Han Israëls: "Der Wiener Quacksalber"
Kritische Betrachtungen über Sigmund Freud und die Psychoanalyse
Pfusch an der Seele?
Das
vorliegende Buch ist übersetzt aus dem Niederländischen von Gerd Busse und
liefert uns "Kritische Betrachtungen über Sigmund Freud und die Psychoanalyse"
(Untertitel). Kratzen am Mythos Freud - ausgerechnet jetzt im
Jubiläumsgeburtsjahr - ist das nicht unanständig?! Nun, wenn überhaupt, dann
muss es jetzt geschehen, weil es da mehr auffällt. Dabei ist der anerkannte
Freud-Experte Israëls (Jahrgang 1951) beileibe nicht der Erste, der sich an der
Psychoanalyse als Methode und an deren Übervater Freud krittelnd verbeißt. Der
vorliegende Band versammelt zudem Aufsätze, Artikel und Besprechungen, die seit
1985 an anderen Stellen erschienen sind; von Israëls gab es bereits im Jahr 1999
das Buch "Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge"! In die
gleiche Kerbe schlug noch heftiger im Jahr 2000 Rolf Degen mit seinem "Lexikon
der Psycho-Irrtümer", in dem er die Psychotherapie generell und speziell die
Psychoanalyse als "moralisch verkommene Veranstaltung von sündhaft teuren,
inkompetenten Gesundbetern" brandmarkt.
Ein Quacksalber oder auch Kurpfuscher ist freundlich ausgedrückt ein Laie, der
mit von der Schulmedizin meist abweichenden und ungewöhnlichen Methoden versucht,
Kranke zu behandeln - und öfters sogar Placebo-Erfolge erzielt. Die Frage "Wer
darf heilen und wer nicht?" stellte Carsten Timmermann auch schon einmal im
Jahr 2000. Im Wesentlichen wirft Israëls Freud dessen leichtfertigen Umgang
mit Kokain
vor, die selektive Nutzung von Patientendaten, sein Karrieredenken und
Machtstreben
sowie seine Neigung zum Erfinden von Lügengeschichten über vermeintliche therapeutische
Erfolge. Das ist wahrlich starker Tobak und grenzt schon an Rufmord!
In seinem Vorwort bezeichnet Busse Israëls als "Experte im
Aufspüren wissenschaftlicher Schwindeleien und Ungereimtheiten."
Karl Kraus wird
übrigens die Aussage zugesprochen, wonach die Psychoanalyse die Krankheit sei,
für deren Therapie sie sich halte.
Eine zentrale Position in diesem Band
nimmt Freuds Leonardo-da-Vinci-Studie ein, die laut Israels auf einer bewusst
falsch übersetzten Kindheitserinnerung Leonardos basierte. Leonardo
soll nach Freud als Kind von einem Geier (= Muttersymbol) geträumt haben und bei
seiner (vom Vater verlassenen) Mutter aufgewachsen sein - weswegen er
homosexuell geworden sei. Allerdings bedeutet das italienische Wort nibio
(um das es hier in der Beweisführung geht) nicht Geier sondern Milan - womit die
ganze Theorie zusammenfallen müsste! Israels erläutert nun, dass Freud sogar mit
unterschiedlichen Übersetzungsvarianten vertraut gewesen sei, sich aber bewusst
für "Geier" entschieden habe, um seine These von der Homosexualität Leonardos
stützen und herleiten zu können. Freud glaubte auch erkennen zu können, dass
das
Lächeln der Mona Lisa eigentlich das von Leonardos Mutter gewesen sei - was
allerdings überhaupt nicht nachweisbar ist. Israëls bemüht zahlreiche pingelige
Quellen - so intensiv, dass man sich auch fragen könnte, ob das alles den
Aufwand lohnt?! Freilich will Israels schlichtweg Freuds (angeblichen)
großzügigen Umgang mit Quellen und Ansichten dokumentieren.
Israëls
betont ausdrücklich, dass es ihm letztlich noch gar nicht darum gehen könne, ob
die Erklärungen Freuds richtig oder falsch gewesen seien - er wolle lediglich
kritisieren, wie Freud mit seinem "Material" (Quellen, Patienten, Kollegen etc.)
umgegangen sei. Und aufgrund der Fragwürdigkeit der Vorgehensweise Freuds
könnten etliche von seinen Studien zwar faszinieren, aber sie hätte "im Reich
der Wissenschaft keinen Platz verdient." Allerdings verweist Israëls hartnäckig
darauf, dass es sich bei dem Buch "Studien über Hysterie" von Sigmund Freud und
Josef Breuer um einen "klaren Fall wissenschaftlichen Betrugs" gehandelt habe,
da die im Zentrum stehende Patientin Anna O. nachweislich nicht geheilt worden
war.
Es ist sicherlich begrüßenswert und heilsam, allen Mythen skeptisch
zu begegnen.
Überzeugender wäre Israëls Unternehmen, wenn es eine stringente
Arbeit aus einem Guss mit allumfassendem Fazit wäre, statt nur ein
weitverzweigtes Aspektesammelsurium. Die Mühe muss sich Israëls wohl machen, ein
aktuell gültig recherchiertes Werk vorzulegen! Ähnliches gilt auch für das in
Frankreich 2005 erschienene "Schwarzbuch der Psychoanalyse", in dem 33
europäische und amerikanische Autoren Freud und Lacan sozusagen den Prozess
machen. Die Debatte erscheint zu aufgeheizt - und man sollte auch Israëls mit
kühlem Kopf begegnen. Denn Rechthaberei ist auch keine Wissenschaft. Und während
wir Laien um Transparenz betteln, schlagen sich die Experten die Archivfunde und
Fußnoten um die Ohren.
(KS; 05/2006)
Han Israëls: "Der Wiener Quacksalber"
Aus
dem Niederländischen übersetzt und herausgegeben von Gerd Busse.
Verlag Dr.
Bussert & Stadeler, 2006. 184 Seiten.
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Dr. Han Israëls, geboren 1951, studierte Soziologie in Amsterdam und war nach seinem Studium einige Jahre Assistent von Norbert Elias. Nach einer Dozentur zur Geschichte der Psychologie an der Universität van Amsterdam ist Han Israëls seit 2002 Universitätsdozent der Rechtspsychologie an der Universität in Maastricht.