holländischen Kapitän Jakob Störr im
Alter von 42 Jahren der Appetit
abhanden kommt, rät ihm sein Arzt zur Heirat. Und
Störr heiratet in der Tat:
Der riesige, schwerfällige Störr ehelicht die
erstbeste Frau, mit der es sich
so ergibt, eine deutlich jüngere, zierliche kleine
Französin.
Das Paar wirkt jedoch nicht nur in dieser Hinsicht grotesk. Jakob
Störr,
eigentlich auf der Suche nach einer klassisch-harmonischen Beziehung,
verrennt
sich von Anfang an in eine geradezu höllische Eifersucht,
ständig sieht er
sich von seiner Frau betrogen. Er suggeriert sich selbst, dass er
tolerant sei
und ihren Bedürfnissen nicht im Weg stehen wolle, in
Wirklichkeit jedoch
beginnt er, sie immer intensiver zu kontrollieren und zu
überwachen.
Das Paar hat in Paris eine Wohnung bezogen. Jakob Störr
tändelt mit einer
jungen Irin herum, die sich schwärmerisch in ihn verliebt hat,
und verfolgt
zugleich seine Frau bei ihren tatsächlichen oder von ihm
erdachten Eskapaden.
Schließlich hofft er, in England Arbeit zu finden, und das
Paar zieht nach
London um.
Doch der zutiefst misstrauische, in einem zunehmenden Verfolgungswahn
gefangene
Störr vertut dort manche Chance, weil er nun auch seinen alten
Freunden
unlautere Machenschaften unterstellt und vermutet, sie wollten ihn
für ihre
unheiligen Zwecke einspannen. Zugleich bändelt er immer wieder
mit Frauen an,
unter ihnen die kleine Irin, die ihm nachgereist ist und deren
Gefühle er tief
verletzt.
Schließlich führt seine krankhafte Eifersucht zu
einem gewaltigen Eklat, aus
dem seine Frau, jedoch auch er selbst zerstört hervorgehen.
Der Leser lernt die Geschichte von Jakob Störr durch eine Art
Autobiografie
kennen, die in Wirklichkeit aufgrund der Eifersucht des Protagonisten
zur
Geschichte seiner Frau wird. Diese bleibt allerdings trotz aller
Beschreibungen
ihrer vermeintlichen und wirklichen Taten seltsam obskur und
verschwommen, denn
im Grunde kreist Jakob Störr nur um sich selbst. Was er
eigentlich von seiner
Frau erwartet, bleibt unklar. Er nimmt sie nicht ernst, ihre
Interessen, zum
Beispiel die Philosophie,
verachtet er ebenso wie alles typisch
weibliche
Verhalten, das er in mit Toleranz verbrämten Worten
abfällig kommentiert.
Milán Füst zeichnet ganz vorzüglich das
Porträt eines Mannes, der sich
selbst belügt, indem er sich für
großzügig und liberal hält, in
Wirklichkeit jedoch an seiner Eifersucht
erstickt; ob
begründet oder nicht, das
bleibt, wie erwähnt, unklar. Die Hölle, in die
Störr und die Menschen in
seiner Umgebung geraten, hat er größtenteils selbst
errichtet.
In unkompliziertem Stil, wie man ihn von einem Ich-Erzähler
mit der Veranlagung
von Störr erwarten würde, beschreibt Milán
Füst, wie ein von Anfang an unerfülltes
Leben völlig entgleist. Die Übersetzung ist
allerdings nicht immer gelungen.
Füst hat seinen einzigen Roman zu einer Zeit verfasst, in der
er als Jude
im
faschistischen Ungarn um sein Leben fürchten musste.
Die
Zeitgeschichte spielt
jedoch in "Die Geschichte meiner Frau" keine Rolle; die Handlung
scheint zeitlos zu schweben - ebenso zeitlos, wie die zentralen
Emotionen darin
sind.
Milán Füst hat einen einzigartigen Liebesroman
verfasst, vielleicht auch ein
Requiem auf die bürgerliche Idee von Liebe, ein
bestürzendes und zugleich
groteskes Buch. Wie alle Bände der Reihe ist es sehr attraktiv
und hochwertig
gestaltet; insbesondere der Einband aus lila Samt und der extravagant
gefertigte
Schuber.
(Regina Károlyi; 01/2008)
Milán
Füst: "Die Geschichte meiner
Frau"
(Originaltitel "A feleségem története")
Aus dem Ungarischen von Ákos Doma.
Mit einem Nachwort von Péter Nádas.
Eichborn / Die Andere Bibliothek, 2007. 495 Seiten.
Buch
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Milán Füst, 1888 in Budapest geboren und ebendort 1967 gestorben, gilt heute unter Kennern als einer der bedeutendsten Lyriker, Dramatiker und Essayisten Ungarns, dem gleichwohl die breite Anerkennung im eigenen Land versagt blieb. Populär wurde er allerdings mit seinem einzigen, in viele Sprachen übersetzten Roman (nämlich "Die Geschichte meiner Frau"), der in Ungarn seinen Ruf als erfolgreicher Romancier begründete.