Franzobel: "Luna Park"
Vergnügungsgedichte

"Franzobel ist die Vollendung und Vollstreckung von Ernst Jandl."

(Alois Brandstetter)  


Die zitierten Lorbeeren des Germanisten und Historikers Brandstetter, der als Autor von ironisch gemeinten Büchern Achtungserfolge erzielen konnte, über den Lyriker Franzobel decken sich in keinster Weise mit der Anschauung des Rezensenten. Wer die Gedichte von Ernst Jandl kennt und sie mit denen von Franzobel vergleicht, wird eher zum Schluss kommen, dass die Feinarbeit und kompositorische Größe allein Ernst Jandl zukommen kann. Etwas seltsam nimmt sich aus, was Franzobel in einer Präambel zu "Luna Park" über sein lyrisches Werk schreibt: "Die Kriterien der Bewertung erschließen sich mir nur langsam; natürlich sind die rhythmisierten Texte kompakter, robuster und oberflächlich leichter konsumierbar, vortragbar. Die Fragilen sind spröder, erfordern weit mehr Zeit und bleiben selbst dann oft noch in jener seltsam ausbalancierten Unverständlichkeit, in der sie vielleicht etwas vom Wunder der Schöpfung in die Sprache retten können." Der Dichter bewertet sich also selbst, und dies nicht mal schlecht. Allerdings bleibt die Frage, ob dieser Unfug ironisch gemeint ist, oder tatsächlich durch Selbstreflexion entstand. Immerhin sind für Kritiken etwa Menschen wie Brandstetter zuständig, der ja ohnedies mächtige Geschütze in Stellung bringt, Franzobel zu einem Dichterfürsten zu stilisieren. Sollte, wie Brandstetter meint, Franzobel die Vollendung und Vollstreckung von Ernst Jandl sein, dann hieße dies schlüssigerweise, dass Jandl noch gewisse Grenzen nicht überschreiten konnte bzw. nicht in der Lage war, gewisse sprachlich versierte Konstrukte thematisch auszureizen. Ich nehme mal an, Brandstetter habe es keineswegs so gemeint. Denn wenn sich wer an Jandl anlehnt, ist es Franzobel höchstpersönlich. Nur gelingt ihm bloß ansatzweise, jene lyrische Kraft zu entfalten, die Ernst Jandls Gedichte prägen. Franzobel schreibt in seiner Präambel auch davon, dass der Gedichtzyklus "Leibenfrost" sich dem Leseerlebnis Gugginger Künstler verdanke, die ohnehin unübertrefflich sind. Der Autor ist immer dann in seinem Element, wenn er seine eigentlichen Fähigkeiten einbringt, die im Spiel der Sprache einen Klang ergeben, der auch thematisch einiges hergibt, was jedoch mit Ernst Jandl überhaupt nichts zu tun hat.  
Dies ist sowohl bei "Leibenfrost" als auch bei "Watschenmann:Kaltleutgebern" zweifelsohne gegeben. Hier zeigt Franzobel, was er drauf hat. Um dies zu bekräftigen, seien zwei kleine Gedichte aus diesen beiden Zyklen wiedergegeben:  

Leibenfrost/Herbst:  

Wie Attila der Hunnenkönig,  
daß die Blätter von den Bäumen  
fallen, nun den Weg befaulen,  
stumm, so ist er eingefallen,  
wer jetzt noch keine Ahnung hat,  
erfährt es nimmermehr.  

Watschenmann:Kaltleutgebern/Täterprofil:  

Lebte eher nicht in fester Partnerschaft,  
also eher Einzelgängertyp, hat sich öfter  
in der Nähe des Tatorts aufgehalten eher  
oder dort vielleicht eher sogar gewohnt  
war im Umgang mit verbalen Konflikten  
eher ungeschickt, das heißt, er reagierte  
eher aggressiv und rastete möglicherweise auch aus,  
fiel durch ständiges Mitführen einer Bewaffnung  
auf, trat eventuell als Tierquäler schon  
in Erscheinung, ehe er jetzt  
Täter geworden ist.  

Franzobel kann exzellent schreiben; keine Frage. Besonders das zweite Gedicht stammt etwa aus dem Jahr 2002 und lässt somit gewisse Rückschlüsse auf die dichterische Meisterschaft des Autors zu. Doch andererseits gibt es zahlreiche Gedichte, die einen Themenkreis geschickt umkreisen, und jenes andeuten, das nur Ernst Jandl vollenden konnte:  

Autoscooter/Loveparade: Sehne

Wie Sehnen, Sucht und See  
Schnecken tief im Gras wie  
Füße hat es nie gegeben,  
keine Sonne, Flüstern nicht,  
Milchgefühl, mit Abstand,  
Blümchenmuster wie wir sind  
unnahbar, Zuseher und/oder was  
hat uns gestülpt. Heraus.  

Die Unmöglichkeit, "Luna Park" als besondere lyrische Leistung zu bezeichnen, hängt damit zusammen, dass die Themenzyklen, welche vielleicht im Wiener Wurstelprater angesiedelt sind, keine Hoch- und Tiefflüge ausformen. Die Idee, einen Vergnügungspark mit Sprachgewalt zu durchschreiten, mag eine gute gewesen sein. Doch es gibt zu wenig verbindende Elemente; das Spazieren im Park ist für den Leser auch individuell nicht bestimmbar. Ein Zyklus bedarf eines Kontext; ansonsten ist er ja kein Zyklus. Und die Unterschrift: "Vergnügungsgedichte" mag mehr darauf hindeuten, dass es dem Autor Vergnügen bereitet hat, die Gedichte zu schreiben; jedoch keineswegs, mit diesem Gedichtbändchen dem Vergnügen zu huldigen. Wer die Filme von Ulrich Seidl kennt, der übrigens auch einen Dokumentarfilm über den "Europa-Park" gedreht hat, ("Spaß ohne Grenzen"), wird wissen, wieso Vergnügen nicht zur Worthülse verkommen darf. Franzobel schafft es nur in wenigen magischen Momenten, einen möglichen Kontext anzudeuten, durch den die grenzenlose Vergnügungssucht demaskiert wird. Dies gelingt ihm ausgezeichnet mit "Zuckerwatte: Die Verzückung".  Übrigens vom Entstehungssdatum her gesehen am frischesten (irgendwann 2003).  

Mit diesen Zeilen, die an dieser Stelle nicht Platz finden können, da sie das einzige längere Gedicht (4 Seiten) des Autors sind, fühlt sich der Kenner von Franzobels Romanen, Erzählungen und Kurzprosa an die literarische Qualität dieses Mannes erinnert. Ja, hier schreibt Franzobel so gut, wie er kann. Die Messlatte muss hochangelegt sein bei einem Gewinner des Bachmannpreises. Ein Autor, der "Die Krautflut" geschaffen hat, darf nicht ins Gewöhnliche, Uninteressante, Einschläfernde abdriften. Nachdem er mit seinem Fußballbuch seine Unkenntnis des Fußball demonstriert hat, (das könnten und können zahlreiche Fußballexperten bestätigen), legt er also diesen Gedichtband vor, dessen Inhalt wohl nur für Alois Brandstetter an Ernst Jandl erinnern lässt. Im Kontext des europäischen Fußballs betrachtet: Vom Champions-League-Niveau ist Franzobel mit "Luna Park" sehr weit entfernt.  

Umso mehr möchte ich darauf hinweisen, dass Franzobel in erster Linie eine mächtige Prosa zu schreiben imstande ist. Weder seine Theaterstücke noch seine Gedichte können daran heranreichen. Und müssen es eigentlich auch nicht.

(Jürgen Heimlich; 09/2003)


Franzobel: "Luna Park"
Zsolnay, 2003. 176 Seiten. 
ISBN 3-552-05275-5.
ca. EUR 17,90.
Buch bestellen