Nino Filastò: "Das Eden-Alphabet"


Der 1938 geborene, in Florenz lebende Autor Nino Filastò war bislang einer großen Gemeinde von Freunden geistreicher Kriminalromane um den Avvocato Scalzi bekannt. Wenn nun der ehemalige Rechtsanwalt, Schauspieler und Theaterregisseur einen eher esoterisch angehauchten Thriller vorlegt, ist man als Rezensent zunächst einmal skeptisch.

Laut Klappentext verbringt Nino Filastò seit einigen Jahren die Sommermonate auf einer kleinen Insel vor der bretonischen Küste, die voll steckt von seltenen Mineralien, und deren mündliche Kultur reich ist an unheimlichen Legenden, die sich zum Teil auf die seltenen Mineralien beziehen. Diese Insel und die dort umlaufenden Geschichten haben Filastò laut Verlag zu diesem neuen Roman inspiriert.

Der Roman erzählt in der Ich-Form von der spannenden Suche des Journalisten Jorge Greck nach einem verschwundenen Archäologen. Jorge Greck wohnt seit einigen Jahren auf der kleinen Insel vor der bretonischen Küste und ist dort dem verschwundenen Davide Chefa auch einige Male begegnet.

Im Auftrag des Bürgermeisters zieht Jorge vorübergehend in Chefas Villa auf den Klippen. Er soll herausfinden, was mit Chefa geschehen ist. Jorge entdeckt im Rechner von Chefa zahlreiche Dokumente, die er nacheinander liest, dokumentiert und kommentiert. Diese Dokumente bilden die Haupthandlung eines Romans, der von der Geschichte eines Archäologen erzählt, der auf die Spuren von Außerirdischen stößt und ihre Zeichen auf Reisen durch die ganze Welt in Form bestimmter Steine sammelt. Die Suche und die Begegnung mit diesen anderen Wesen wird zur Lebensmanie von Chefa.

Und Jorge gerät bei aller Distanz, die er zu den unheimlichen Forschungsergebnissen von Chefa nach eigener Aussage halten will, immer wieder in seinen Sog:
"In letzter Zeit verspüre ich dasselbe Gefühl von Verunsicherung und Angst, das in dem Brief des Archäologen anklingt und das ja auch in seinen anderen Schriften der 'Stein-Dateien' mehr als präsent war.
Wir gehören beide einer Generation an, die in ihrer Kindheit einen Krieg erlebt hat, und obwohl ich damals noch jünger war als er, hat sich mir der Eindruck jener unheilvollen Jahre nicht weniger stark eingeprägt. Wie er lebte ich in der Illusion, die grausamen Kriegsjahre gehörten einer Vergangenheit an, die die Menschheit endgültig hinter sich gelassen hat. Vielleicht vertraute ich mehr noch als er auf den Mythos von Kultur und Fortschritt und auf die Hoffnung, die Menschen hätten sich von Grund auf geändert und aus den Gräueln des grausamsten Jahrhunderts der Geschichte ein für allemal gelernt, hätten den blinden Egoismus abgelegt zugunsten des Überlebenswillens. Und wie er habe auch ich in den letzten Jahren Dinge gesehen, die sich an Schrecken jeweils überboten und immer weiter ausbreiteten, bis sie fast überall auf der Erde wüteten. Auch ich habe diese Dinge als Vordringen einer Schraube interpretiert, die sich in ihre vorherbestimmte Richtung dreht, und als fehle nur noch die letzte Umdrehung bis zum finalen Knall.
Chefas Analysen kann ich natürlich nicht teilen, wenn man seine alles andere als logischen und analytischen Überlegungen zum eschatologischen Ursprung des Zerstörungstriebes so nennen kann."

Und er begegnet mehrfach einem Mann namens Flecher, der seine Begegnungen mit den Außerirdischen aufgeschrieben hat und auch Kontakt hatte zu Chefa. Mühsam kämpft Greck, der die ganze Geschichte in einem Roman dokumentieren will, um seine rationale Sicht der Dinge, bemüht sich, Chefas Sehnsucht nach der Rückkehr von Habiela, einer Frau der "Anderen", die ihm begegnet war, zu belächeln, aber am Ende schließt er seinen Roman mit folgenden Worten:
"Eisern halte ich an meiner rationalen Sicht der Dinge fest. Und doch muss ich gestehen, dass ich weniger skeptisch bin als zuvor. Im tiefsten Innern hege ich keine Zweifel mehr, sondern befinde mich eher, wie vor mir Chefa, in gespannter Erwartung. Die Skepsis ist eine Haltung, hinter der man in der Regel eine Hoffnung verstecken möchte, die zu privat ist, um mit jemanden geteilt zu werden.
Die ganze Zeit, während ich an meinem Roman schrieb, stand der Stein von Laghouat hier auf meinem Schreibtisch ...
Wenn ich ihn noch hier behalte, dann aus einem Grund, der einem Traum mit offenen Augen gleicht. Trotz meiner Bemühungen, mich an die vernünftigen Alltäglichkeiten des Lebens zu halten, möchte ich nicht gänzlich ausschließen, dass Flecher recht haben könnte, wenn er behauptet, wir seien durch eine Reihe von scheinbaren Zufällen erwählt worden. Dann aber, wenn ich wirklich erwählt bin, als 'Wächter der Ruhe von Eden' zu wirken, werde ich Habiela wiedersehen, denn sie hat versprochen hierher zurückzukehren. Ich werde es sein, der sie willkommen heißt, nicht der Professor. An dem Stein wird sie mich erkennen, als sei das Zeichen aus der Hand Chefas auf mich übergegangen. Ich bin ganz aufgeregt bei dem Gedanken, sie wiederzusehen. Nachts träume ich häufig von ihr. Ich warte in stiller Hoffnung."

Obwohl es im Klappentext heißt, der Altmeister "verpacke seine scharfsinnige Kritik an der ewigen menschlichen Sehnsucht nach Gott und dem Teufel in einem spannenden Plot", ist mir mit jedem weiteren Kapitel undeutlicher geworden, ob nicht auch Filastò selbst so wie sein Protagonist Jorge Greck von der unheimlichen Geschichte angesteckt wurde.
Von angeblich scharfsinniger Kritik habe ich in dem Buch nichts entdeckt. Filastòs Buch ähnelt eher einem vorsichtigen Tasten eines Agnostikers an den Phänomenen einer anderen, übersinnlichen, parallelen Welt. Und obwohl es eigentlich "politisch nicht korrekt" ist, lässt man sich ein wenig darauf ein, ohne genau zu zeigen, wie stark.

Das Buch ist spannend, ohne Frage. Aber ein Thriller ist etwas Anderes. Ich freue mich schon auf Filastòs nächsten feinsinnigen und geistreichen Kriminalroman. Das kann er besser.

(Winfried Stanzick; 05/2006)


Nino Filastò: "Das Eden-Alphabet"
Aus dem Italienischen von Esther Hansen.
Aufbau-Verlag, 2006. 450 Seiten.
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