David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich"

Kritisch satirische Beobachtungen eines Agoraphoben


Kreuzfahrten haben von jeher die Menschen fasziniert, sie haben den Geruch des Mondänen an sich. Sie bedeuten eine 1-wöchige, 10-tägige oder 2-wöchige Flucht aus einem stressigen oder öden Alltag in eine Welt des Luxus. Da das gebuchte mehrsternige Hotel ja immer mitschwimmt, wiegt der Vorteil des nur einmaligen Kofferaus- und -wiedereinpackens schwer. Was aber so alles an Bord eines Kreuzfahrschiffes der Kategorie Megalines mit einer Betten- und Passagierzahl weit im 4-stelligen Bereich in der Karibik passiert, schildert der 42-jährige US-amerikanische Autor David Foster Wallace akribisch und treffend in 13 unterhaltsamen Kapiteln und 137 instruktiven Fußnoten mit humorvollem Blick für gruppenpsychologische und nautische Details.

Allerdings besteht die Gefahr, dass sich Kreuzfahrinteressierte durch die Lektüre des 185-seitigen Buches eher von dieser Urlaubsart abschrecken lassen werden. Sicherlich hat der in Bloomington/Indiana lebende Autor recht, wenn er das US-amerikanische Kreuzfahrwesen als gut geölte Tourismusmaschinerie entlarvt, die dem Gast ein 1-wöchiges Rundumwohlfühlpaket vorsetzt und ihn während dieser Zeit zum mehr oder minder initiativlosen Wesen degradiert. Dass es aber an Bord eines großen Motorschiffes sehr viel zu entdecken gibt, dass man sich als mündiger Kreuzfahrpassagier unter den zahlreichen Freizeit-, Sport- und Tagesausflugsangeboten genau das heraussuchen kann, was man will, dass es zudem auch Spaß machen kann, sich treiben zu lassen, nichts Wesentliches entscheiden zu müssen und sich (fast allein) nach Ablegen der Tagesausflügler auf dem Liegestuhl des Sonnendecks mit dem guten Buch an der Seite zu räkeln, das übersieht Wallace. Zudem stellt es kaum den Normalfall eines Kreuzfahrgastes dar, dass er sich wie der Autor überwiegend in seiner Kabine verbarrikadiert, um seiner Agoraphobie zu frönen, ganz nebenbei den Bordservice zu testen und wohl in erster Linie in Ruhe an seinem Manuskript für das vorliegende Buch zu arbeiten. Wer größere Menschenansammlungen fürchtet, und zu dieser Spezies scheint der Autor zu gehören, der sollte eben keine Kreuzfahrtreise buchen.

Fazit: Auch wenn der Kreuzfahrterfahrene die kritische Sicht des Autors einige Male als hoffnungslos überzogen empfinden wird, schildert die trotz aller Details gut lesbare, flüssig geschriebene Reportage hervorragend Leben, harte Realitäten (wie etwa im Crew-Bereich) und typische Abläufe an Bord eines 47.255 Tonnen Schiffes. Obwohl Kreuzfahrtschiffe im europäischen Raum im Hinblick auf Tonnen- und Passagierzahl im Durchschnitt kleiner dimensioniert sind und verglichen mit den karibischen Megaschiffen einen Hauch individueller erscheinen, sollte kein Kreuzfahrtinteressierter auf die treffende Beschreibung und schonungslose Analyse des heutigen Wesens der Luxuskreuzfahrten aus der Sicht des aufstrebenden US-Autors verzichten.

(Matthias Korner; 11/2004)


David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich"
Deutsch von Marcus Ingendaay.
Marebuch, 2002. 184 Seiten.
ISBN 3-462-03388-3.
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Kiepenheuer & Witsch, 2004. 185 Seiten.
ISBN 3-462-03388-3.
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David Foster Wallace, geboren 1962, lebt in Bloomington, Indiana. Er zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren seiner Generation. Auf deutsch erschienen bisher seine Geschichtensammlungen "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" (2001), und "Interviews mit fiesen Männern" (2002).

Buchtipps:

Daniel Kampa (Hrsg.): "Kreuzfahrt-Lesebuch"

Majestätische Luxuskreuzer, fremde Länder, elegante Kapitänstischgesellschaten, spannende Bordbekanntschaften oder Landausflüge: Wer eine Kreuzfahrt macht, der kann etwas erleben - und erzählen. Wie es weitgereiste Schriftsteller in diesem Buch tun, von W. Somerset Maugham, F. Scott Fitzgerald, John Updike und David Foster Wallace bis Jonathan Franzen. Hohe Literatur auf hoher See: die ideale Lektüre für angenehme Stunden in der Schiffsbibliothek oder im Liegestuhl auf dem Oberdeck, als Einstimmung vor der Einschiffung, aber auch für alle, die nicht seefest sind und lieber nur im Kopf reisen. Mit einer neuen Erzählung von Ingrid Noll. (Diogenes)
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Andreas Lukoschik: "Schläft das Personal auch an Bord? Ein Kreuzfahrt-ABC"
Mehr als eine Million Deutsche verbringen "die kostbarsten Wochen des Jahres" auf See. Mit steigender Tendenz - und zwar im zweistelligen Bereich. Warum? Weil es amüsant ist. Und aufregend. Und einfach schön. Genießen Sie unterhaltsame und informative Geschichten von Bord größerer und weniger großer Pötte. Kleinere Malheure und größere Fauxpas. Wohlportioniert und alphabetisch geordnet.
Nicht jedem Frischling auf See sind die mehr oder weniger geheimen Regeln und Gesetze an Bord eines Schiffes geläufig. Oft sind es Kleinigkeiten, die den Aufenthalt sehr viel schöner und angenehmer machen. Die einen plötzlich Dinge sehen und genießen lassen, die man leicht übersehen kann.
Ein Buch für erfahrene Seebären und unbedarfte Landratten. Die Einen kommen hier ins Träumen oder da ins Schmunzeln, und für die Anderen ist es ein angenehmer Trockenkurs.
Hören Sie das laute "Tuuuut" des Schiffstyphons? Also in Gedanken auf die Planken. "Leinen los!" Wir legen ab. (Kiepenheuer & Witsch)
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David Foster Wallace: "Kurze Interviews mit fiesen Männern"
Die Geschichten beschreiben Landschaften und Geisteszustände, die einem bekannt und zugleich gänzlich fremd vorkommen: Ob einen Jungen auf dem Sprungbrett lähmende Angst überfällt oder eine unter Depressionen leidende Frau auf Anraten ihrer Therapeutin alte Freunde lediglich als Bezugssystem sehen soll - fast fröhlich stehen die Figuren am Abgrund und erkennen nicht, was sie treibt. Allen voran die "fiesen" Männer, die in fiktiven Interviews ihre - vor allem sexuellen - Beziehungen zu Frauen ungeschminkt beschreiben dürfen: Wie ein Einarmiger Frauen aufreißt oder welche Motivation dahinter stecken kann, wenn ein Mann eine Frau heiratet, die bereits ein Kind geboren hat - durch die Interviews entsteht ein Beziehungskosmos, in dem die Protagonisten selbst, einmal stammelnd, einmal eloquent, ihre emotionalen Qualen darlegen, ihre Höhenflüge selbstbewusst zur Schau stellen oder ihre Ängste zu verbergen suchen. (Kiepenheuer & Witsch)
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David Foster Wallace: "Kleines Mädchen mit komischen Haaren"
David Foster Wallace ist eine der auffälligsten Stimmen der jungen amerikanischen Literatur. Die Vielseitigkeit seiner Themen, sein Hang zum Grotesken, sein kreativer Umgang mit Sprache und seine scharfe Beobachtungsgabe machen diese Geschichten zu einer aufregenden Lektüre.
Als Kind ist David Foster Wallace in Werbefilmchen aufgetreten. Früh scheint er Sprache und Gestik des Fernseh- und Werbezeitalters registriert zu haben, und dieses Thema hat ihn nicht mehr losgelassen. Er stellt in seinen Kurzgeschichten die schrille Exotik und auch die Einsamkeit der Menschen in einer Mega-TV-Quiz-Show dar oder das verschwommene Realitätsbewusstsein von TV-Promis. Das unglaubliche Sprachtalent des Autors, seine tollkühnen Metaphern, sein Spaß beim Verballhornen und beim Schaffen neuer Bilder zeigt sich in allen Geschichten, ist geschickt abgestimmt auf die jeweiligen Figuren - säbelbeinige, hartgesottene Oklahoma-Boys, einen Yuppi-Anwalt, der sich mit Punks umgibt, oder den ehemaligen Präsidenten Johnson und seine Gattin Lady Bird, die aus der Sicht eines schwulen Mitarbeiters dargestellt werden. David Foster Wallace ist beim Schreiben unglaublich risikofreudig und kennt - sehr zum Vergnügen des Lesers - absolut keine Berührungsängste. (Kiepenheuer & Witsch)
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