Jasper Fforde: "Der Fall Jane Eyre"
Der Auftakt zu einer Fantasy-Reihe
In welche Kategorie man "Der Fall Jane
Eyre" einordnen soll, kann nicht genau gesagt werden. Das Buch ist kein
Fantasyroman im herkömmlichen Sinn, aber auch keine klassische
Kriminalgeschichte.
"Der Fall Jane Eyre" spielt im Jahr 1985. Aber in
einer Welt, in der Literatur so wichtig ist, dass es eine eigene Abteilung
der Polizei gibt, die sich nur damit beschäftigt, Literatur zu
beschützen.
Thursday Next,
(den Namen trägt sie, weil sie an einem Dienstag geboren wurde), eine Veteranin
des Krimkrieges, der schon seit Jahrzehnten zwischen England und Russland tobt,
arbeitet als A1-Agentin für die SO27, also für genau jene Abteilung der Polizei,
die sich mit dem Schutz der Literatur befasst. Ihr Vater, ein ehemaliges Mitglied
der Chronogarde, kann mit seinem Gesicht die Zeit anhalten, aber eigentlich
existiert er gar nicht, da seine Existenz von der Chronogarde gelöscht wurde.
Trotzdem taucht er immer wieder bei Thursday auf, wenn auch hin und wieder doppelt.
Thursdays Bruder Anton, der so hieß, weil er an einem Montag geboren wurde,
fiel im Krimkrieg. Mit seinem Tod wurde sie nie richtig fertig. Ihr anderer
Bruder hat sich einer religiösen Verbindung angeschlossen, die alle Weltreligionen
vereint. Ihre Mutter lebt in Swindon zusammen mit Thursdays Tante und ihrem
Onkel, der als eine Art verkanntes Genie seltsame Dinge entwickelt - wie Bücherwürmer
oder eine Maschine, mit deren Hilfe man in Bücher gelangen kann.
Zu Beginn der Geschichte lebt Thursday zusammen mit ihrem
Dodo,
(natürlich einer nachgezüchteten Form), in London. Ihr ehemaliger Literaturprofessor
vom College, Archeron Hades, ist inzwischen zum meistgesuchten Verbrecher der
Welt geworden. Er raubt das Originalmanuskript von
Charles Dickens' "Martin
Chuzzlewit". Thursday Next gelingt es schließlich Hades, (dessen Namen man nicht
laut aussprechen darf), zu stellen. Er flieht jedoch und tötet auf der Flucht
einige von Thursdays Kollegen und verletzt sie selbst schwer. Ein Unbekannter
rettet ihr jedoch das Leben, indem er sie bis zum Eintreffen des Krankenwagens
versorgt. Bei diesem Unbekannten handelt es sich, wie sich später herausstellt,
um niemand geringeren als Rochester, die männliche Hauptfigur aus Charlotte
Brontes Roman "Jane Eyre".
Im Krankenhaus
erscheint sich Thursday (so eigentümlich das klingen mag) selbst und befiehlt
sich, eine Stelle in Swindon, ihrem Heimatort anzunehmen. Mit Swindon verbindet
Thursday viele Erinnerungen - nicht zuletzt die an ihren ehemaligen Freund
Landen Park Laine, der zusammen mit ihr und ihrem Bruder im
Krimkrieg
war.
Thursday hat Landen immer noch nicht verziehen, dass er gegen ihren
gefallenen Bruder vor einer Untersuchungskommission ausgesagt hat. Diese
Tatsache scheint auch nach all den Jahren die langsam wieder entstehende
Beziehung zu gefährden.
Als schließlich Jane Eyre aus ihrem eigenen Roman
entführt wird, überschlagen sich die Ereignisse. Thursdays Tante wird in einem
Gedicht gefangen gehalten und ihr Onkel, der sie in dieses Gedicht gebracht hat,
wird von Archeron Hades erpresst. Gleichzeitig soll eine neue Waffe auf den
Markt kommen, die eine entscheidende Wende im Krimkrieg bedeuten kann, wodurch
die Friedensverhandlungen zwischen England und Russland zum Erliegen
kommen.
Jasper Ffordes Roman findet ein ungemein spannendes Ende in der
unabhängigen Volksrepublik Wales und im Roman "Jane Eyre".
"Der Fall Jane
Eyre" besticht nicht nur durch seine spannende Handlung sondern auch durch einen
ungemeinen Wortwitz, der sich schon allein in den Namen der Personen erkennen
lässt. Für Literaturinteressierte ist das Buch doppelt interessant, weil es
neben der Handlung einige, wenn auch sehr gewagte und überraschende Antworten
auf große Rätsel der Literaturgeschichte gibt.
So erfährt man, wer
Shakespeare wirklich war, auch wenn diese Erklärung ein wahres Paradoxon
darstellt. Denn wie kann man ein Buch in die Vergangenheit bringen, das erst
dadurch, dass es in die Vergangenheit gebracht wird, geschrieben
wird.
Jeder, der Charlotte Brontë gelesen hat, wird sich wundern, was von
Thursday und ihren Kollegen über die Handlung in diesem Klassiker gesagt wird.
Doch man kann beruhigt sein; auch auf dieses Rätsel, das uns der Autor selber
aufgibt, findet sich eine sehr unterhaltsame Antwort.
Die autonome
Volksrepublik Wales wird vor allem dann zum Schmunzeln anregen, wenn man in
Filmen wie "Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg
herunterkam" gesehen hat, wie die Beziehungen zwischen den Engländern und den
Walisern oftmals, (wenn auch sicher überzogen), dargestellt werden.
Über
andere wenngleich erfundene Details aus dem Roman kann man weniger schmunzeln.
So wird einem sehr schnell klar, dass der Krimkrieg ein Synonym für alle Kriege
ist, die geführt werden, bei denen Unschuldige ihr Leben lassen, und durch die
Familien auseinandergerissen und Beziehungen auf ewig zerstört werden. Die neue
sensationelle Waffe, die den Krieg beenden soll, erscheint einem gleich pervers
wie jede andere Waffe, die einen Krieg beenden soll, wenn es auch in Wahrheit
immer nur darum geht, Geld zu scheffeln.
Mir hat "Der Fall Jane Eyre"
ausnehmend gut gefallen, vor allem auch deshalb, weil Jasper Fforde seinen
Figuren Gefühle zugesteht und sie dadurch trotz des starken Fantasycharakters
seines Buches glaubwürdiger macht.
Auf eine sarkastische, manchmal schon fast
bissige Art und Weise macht sich Jasper Fforde über die Literatur, die englische
Literatur im besonderen, lustig, wobei man den Eindruck gewinnt, dass er sich
selbst auch nicht allzu ernst nimmt.
"Der Fall Jane Eyre" erinnert stark
an die Werke von
Terry
Pratchett, wenngleich er wesentlich einfacher zu lesen ist.
Die
Geschichte wird aus der Sicht von Thursday beschrieben und hat schon fast
Tagebuchcharakter. Vor jedem Kapitel steht ein sehr kurzer Text aus anderen
Werken, (wenngleich diese auch nicht immer existieren), wie aus "Ein Leben für
die SpecOps" oder "Memoiren eines Krimveteranen".
Jasper Ffordes Thursday
Next-Romane haben das Potenzial, Kult zu werden. Im englischen Sprachraum sind
sie es bereits. Nach dem Lesen dieses Romans wünscht man sich, auch einmal in
Bücher reisen zu können. Doch "Der Fall Jane Eyre" ist so fesselnd geschrieben,
dass dieser Wunsch schon fast in Erfüllung geht. Ich kann das Buch nur allen
empfehlen, die auf gehobene Unterhaltungsliteratur Wert legen. Wer sich
allerdings Fantasy á la "Der Herr der Ringe" oder "Elfenportal"
vorstellt, wird enttäuscht sein. Denn Thursday Next und ihre Kollegen sind trotz
aller Fiction noch sehr real.
Fazit: Ein Fantasyroman für Krimiliebhaber.
Man muss sich nur darauf einlassen, in eine andere und trotzdem sehr bekannte
skurrile Welt zu reisen.
Jasper Fforde wurde 1961 in Wales geboren.
Sicher mit ein Grund dafür, dass es ihm auf so einmalige Weise gelingt, den
englischen Charakter so pointiert zu skizzieren. Seine Bücher schrieb er 14
Jahre lang neben seiner Arbeit als Kameramann. Weitere Bücher mit Thursday Next
sind schon geschrieben und in England bereits veröffentlicht.
(Anna Mehlmann; 03/2004)
Jasper Fforde:
"Der Fall Jane Eyre"
(Originaltitel "The Eyre
Affair")
Aus dem Englischen von Lorenz Stern.
dtv, 2004. 378
Seiten.
ISBN 3-423-24379-1.
ca. EUR 14,50.
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https://www.jasperfforde.com/
Ergänzender Buchtipp -
nachdem von Charlotte Brontës Roman "Jane Eyre" die Rede
ist:
Als die fantastische
"Autobiografie" "Jane Eyre" unter männlichem Pseudonym in London erschien, war
ein Bestseller der Weltliteratur geboren. Der ergreifende Roman über eine Waise,
die allen Widrigkeiten zum Trotz zur selbstbewussten Persönlichkeit heranreift
und am Ende das Glück in der Liebe findet, ist seither millionenfach gedruckt,
in viele Sprachen übersetzt, verfilmt und von Lesergenerationen "verschlungen"
worden. Charlotte Brontë (1816-1855) war die älteste der drei außergewöhnlichen
Schriftsteller-Schwestern. In der Abgeschiedenheit des elterlichen Pfarrhauses
in Yorkshire schrieb sie einen der berühmtesten Frauenromane der
Welt.
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