Klaus Theweleit: "absolute(ly) Sigmund Freud"
Ein Sonderband mit allem, was man im Freud-Jahr wissen muss: Freud in Pop und Popkultur.
Die Geburt der
Musiktheorie aus den Zwangsneurosen der Popstars
Vor Klaus Theweleit ist erstens kein Thema sicher, so scheint es, so
schrieb er kürzlich gar über Fußball - und nun also über
Freud.
Und zweitens schreibt er jeweils in ungewöhnlicher Form. So ist
strenggenommen das vorliegende Buch herausgegeben von Klaus Theweleit
und Martin Baltes, es enthält farbige Illustrationen und Songtexte
diverser Interpreten sowie einige Essays von besagtem Klaus Theweleit.
Das Thema lautet sinngemäß Freud in Pop und Popkultur, die Durchführung
präsentiert eben die Songtexte aus der amerikalastigen Musikgeschichte
der Moderne (Schlager, Pop und Rock) u.a. die Ramones, Psycho Therapy -
Ray Stevens, Freudian Slip - David Lazar, Ballad of Sigmund Freud -
George and Ira Gershwin,
Freud
and Jung and Adler - Kid Rock, My Oedipus Complex - Alan Parsons
Project, Freudiana Lyrics - Anna Russell, Jolly Old Sigmund Freud -
Blood Sweat & Tears, The modern adventures of
Plato,
Diogenes and Freud - Cole Porter, Make a date with a great psychoanalyst
- Elliott Murphy, Made in Freud. Dazu noch mehr Texte, die irgendwie mit
Psyche, Nervenzusammenbrüchen, Träumen, Süchten, Obsessionen oder
Therapien zu tun haben.
Da tauchen so schöne Zeilen auf wie: "I am one of those / Melodramatic
fools / Neurotic to the bone" (Greenday) - "My analyst told me / That I
was right out of my head / But I said dear doctor / I think that it's
you instead" (Joni Mitchell) - "Sigmund Freud would have thought I was
crazy / I wonder why you've become an obsession" (Alanis Morisette).
In seinen Zwischentexten spricht Theweleit sehr pointiert über wichtige
Entwicklungsphasen Freuds und nennt den fünfzehnjährigen Briefwechsel
zwischen Sigmund Freud und Wilhelm Fließ ein "Jahrhundertbuch":
"Nirgendwo ist die Erfindung der Psychoanalyse genauer festgehalten."
Überdies ist Theweleit der Überzeugung, dass das Subversive der
Psychoanalyse stärker in Popsongs lebt als in vielen Analytikertexten.
Zumindest pflegen viele Popstars ihre Zwangsneurosen und kreieren noch
originelle Songs daraus. Nun hatte Freud selbst erklärtermaßen mit Musik
nichts am Hut, er bezeichnete sich diesbezüglich als "fast
genussunfähig"! Anererseits sind die Popstars irgendwie auch
Psychodoktoren ihrer Fans. Dabei fällt auf, dass Theweleit völlig die
Who ignoriert - deren Name allein schon analyseträchtig wäre - und v.a.
ihre beiden opera magna "'Thommy" und "Quadrophenia" - wie
konnte ihm das passieren?!
Die kinks sangen von
Kokain,
Sex und nationaler Gesundheit, die Rolling Stones behandelten den "19th
nervous breakdown", und
Ray Charles
klagt, dass der Therapeut mit seiner Frau durchgebrannt ist. Wie sich
Hitchcocks Filme oft um die eher kranke Psyche ihrer Protagonisten
drehten und die Surrealisten die écriture automatique
kultivierten, entstanden viele Popsongs wegen Sex- und Drogenproblemen
und thematisierten sie dann eben auch - oft ironischerweise im
Rauschzustand. Die Rolle des Unbewussten und die Möglichkeiten der
Bewusstseinsveränderung waren v.a. in der psychedelischen Phase (1960er
Jahre) virulent. In der Literatur erlebte die Orientierung an der Psyche
wohl einen gewissen Höhepunkt mit Edward Albees "Wer hat Angst vor
Virginia Woolf?"
Wenn sich auch die Stray Cats zur "Rock Therapy" bekennen, verfolgt
Theweleit weiter die Verbindungslinien zwischen Popmusik und
Psychoanalyse. Indem der Fötus die Mutterleibsgeräusche, die übrigens
mit bis zu 85 Dezibel städtischem Straßenlärm entsprechen, zu ertragen
hat, "versteht" er bereits Musik und Rhythmus, womit sein Wohlbefinden
zusammenhängt. Musik "überträgt sich in den Körper und wird gespeichert
in offenbar speziell dafür vorgesehenen Hirn- und Muskelarealen." Das
Musikhören im Bewusstsein füllt Leerstellen (Verluste) im Unbewussten.
Und obwohl Freud sozusagen ein Wortgehör aber kein Musikgehör hatte,
finden eben die Psychoanalyse und auch die Musik den Weg ins Unbewusste.
Und daraus ließe sich eine Musiktheorie entwickeln, wie sie Theweleit
hier in Ansätzen entwirft. Ein ungewöhnliches Buch, das von Musik (als
Klang) spricht, aber eigentlich über die Texte der Songs den äußerlichen
Zugang zu Freuds Theorien herzustellen versucht.
(KS; 05/2006)
Klaus Theweleit: "absolute(ly) Sigmund
Freud"
orange press, 2006. 221 Seiten.
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Weitere Bücher aus dieser
Reihe (Auswahl):
Michael Berger (Hrsg.): "absolute Karl Marx"
Auch 120 Jahre nach seinem Tod sind die Ideen und Theorien von Karl Marx
noch immer fester Bestandteil aktueller philosophischer, ökonomischer
oder soziologischer Debatten. Marx ist in aller Munde, auch wenn seine
Schriften weniger bekannt sind. Verdient haben seine Texte das aber
nicht, denn
Karl
Marx war nicht der schwer verständliche Dialektiker und Analyst
ökonomischer Zahlenwerke, als der er meist hingestellt wird, sondern vor
allem ein fulminanter Polemiker und großer Stilist.
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt
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Geschichte sorgte dafür, dass diese Vorstellung Wirklichkeit wurde.
Heute, in Zeiten totaler Ikonisierung sucht absolute KARL MARX nach den
Ursprüngen eines Diskurses, der angesichts der Realitäten von "Rasse,
Klasse und Geschlecht", der "Copyright"-Debatte oder der
Globalisierung
wieder an Bedeutung gewinnt.
Herausgeber von "absolute Karl Marx" und Autor der biografischen Essays
ist Dr. Michael Berger, Theologe, Politik- und
Geschichtswissenschaftler, Unternehmensberater.
"absolute Karl Marx" präsentiert wie alle "absolute"-Bände
Originaltexte, Biografie, Fotos und Handschriften.
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Stephan Moebius und
Dietmar J. Wetzel (Hrsg.): "absolute Jacques Derrida"
Ein Buch über den Begründer der Dekonstruktion und der neumodischen
Bindestrich-Wörter, der eigentlich Fußballprofi werden wollte, und
dessen Einfluss weit über das Feld der Philosophie hinausgeht. Derridas
Bedeutung für unser politisches Denken gründet sich nicht zuletzt auf
sein großes Interesse für aktuelle politische Themen: sein Engagement
gegen eine ökonomisch verkürzte Globalisierung, seinem Einsatz gegen die
Apartheid, seine Analysen zum 11. September 2001 und zum "alten Europa".
Jacques Derrida - für die Einen geniales "Supplement" der Philosophie,
für die Anderen "enfant terrible" oder gar "Scharlatan": eine echte
Herausforderung, die Dekonstruktion und ihren Meister verständlich
darzustellen.
"absolute Jacques Derrida" präsentiert wie alle "absolute"-Bände das
Beste aus Derridas Texten. Mit Bildern, Dokumenten und einer
vierteiligen Werkbiografie von Stephan Moebius und Dietmar J. Wetzel.
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Florence Hervé und Rainer
Höltschl (Hrsg.): "absolute Simone de Beauvoir"
Freiheit, Menschenrechte, Emanzipation. Das waren die großen Themen im
Leben der berühmtesten französischen Intellektuellen, Simone de Beauvoir
(1908-1986). In dem Maße, wie die Globalisierung problematisch wird,
rücken ihre Überlegungen zu Moral und Politik, Verantwortung und
Engagement wieder stärker in den Blick. Ihre Thesen zur existenziellen
Freiheit des Menschen und ihr Beitrag zur internationalen Frauenbewegung
haben nichts an Aktualität eingebüßt.
"absolute
Simone
de Beauvoir" präsentiert das Beste aus ihren Texten, mit
Interview, Bildern, Dokumenten und einer ausführlichen Biografie.
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