Wolfgang Bauer; Edzard Klapp; Alexandra Rosenbohm u.a.: "Der Fliegenpilz"
Traumkult, Märchenzauber, Mythenrausch |
Einem der schönsten und in gewissem
Sinn auch delikatesten Pilze unserer Wälder, auf hochdeutsch Fliegenpilz, auf
lateinisch amanita muscaria geheißen, wird in dem vorliegenden Buch ausgiebigst
gehuldigt. Es vereint Aufsätze zahlreicher Autoren (auch nicht mehr lebender)
der unterschiedlichsten Fachrichtungen, die das weißgetüpfelte Männlein von
dem jeweiligen Spezialistenstandpunkt her unter die Lupe nehmen. Bekannt ist,
dass der Fliegenpilz als Symbol Glück bringt, als Speise Unglück, da er (ab
einer bestimmten Menge, wie jede Substanz) giftig ist, in Extremfällen sogar
tödlich sein kann. Weniger bekannt wird wahrscheinlich sein, dass er auch als
Arzneimittel (zum Beispiel in der
Homöopathie)
Anwendung findet. Über Inhaltsstoffe, Aufbau, Lebensbedingungen (mit welchen
Baumwurzeln sie zusammenleben etc.) des Fliegenpilzes sowie der Pilzfamilie
allgemein werden die wenigsten Bescheid wissen; auch hierin vermittelt das Buch
umfangreiches Wissen. Der Hauptaspekt des Pilzes aber - zumindest für den Menschen
und also auch für dieses Buch - ist seine bewusstseinsverändernde Wirkung, vorausgesetzt
natürlich, man konsumiert ihn vorher. Hierzu werden Kostproben aus literarischen
Werken geboten (vor allem in der fantastischen Literatur und - meist codiert
- in Märchen stößt man des öfteren auf
des
Pilzes Kraft) sowie einige Erfahrungsberichte von Fliegenpilzessern.
Hauptentscheidend für die jeweilige Erfahrung - ob man psychischer und spiritueller
Wahrheiten teilhaftig wird oder ob es eher eine Reise des Schreckens wird -
dürften, sind sich die Autoren ziemlich einig, der geistige Reifegrad und (üblicherweise
damit verbunden) Erwartungshaltung und Absicht des Essers sein.
Hauptsächlich aber geht es um die Rolle des Fliegenpilzes bei
der Entstehung von Kulturen im Altertum. Das ist natürlich ein weites Feld,
in dem Mykologie, Philologie, Archäologie, Geschichte und nicht zuletzt Spekulation
laufend ineinander übergehen. Manche dieser Passagen dienen denn auch als unfreiwillige
Warnung vor dem leichtfertigen Verzehr des Pilzes, insofern man sich nämlich
dabei des Eindrucks nicht erwehren kann, der Autor habe sie während einer Überdosis
zu Papier gebracht. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die
Arbeiten eines Vaters der Pilzforschung, des Briten John Marco Allegro (1925-1988).
Dieser war in seiner Eigenschaft als Assistent für vergleichende semitische
Philologie Teil des Forscherteams, das sich um die Entzifferung der berühmten
Qumran-Rollen am Toten Meer verdient gemacht hat. Allerdings kam er im Zuge
dessen etwa so auf den Pilz wie andere auf den Hund kommen, mit dem Endergebnis,
dass er den Fliegenpilz als den Ursprung der menschlichen Zivilisation
überhaupt ansah: Der Ägyptische Gott
Osiris?
Nichts als ein Synonym für den Fliegenpilz. Jesus Christus? Hat als historische
Person nie gelebt, sondern war (man errät es vielleicht schon) nichts anderes
als eine Chiffre für den Fliegenpilz, damit die römischen Soldaten nicht auf
die Idee kämen, sich die Speisekammern der
ersten
Christen genauer anzuschauen. Den Pilz hatten die freilich von ihren
religiösen Ahnen, den Israeliten, übernommen, bei welchen der Fliegenpilz nämlich
der zentrale Kultgegenstand war. Auch viele andere Götter der damaligen
Zeit ... doch genug! Dass Allegro bei seinen Schlussfolgerungen und im Erspähen
des Pilzes seinem Namen alle Ehre macht, ist insofern schade (wenn auch recht
amüsant zu lesen), als wahrscheinlich wirklich bei der Entstehung und Entwicklung
der Religionen Halluzinogene auch eine Rolle spielten und sich Untersuchungen
dazu sehr in Grenzen halten. Der
Baum
der Erkenntnis (wofür steht der wohl?)
jedenfalls wird durch Allegros Theorien nicht nennenswert gewachsen sein.
Nach einem solchen Übermaß an Spekulation tut es gut, wieder mit handfesten Tatsachen
und Beweisen konfrontiert zu werden. Damit warten jene Stellen des Buches auf,
die sich mit der Fliegenpilztradition in Sibirien beschäftigen. Fast überall
in Sibirien,
wo die Pilze wachsen, werden sie nämlich seit Jahrtausenden
ob ihrer berauschenden (bzw. klärenden) Wirkung geschätzt. Je nach dem jeweiligen
Volksstamm sind es entweder ausschließlich
Schamanen,
die sie zur Heilung, Prophezeiung oder für andere Gebiete ihres Berufes nutzen,
oder es können auch sämtliche Stammesmitglieder (mit Ausnahme der Kinder) sein,
die sich des Pilzes erfreuen. Das freilich geschieht dann auch nur zu besonderen
Anlässen, Festen, die in einem sogenannten kollektiven Rausch ihren Höhepunkt
erreichen, oder wiederum religiösen Zeremonien, an denen das ganze Dorf beteiligt
ist. Im überwiegenden Regelfall ist der Pilzkonsum eingebettet in ein Ritual,
dem Pilz und dem ihm innewohnenden Geist wird gebührende Referenz erwiesen. Dass
dies Leichtigkeit und Heiterkeit durchaus miteinschließt, beweisen dieses Pilzliebhabers
Verse:
Ich heiße Kuwar
und bin bepilzt;
mir ist lustig,
ich
werde immer Pilze essen ...
(Esquilin)
Wolfgang Bauer; Edzard Klapp; Alexandra Rosenbohm u.a.:
"Der Fliegenpilz"
AT Verlag, 2000. 208 Seiten.
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Noch ein
Buchtipp:
Wolfgang Bauer: "Der Fliegenpilz. Geheimnisvoll, giftig und heilsam. Die
Wurzeln von Mythen, Märchen und Religionen"
Als Giftpilz ist der Fliegenpilz ein Symbol für die Gefährlichkeit der Natur,
und gleichzeitig gilt er als Synonym für das Glück schlechthin. Wissenschaftler
sehen im Fliegenpilz das vielleicht älteste bewusstseinsverändernde Mittel der
Menschheit. Der heilige Pilz begleitete Schamanen bei ihren Seelenreisen zu
Geistern und Göttern, er half bei der Suche nach Verlorengegangenem und der
Erforschung der Zukunft. Das Geheimnis um seine rituelle Verwendung wurde in
archaischen Kulturen streng gehütet. Spuren seines Gebrauchs finden sich noch im
Namen (ein Pilz zum Fliegen!), in Legenden um Eremiten, die in der Wüste
Visionen suchten, in Göttermythen und Zaubermärchen, im Stein der Weisen der
Alchimisten und in der fantastischen Literatur. Und nicht zuletzt wird er bis in
unsere Zeit als Schmerz- und Heilmittel eingesetzt, vor allem bei nervösen
Leiden. (Nachtschatten)
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