Katja Behling: "Dunkler Seele Zauberbann"
Sigmund Freud und die Psychoanalyse
Das Unbewusste bewusst
gemacht
Jeder
studierte Mensch weiß ein bisschen etwas über "Sigmund Freud und die
Psychoanalyse" (Untertitel) - die Nichtstudierten interessiert er selten. Zum
150. Geburtstag erschien nun diese Biografie von Katja Behling, die studierte
Medizinerin und tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapeutin ist. Freud
selbst hat sich einmal als Abenteurer bezeichnet, "mit der Neugier, der Kühnheit
und der Zähigkeit" eines Conquistatoren (vgl. Brief an Wilhelm Fließ, 1.2.1900).
Behling attestiert ihm Tiefblick, Humor und Ironie und charakterisiert ihn als
"revolutionären Forscher". Sie versucht nachzuweisen, dass die Psychoanalyse
"das fast zwangsläufige Produkt einer einzigartigen Konstellation" war: Freuds
Familie, sein Judentum, das Wiener Fin de siècle - und überhaupt Freuds
Persönlichkeit. Darüberhinaus lässt die Autorin aber auch kritische Stimmen zur
Psychoanalyse zu Wort kommen.
Abgesehen davon, dass es in diesem
sogenannten Freud-Jahr 2006 zahlreiche Veröffentlichungen zu Freud und zur
Psychoanalyse gibt, darf wohl behauptet werden, dass die Psychoanalyse (Freud,
Adler, Jung, Lacan) das Denken des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt hat.
Im Grunde könnte man auch fragen, ob nicht die Psychoanalyse der spezielle
Beitrag des Judentums zur europäischen Kultur war. Freud hat zweifelsohne alle
geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen maßgeblich geprägt - von der
Literaturwissenschaft über Religion, Kunst und Kultur bis zur
Ethnologie. Freud
hatte eine umfangreiche Privatbibliothek und verstand gerade auch das Lesen von
Literatur als einen Versuch, der Macht der Welt zu widerstehen. Freuds eigenes
Schreiben wird ja allgemein auch als gelungene Prosa anerkannt.
"Gegen
die seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der
menschlichen Seele. Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud!" -
mit diesem dümmlichen Spruch versuchten die deutschen Studenten mit
Unterstützung der Nationalsozialisten Freud zu vernichten. Dass er heutzutage
von den Islamisten als "gottlos" dargestellt wird und von den marxistischen
Sturköpfen als Apologet der bürgerlichen (Un-)Moral, mag uns in diesem
Zusammenhang nicht verwundern. Wenn Johannes Sachslehner in seinem Vorwort
meint, mit Freuds Werk "erreicht die Aufklärung einen letzten großen Höhepunkt",
so wollen wir dennoch vor solcher Übertreibung warnen - es gab und gibt auch
nach Freud noch genügend kritische Intellektuelle, die die Idee der Aufklärung
in die Neuzeit weiterentwickeln helfen.
Schon als junger Schüler schrieb
Freud einen Börne-Essay mit dem Titel "Die Kunst in drei Tagen ein
Originalschriftsteller zu werden" und entwickelte sein Talent dergestalt, dass
später seine Fallvignetten wie Novellen zu lesen waren: "Sein Schreiben war die
ordnende Reaktion des Psychoanalytikers auf die beobachtete Unordnung." Er war
eigentlich ein "literaturverliebter Schöngeist." Im Studium gelangte Freud früh
zu der Auffassung, der Mensch und seine Persönlichkeit sei ein zerlegbares
Konstrukt, eine Funktionseinheit. Dieser mechanistische Ansatz ließ ihn die
Psychoanalyse nie zu einer Art Philosophie werden, sondern im Rahmen der
Schulmedizin konzipieren. Bei seinen Experimenten mit
Kokain
glaubte Freud, ein Wundermittel gegen Müdigkeit und Depression gefunden zu
haben, ehe er anerkennen musste, dass diese Droge süchtig machte. Auch seine
Experimente mit der Hypnose hatten nicht den erhofften Erfolg. Nach seinen
Studien der Hysterie, die er auf sexuelle Zwangshandlungen zurückführte,
definierte Freud im Jahr 1896 seinen Begriff der Psychoanalyse.
Im selben
Jahr wurde durch den Tod des Vaters (dem "einschneidendsten Verlust im Leben
eines Mannes") Freuds Selbstanalyse ausgelöst. Er widmete sich der Witztheorie
und ließ sich von seinem Freund Fließ zwecks Beseitigung sexualneurotischer
Symptome an der Nase operieren. Freuds Mittwochsgesellschaften in Wien
entwickelten sich zu einer regelrechten Expertenrunde, wo die aberwitzigsten
Theorien diskutiert wurden. Bei diesen Treffen waren nur wenige Frauen
zugelassen, mit
Sabina
Spielrein promovierte überhaupt die erste Frau über ein psychoanalytisches
Thema (Schizophrenie).
Mit Schriftstellern ergab sich eine besondere Entente cordiale - Freud erkannte in der
Literatur Verdrängtes und Abgewehrtes - die Autoren schöpften aus dem
Unterbewussten und waren besonders an der "Traumdeutung" interessiert.
Insbesondere Thomas Mann fand eine enge Beziehung zu Freud. Auch den
Surrealisten - allen voran
Salvador Dalí
- fühlte sich Freud verbunden - ebenso wie Hollywood, der "Traumfabrik". Im
Mittelpunkt seiner Theorienbildung steht wohl sein Bauplan der Psyche mit den
drei Instanzen Ich-Es-Überich. Wichtig ist wohl auch Freuds Ausweitung seiner
Analyse zur Kulturkritik. Indem er sich mit der Natur des Menschen beschäftigte,
gelangte er auch zu Einsichten über die Grenzen der Kultur.
In seinem
letzten Jahr, von der tödlichen Krankheit gezeichnet, setzte er Schmerz und
Depression besessenes Arbeiten entgegen - so als ob der Geist doch über den
Körper triumphieren könnte. Er verweigerte weitgehend Schmerzmittel und bekam
auf eigenen Wunsch eine letzte Dosis Morphium als Sterbehilfe. Behling zeichnet
mit diesem Buch ein aufs Wesentliche konzentriertes Freud-Bild und bezeichnet
ihn als "außergewöhnlichen Visionär", als "Ikone intellektueller Kraft und
Vorreiter des Individualismus." Die Nachwelt streitet über die Zuverlässigkeit
und Relevanz der Methoden und Erkenntnisse der Psychoanalyse - das vorliegende
Buch führt uns in relativer Prägnanz den Genius Freud vor Augen und wird
sicherlich zu weiteren Auseinandersetzungen mit anregen.
(KS; 04/2006)
Katja Behling: "Dunkler Seele
Zauberbann"
Styria Verlag, 2006. 272 Seiten.
Buch bei amazon.de
bestellen
Katja Behling, Jahrgang 1963, studierte
Medizin und war einige Jahre in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Sie
absolvierte eine Weiterbildung in tiefenpsychologisch orientierter
Psychotherapie, also in einem an der Psychoanalyse ausgerichteten Verfahren.
Seit einigen Jahren ist Katja Behling als (Medizin-)Journalistin und Autorin
tätig. Im Jahr 2002 erschien ihre Biografie "Martha Freud. Die Frau des
Genies":
"Martha Freud. Die Frau des Genies"
Über fünfzig Jahre
war Martha Freud mit Sigmund Freud verheiratet. Die Ehe wurde, nach jahrelanger
Verlobungszeit, gegen den Willen ihrer Mutter geschlossen. Katja Behling
zeichnet das Porträt einer bemerkenswerten Frau, die durch ihre Treue und
Standfestigkeit zum Gelingen und der Verbreitung der "Psychoanalyse" auf ihre
ganz eigene Weise beitrug. (Aufbau Taschenbuch Verlag)
Buch bei amazon.de
bestellen
Weitere Buchtipps:
Barbara
Sternthal: "Sigmund Freud. Leben und Werk 1856-1939"
Als Freuds
Traumdeutung 1899 in Wien erschien, bedeutete dies das Fundament zu einer neuen
Lehre der Seelenerforschung, die darüber hinaus auch als kulturelles und
geisteswissenschaftliches Phänomen Epoche machen sollte. Als hätte Freud geahnt,
dass sein Werk das folgende Jahrhundert prägen würde, ließ er das Erscheinen der
Schrift auf das Schwellenjahr 1900 vordatieren.
Vier Jahrzehnte Ausarbeitung
jener Theorien begannen, die Freud 1896 "Psychoanalyse" benannt hatte. Die neuen
Lehren stießen jedoch auch auf Unverständnis und Kritik, nicht nur bei
prominenten Zeitgenossen wie etwa
Karl Kraus,
sondern auch in universitären Kreisen. "An keinem anderen Orte ist die
feindselige Indifferenz der gelehrten und gebildeten Kreise dem Analytiker so
deutlich verspürbar wie in Wien", stellte Freud verbittert fest.
Diese
Text-Bild-Monografie bringt dem Leser Leben und Werk Sigmund Freuds in
einfacher, übersichtlicher Weise näher und bettet seine Biografie auch in den
sozio-kulturellen Kontext der Metropole Wien. Freuds ambivalentes Verhältnis zu
dieser Stadt, die ihn gleichzeitig prägte und einschränkte, seine jüdische
Identität, aber auch die literarische Qualität seiner Werke und der federnde,
manchmal selbstironische Stil seiner Briefe sind Motive in diesem Buch, das
durch seine Fülle an bislang selten veröffentlichtem Bild- und Textmaterial
besticht. (Christian Brandstätter Verlag)
Buch bei amazon.de
bestellen
Ludwig Marcuse: "Sigmund Freud. Sein
Bild vom Menschen"
"Ein Werk der kritischen Verehrung" nannte Ludwig
Marcuse seine Biografie, die zugleich Porträt und Wirkungsgeschichte der
Psychoanalyse darstellt. Der unprofessorale Professor erzählt unvergleichlich
anregend, oft erfrischend despektierlich vom Abenteuer eines
Naturwissenschaftlers, der unter die Philosophen und Soziologen gefallen ist;
Ludwig Marcuse: "Wer glaubt, weitergekommen zu sein, ist nur noch nicht so weit
gekommen." (Diogenes)
Buch bei amazon.de
bestellen
Linde Salber: "Der dunkle Kontinent.
Freud und die Frauen"
Frauen faszinierten Sigmund Freud - und blieben ein
"dunkler Kontinent" für den Seelenforscher. Doch sie nahmen tiefen Einfluss auf
sein Leben und sein Werk: die liebevoll fordernde Mutter, die hilfreichen
Schwestern und die ihn stützende Ehefrau, aber auch verführerische Patientinnen
und emanzipierte Psychoanalytikerinnen. In der Begegnung mit ihnen lernen wir
eine oft allzu menschliche Seite des souveränen Wissenschaftlers kennen.
(Rowohlt)
Buch bei amazon.de
bestellen
Eva Weissweiler: "Die Freuds.
Biografie einer Familie"
Zum Freud-Jahr 2006 (150. Geburtstag von Sigmund
Freud) schildert Eva Weissweiler die spannende und tragische Familiengeschichte
des Begründers der Psychoanalyse.
Schon vor der Ehe verspricht Sigmund Freud
seiner künftigen Frau Martha Bernays, es den "Biografen nicht leicht (zu)
machen". Tritt jemand mit dem Ansinnen, eine Biografie über ihn zu schreiben, an
ihn heran, erklärt er, sein Leben sei nur in Bezug auf die Psychoanalyse
interessant. Diese Abneigung wurde von fast allen Chronisten seines Lebens
übernommen. Sie schildern den Entstehungsprozess seiner Lehren, äußern sich über
seine Reisen, seine Krankheiten, seine Beziehungen zu Kollegen, klammern aber
den "Familienroman" fast vollständig aus. Von seinen sechs Kindern wird meist
nur Anna, die Gralshüterin, ausführlich erwähnt. Die übrigen fünf, Mathilde,
Martin, Oliver, Ernst und Sophie, könnten ebenso gut überhaupt nicht gelebt
haben. Seine Ehefrau Martha erscheint höchstens als schattenhafte Figur, dazu
bestimmt, ihm "die Misere des Alltags" vom Leib zu halten. Auch das Schicksal
von Freuds Schwestern - vier von ihnen kamen im Holocaust um - wird meist
ausgeblendet.
Eva Weissweiler unternimmt es, dieses Defizit aufzuarbeiten,
und hat dafür eine Fülle von unveröffentlichten Quellen - Briefe von Martha
Freud und ihren Kindern, aber auch solche von Freud selbst - ausgewertet. Sie
schildert eine spannende und tragische Familiengeschichte, die von der
Gründerzeit über die Weltkriege bis in die unmittelbare Gegenwart reicht, bis zu
den Enkeln und Urenkeln, die Sigmund Freud noch erlebt haben: dem englischen
Maler Lucien Freud beispielsweise, der amerikanischen Psychotherapeutin Sophie
Freud und der englischen Schriftstellerin Esther Freud. (Kiepenheuer &
Witsch)
Buch bei amazon.de
bestellen
Peter-André Alt: "Sigmund Freud. Der Arzt der Moderne. Eine Biografie"
Sehr
detailliertes und umfangreiches Opus über Familie Freud und
besonders den ältesten Sohn, Sigmund
zur Rezension ...
Eli Zaretsky: "Freuds Jahrhundert.
Die Geschichte der Psychoanalyse"
Was zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit
den eigenwilligen Forschungen des jungen Doktor Freud begann, hat das
Selbstverständnis des Menschen und seiner Kultur verändert wie kaum eine andere
Theorie. Eli Zaretsky hat eine wirklich umfassende Geschichte der Psychoanalyse
geschrieben. Sie handelt nicht nur von den prominenten Protagonisten - von Freud
und Adler bis zu Lacan - sondern versteht die psychoanalytische Bewegung als
einen zentralen Akteur der Geschichte des 20. Jahrhunderts. (Zsolnay)
Buch bei amazon.de
bestellen
Joel Whitebook: "Freud"
Sein Leben und Denken. Eine intellektuelle Biografie
zur Rezension ...
Sigmund Freud: "Auf der Couch"
Traumdeutung und Psychoanalyse, Liebesleben und Sexualtheorien, Krieg
und Tod. Alles umfassend und zugleich unfassbar scheint das Werk von
Sigmund Freud. In dieser Sammlung sind die wichtigsten Texte
zusammengetragen und jeweils mit einer erklärenden Einordnung in
das Gesamtwerk versehen. Der richtige Einstieg für Laien und
zugleich für Kenner, die das Werk noch einmal entdecken
möchten. Der poetische Stil Sigmund Freuds kommt erst gehört
so zum Ausdruck, wie man es sich bei der Lektüre immer
gewünscht hat. Die Lesungen ermöglichen einen Zugang zu den
Studien des Begründers der Psychoanalyse, der eindringlich und
verständlich zugleich ist. (Der Hörverlag)
Audio-CDs bei amazon.de bestellen