Jasper Fforde: "In einem anderen Buch"
Unsinn mit Sinn zwischen Dichtung
und Nichtung
In einem anderen Buch - um präzise zu
sein, in "Der Fall Jane
Eyre" - stellte der Waliser Schriftsteller mit dem Doppel-F am
Namensbeginn seine Romanheldin Thursday Next zum ersten Mal dem leselustigen
Publikum vor. Die Lust, Lustiges Zeile für Zeile zu verschlingen, ist gleichsam
einzige unverzichtbare Grundvoraussetzung zum unbeschadeten Konsum seiner
Bücher. Denn Frau "Nächster Donnerstag" präsentiert sich als eine eigenwillige
"Literaturagentin" der Abteilung SO-27 in einer mehr als eigenwilligen
Welt.
In "Der Fall Jane Eyre" wurde die zeitreisende
Hauptprotagonistin in die Seiten von
Charlotte
Brontës "Jane Eyre"
eingeschleust, um die Authentizität des Werkes für die Nachwelt zu bewahren. Ein
Berufsunterweltler mit dem für seine Profession adäquaten Namen Acheron Hades
hatte nämlich angedroht, den Literaturklassiker einfach umzuschreiben, sollte
seinen erpresserischen Forderungen nicht nachgekommen werden. Thursday legte dem
perfiden Kulturfrevler das verfälschende Handwerk. Nun leidet sie an der
medialen Popularität: "Die Öffentlichkeit wollte alles über mich wissen, seit
ich aus dem Roman zurückgekehrt bin."
Pause ist Mrs Next keine
gegönnt. Auch in ihrem zweiten großen Fall, den Fforde "In einem anderen
Buch" ausbreitet, hat es die Agentin des "Special Operations Network", kurz
"SpecOps", mit allerlei Finsterlingen zu tun. Dabei ist es für den Lesenden gar
nicht so einfach, den roten Faden der Handlung in die Hände zu bekommen. Immer
wieder flicht Jasper Fforde Nebenstränge ein, die sein skurriles Universum
zwar weiter ausleuchten, aber auch in die Irre leiten.
Dramaturgisch
unumstößlich scheint nur, dass die Welt am 12.12.1985 durch "Nanoboter" dem
Untergang geweiht ist. Alles Organische verwandelt sich dann in rosafarbene
Puddingmasse, sollte Thursday Next nicht zeitgerecht (was bei temporalen
Verwerfungen oft Schwierigkeiten birgt) der gegenwirkende Einfall gelingen. Doch
die in Gallertform drohende Apokalypse ist nicht das einzige Problem der
Literaturagentin. Neben der Rettung unseres Planeten muss die Frischverheiratete
nicht nur den entführten Gespons Landen Park-Laine ausfindig machen, sondern im
Strudel der Zeit auch ihren Vater finden, der von der "ChronoGarde" verfolgt
wird. Tja, da sind dann auch noch Aornis, Acheron Hades' ebenso skrupellose
Schwester, die auf Rache für das Ende ihres Bruders sinnt, sowie der Abgeordnete
Yorrick Kaine, ein populistischer Stimmenfänger der "neuen Whigs". An der
Strukturierung des Buches wird klar, dass Jasper Fforde seine künstlerischen
Wurzeln in der Filmbranche verankert hat: Kapitel für Kapitel erinnert an in
sich abgeschlossene Videofilme, die in einer luftigen Rahmenhandlung
aneinandergereiht werden, sodass letztendlich all der "Nonsens" wider seine
wörtliche Bedeutung doch noch Sinn macht. Was die Kreativität in Sachen "Unsinn"
angeht, steht Fforde einem Douglas Adams in nichts nach.
Ersteinsteiger
müssen sich "In einem anderen Buch" auf eine Vielzahl neuer Realitäten
und Begriffe gefasst machen. Großbritannien (das gar nicht so groß ist, da
Wales
als "Volksrepublik" aus dem Vereinigten Königreich ausschied) steht im Krieg mit
dem zaristischen Russland (scheinbar fand die Oktoberrevolution nie statt). Auch
der Zweite Weltkrieg endete nicht 1945, vielmehr konnten nazi-deutsche Verbände im
Südosten Englands Fuß fassen. Die "Goliath Corporation" manipuliert - von all dem
unbeeindruckt - derweil beflissen an vielerlei Erbgut. Dem Konzern gelang es,
den Tasmanischen Beutelwolf wiederzuerschaffen, ebenso
Mammut und Dodo.
Die eiszeitlichen Rüsseltiere stehen unter strengem Schutz, was es ihnen
erleichtert, ungeahndet Zierteiche auszuschlürfen. Dodos haben gar
den Sprung von der Vergessenheit in die Heime vieler Briten geschafft. Thursday
selbst beherbergt eine plockende Dame dieser Spezies, namens Pickwick (deren
mütterliche Fürsorge ganz ihrem Ei gilt). Auch der
Neandertaler
wandelt nach 30.000-jähriger Absenz wieder auf Erden. Allerdings sind diese von
Goliath ganz bewusst auf Sterilität gezüchteten Pazifisten gar nicht gut auf die
überheblichen und aggressiven "Sapps" (den Homo sapiens) zu sprechen. Die
"Talls" mit der fliehenden Stirn drohen ein zweites Mal auszusterben; viele
ziehen daher gleich den Suizid vor.
Die "Goliath Corporation" führt neben
der Neandertaler-Unterdrückung noch weitere üble Vorhaben im Schilde: Sondermüll
soll in Lyrikbänden entsorgt werden: zwischen den Zeilen, unbemerkt und
unbestraft. Chef des Multis ist ein gewisser Mr Schitt-Hawse (nomen!), der alle
Hebel in Bewegung setzt, um den dubiosen Jack Schitt (Ein Verwandter? - Wer
weiß.) aus Edgar Allan Poes Gedicht "Der Rabe" herauszubekommen. Agentin
Next soll dabei unfreiwillig behilflich sein. Übrigens, zum Firmenmotto von
Goliath weiß Thursday anzumerken: "Wachstum um seiner selbst willen - das ist
die Philosophie eines Krebsgeschwürs"; der vielleicht genialste Satz in
Ffordes Buch!
Was bei Jasper Fforde einmal mehr auffällt, ist der hohe
Stellenwert, den er Literatur in seiner fiktiven Welt einräumt. Nicht nur, dass
Thursday Next einer Spezialeinheit angehört, die nur damit beauftragt ist,
Fälschungen oder Plagiate zu entlarven (dabei helfen "VMAs":
"Versmaßanalysatoren") oder Entführungen von Romanfiguren zu verhindern (durch
den Sprung in "ProsaPortale"); nein, sogar Wahlen sind damit zu gewinnen, dass
ein Politiker seinem potenziellen Stimmvolk die Uraufführung eines unbekannten
Shakespearewerks verspricht. "Retro-Diebstahl", also das widerrechtliche
Entwenden literarischer Originale per Zeitreise, ist ein Kapitalverbrechen.
Nicht selten droht Dieben der Dichtung die "Nichtung": das Ausgemerztwerden aus
Zeit und Erinnerung. Wenig wunder, dass die berühmte Bodleiana-Bibliothek von
Oxford "sicherer als Fort Knox" (wo die US-Goldreserven gelagert liegen)
ist. Hinter den Buchdeckeln, zwischen den Zeilen oder durch Interpunktion agiert
die "Jurisfiktion": "Ein Sicherheitsdienst, der innerhalb von Romanen und
anderen literarischen Werken" betrieben wird, um die "Integrität der
Texte zu schützen".
Absatzweise Schabernack treibt Fforde mit den
"strengen Wissenschaften" Mathematik und Physik. Wollen Sie z.B. wissen, wie
"Nextische Geometrie" anwendbar ist? Dann schlagen Sie einfach Seite 90 auf. Wo?
"In einem anderen Buch" natürlich. Oder kommt es Ihnen merkwürdig vor,
dass Sir Edmund Godfrey 1678 in einem Straßengraben am Londoner Greenberry Hill
erschlagen aufgefunden worden war, und seine Mörder zufällig Green, Berry bzw.
Hill hießen? Dann geht es Ihnen nicht anders als Thursday Next, auf die aus
heiterem Himmel von einem vorüberziehenden Zeppelin ausgerechnet dann eine
Oldtimer-Limousine (zu-)fällt, als sie auf der Picknickdecke Platz zu nehmen
gedenkt. Ob Aornis Hades etwa dahintersteckt? Da hilft nur das "Entroskop"
weiter, eine einfache Erfindung, lediglich aus Reis, Linsen und einem Glastiegel
bestehend.
Fühlen Sie sich oft beobachtet? Es könnten die "SpecOps"-Agenten
Nosmo und King sein. Na ja, vielleicht auch Kannon und Fodder. Möglicherweise
interessiert Sie aber auch nur - wie den geschätzten Millon de Floss (Was heißt
da, Sie kennen ihn nicht?) - "Wer hat das
Poe in Poesie getan?" (E. A.
vielleicht?). Lautet die Antwort ja, leiden Sie, verehrte Leserin/verehrter
Leser, möglicherweise schon an fortgeschrittener Xplkqulkiccasia, "einer
Krankheit, die so gefährlich ist, dass die Ärztekammer sich einen besonders
unaussprechlichen Namen ausdenken musste, damit sie sich nicht
herumspricht."
Am Ende des Buches steht Thursday Next vor der Frage,
ob sie sich in "ein gutes Buch" oder in unsere Wirklichkeit zurückziehen
soll. Menschen (natürlich auch Neandertaler), denen Ffordes Buch zugesagt hat,
werden hingegen mit einer anderen Überlegung des Autors konfrontiert: "Wer ist
verrückter? Der Irre oder der, der ihm nachläuft?"
(lostlobo; 12/2004)
Jasper Fforde: "In einem anderen
Buch"
(Originaltitel "Lost in a Good Book")
Übersetzt von Joachim
Stern.
dtv.
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Weitere Bücher des Autors
(Auswahl): "Es ist was faul"
"Irgendwo ganz anders"
Der fünfte Band der Reihe.
Thursday Next betrügt ihren Mann. Und das nicht erst seit gestern, sondern
schon seit vierzehn Jahren! Als mehr oder weniger glückliche Mutter von Friday,
Tuesday und Jenny lebt sie mit ihrem geliebten Ehemann Landen zusammen und geht
auch jeden Morgen zur Tarnfirma "Acme-Carpets", um die schöne Stadt
Swindon mit Teppichen und Parkett zu versorgen. In Wirklichkeit ist Thursday natürlich
weiter Geheimagentin für "SpecOps" und verschwindet regelmäßig in
die BuchWelt, in der sie jetzt auch Lehrlinge ausbilden muss. Ganz zu schweigen
vom lebhaften Käseschmuggel, mit dem sie die kümmerlichen Finanzen der Firma
aufzumöbeln versucht. Von alledem darf ihre Familie nichts wissen. Dass diese Täuschungsmanöver
auf Dauer nicht gutgehen können, liegt auf der Hand ... (dtv)
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Nach jahrelangem Aufenthalt in der BuchWelt kehrt Agentin Thursday Next mit
ihrem zweijährigen Söhnchen Friday und Hamlet, dem bekannten Dänenprinzen, in
ihre Heimatstadt Swindon zurück. Im Haus ihrer Mutter warten freilich schon
andere Gäste auf sie: Lady Hamilton und Fürst Bismarck, der den deutsch-dänischen
Krieg von 1864 zu vermeiden versucht.
Ansonsten sind es keine guten Zeiten für Dänen: Der tückische Yorrick Kaine
versucht sich auf einer Welle von anti-dänischen Ressentiments zum Diktator von
England ernennen zu lassen, und wenn es Thursday Next nicht gelingt, den Swindon
Mallets zum Sieg beim SuperHoop (der Krockett-Meisterschaft) zu verhelfen,
werden Kaine und die Goliath Corporation die Welt in den Untergang führen.
Eigentlich erstaunlich, denn Goliath bereut (angeblich) alle Sünden und möchte
als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Und was noch schlimmer für Hamlet
ist: Er kann nicht zurück in die BuchWelt! Ophelia hat sein Stück
umgeschrieben. (dtv)
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