Jean-Louis Fetjaine: "Der Weg des Magiers"
Keltische Kalamitäten rund um den Magier Merlin
Haben sie nun real existiert oder
nicht? Sie?: Artus, Großkönig der Briten, und Merlin, sein Magier. Jean-Louis
Fetjaine, der selbst Mediävistik studierte, beantwortet diese Frage so: "Ich
habe mich bemüht, die Figuren, die am Ursprung dieser Legende standen,
aufzuspüren und sie wieder in den wirklichen Kontext ihrer Epoche
einzuordnen." Kontext der Epoche heißt 5./6. Jh. nach Christus. Der
französische Fantasyautor entledigt sich dabei der im Hochmittelalter
hinzugefügten christlich-höfischen Ideale eines Geoffrey of Monmouth oder
Chretien de Troyes. Und er ordnet die Figur des Merlin chronologisch nach
der des Artus ein, "was das herkömmliche Bild des alten Zauberers, der den
jungen König (...) erzieht, infrage stellt." Zudem glaubt Fetjaine, dass die
legendäre Gestalt des Königs Artus nicht auf einen einzelnen dux bellorum
zurückgeht, sondern aus Versatzstücken mehrer historischer Kriegsführer
zusammengefügt ist. "In gewisser Weise gilt für Merlin das Gleiche, da sich
die Person aus der Artussage aus zwei oder drei historischen Merlins
zusammensetzt." Die da wären: Merlinus Ambrosius, Prinz des walisischen
Reichs Dyfed; der Barde Myrddin, dessen Existenz 120 Jahre später verbürgt ist;
sowie ein wilder Geselle namens Lailoken.
In "Der Weg des Magiers"
bleibt Merlin freilich eine Einzelperson: der kindliche Barde des Königs
Guendoleu von Kumbrien. Seine Mutter ist Aldan, Königin von Dyfed; sein
offizieller Vater war Aurelius Ambrosianus, genannt Artus ("der Bär"),
verstorbener Rhiotam (= Hochkönig) der Briten. Zu Romanbeginn begleitet Merlin
seinen Herrn ins nördliche Königreich Strathclyde, wo König Riderich herrscht.
Ein Bündnis aller britischen Regenten soll geschmiedet werden, von Kaledonien
bis Cornwall - unter einem starken Herrscher. Denn: Aus den Highlands kann
jederzeit eine Invasion der Pikten beginnen, einem Volk martialisch tätowierter
Ureinwohner. Im Westen des heutigen Schottlands haben sich gälisch-irische
Eindringlinge festgesetzt, die Dal Riada. Und die ganze Osthälfte Albions (=
England) steht bereits unter Herrschaft der germanischen Angeln, Sachsen und
Jüten. Die britischen Kelten werden also gleich von drei Seiten her bedroht.
Gelingt keine Allianz der untereinander verfeindeten Kleinkönigreiche, droht der
Untergang.
Während der königlichen Ratsversammlung in Strathclyde
übergibt Aldan den royalen Torques (= Halsreif) ihres verstorbenen Gemahls
Aurelius Ambrosius an Guendoleu von Kumbrien, der somit neuer Rhiotam aller
Briten ist. Doch auf der Heimreise gerät Guendoleu in einen Hinterhalt und wird
getötet. Merlin gelingt die Flucht samt dem Torques. In einem Wald, von dem es
heißt, Elfen würden darin wohnen, nimmt er aus dem Augenwinkel seltsame
Gestalten wahr und erhält ein fein gewirktes Moirégewand geschenkt, das seinen
Körper auf schier magische Weise vor der Kälte des Winters schützt. Der junge
Barde scheint mysteriöse Beschützer zu haben.
Die Mörder des Königs waren
Gälen der Dal Riada, aber auch walisische Briten aus Gwynedd. Was Merlin nicht
wissen kann: König Riderich will selbst Rhiotam werden und hat sich daher mit
dem Irenkönig Aedan verbündet. Aedan lässt seine Truppen Angst und Schrecken
verbreiten, ein britisches Königreich nach dem anderen wird verwüstet. Ein
geschickt eingefädeltes Komplott, das die überlebenden Briten nach einer starken
Hand schreien lässt, nach Riderich, seinem Verbündeten. Nur Merlin selbst, der
Sohn des Artus, steht den Machtgelüsten der Verräterallianz noch im
Wege.
Doch Dank seiner unerkannt bleibenden Beschützer und des
Benediktiner-Paters Blaise gelingt es Merlin immer wieder, den Häschern zu
entkommen. In den blauen Hügeln von Preseli, einer verwunschenen Gegend, dem
Zugang zur Anderswelt, findet der flüchtige Barde zu Samhain, der Nacht der
Toten, seine Bestimmung. Ab nun beschreitet er den Weg des Magiers. Am Ende des
Buches bricht er auf, über den Kanal ins Land Armorika, in die heutige Bretagne.
Dort soll im Wald von Brocéliande sein leiblicher Vater wohnen, Morvryn, ....
ein Elf!
Der ehrgeizige König Riderich in der Erzählart des Jean-Louis Fetjaine erinnert
an William Shakespeares Schottenherrscher Macbeth.
In der Ausdrucksweise greift der Franzose allerdings zu weit drastischerer Sprache
als der Mann aus Stratford. Vergewaltigung - und vor allem Mord und Krieg werden
schonungslos beschrieben, nicht aber voyeuristisch: "Wo er auch hinschaute,
türmten sich Tote zu makaberen Schutzwällen. Hier und da lagen Grauen erregende
menschliche Überreste über den Boden verstreut - abgehauene Köpfe, Arme, die
noch eine Waffe hielten -, und überall auf dem niedergetrampelten Gras oder
dem gefrorenen Schlamm Menschen, die bereits aufgegeben hatten oder aber sich
brüllend und weinend in ihrem eigenen Blut wälzten; allerorten jämmerlich anzusehende
Hunde oder Pferde mit aufgeschlitzten Bäuchen." Fetjaine folgt damit einem
Trend der modernen fantastischen Literatur, der auf völlig poesiefreien Realismus
setzt. In "Die Nebelsängerin" schlägt z.B. auch Monika Felten stellenweise
diese ungewohnt harte sprachliche Gangart ein.
Jean-Louis
Fetjaine hat für die Erzählung um den Magier Merlin eine Trilogie geplant. Mit
einem anderen literarischen Dreiteiler: "Vor der Elfendämmerung", "Die
Nacht der Elfen, "Die Stunde der Elfen" hat der Franzose sich bereits
in die Herzen der Fantasyfans hineingeschrieben. Dass dabei immer wieder
Vergleiche mit J.R.R. Tolkiens Ringzyklus aufkommen, scheint unvermeidbar, aber
nicht ganz stichhaltig. Thematisch mag es zwischen beiden Autoren ja
Ähnlichkeiten zuhauf geben, stilistisch unterscheiden sie sich allemal. Tolkien
setzte auf feinen Humor und poetische Sprache. Wenn schon ein Vergleich, dann
vielleicht mit Marion Zimmer Bradleys "Die Nebel von
Avalon", zumal Fetjaines Elfentrilogie zeitlich vor der Avalon-Erzählung
gut hineinpasst und der nunmehrige Merlin-Dreiteiler danach. Wie bei Zimmer
Bradley kommen auch bei Fetjaine die Missionare schlecht weg. Columban oder
Kentigern intrigieren hinter den Kulissen "zur höheren Ehre
Gottes".
Frage am Rande? Wer hat Walt Disneys Abenteuer von "Merlin
und Madame Mim" noch in Erinnerung? In "Der Weg des Magiers" stolpert
der Leser nämlich über die mythologische Wurzel dieses Zeichentrickfilms. Die
"Hexe" Cerridwen (Mim) verfolgt den Jungen Gwyon (Merlin), der sich in Panik
immer wieder verwandelt. Zuerst beginnt die Jagd Hase gegen Hase, dann wird
Gwyon zum Lachs, Cerridwen zum Otter. Weiter geht’s mit Singvogel:Sperber und
Weizenkorn:schwarze Henne. Am Ende schluckt Cerridwen das Korn, wird davon
schwanger und gebiert einen Sohn, den sie in einem Korb in den Fluten aussetzt
... Moses lässt grüßen.
Gewährt Fetjaine im zweiten Band Merlin das Recht
zur Rache an Aedan und Riderich? Wird Merlin gar König, er, das "Kind des
Teufels", ein Halbelf? Wie entwickelt sich seine Liebe zu Guendoloena, Schwester
des Riderich und nunmehrige Frau des Aedan? Man darf gespannt sein, was aus dem
Zauberkessel des Autors an keltischen Kalamitäten so alles überbrodelt ...
(lostlobo; 02/2005)
Jean-Louis Fetjaine: "Der Weg des
Magiers"
(Originaltitel "Le pas de Merlin")
Aus dem Französischen
übersetzt von Svenja Geithner.
dtv, 2004. 337 Seiten.
ISBN
3-423-24409-7.
ca. EUR 15,-.
Buch bei amazon.de
bestellen
Jean-Louis Fetjaine wurde 1956 geboren.
Studium der Philosophie und der Mittelalterlichen Geschichte. Er arbeitete als
Journalist, seit 1985 als Verleger. Fetjaine zählt zu den wichtigsten
französischsprachigen Vertretern des Fantasy-Genres.
Weitere
Buchtipps:
Der dreibändige "Elfenzyklus" von Jean-Louis Fetjaine:
"Vor
der Elfendämmerung"
Es war einmal vor langer Zeit: Die Welt ist bevölkert von Zwergen, Elfen und
Menschen, den drei "freien Völkern", die gemeinsam die Mächte des Bösen in Schach
halten. Es ist eine Notgemeinschaft, denn die ruppigen Zwerge trauen den geheimnisvollen
Elfen ebensowenig wie den minderbegabten Menschen - und umgekehrt.
Der trügerische Friede beruht lediglich auf einem sensiblen
Gleichgewicht der Kräfte. Eines Tages aber beschuldigen die Zwerge die
Sumpfelfen, ihren König ermordet und das heilige Schwert Excalibur geraubt zu
haben. Das Schwert ist für das Zwergenvolk nicht nur Symbol des Königtums,
sondern auch wundertätiger Talisman und Garant seines Überlebens. Eine
paritätisch besetzte Untersuchungskommission soll für Klarheit sorgen, um den
Frieden und die Ordnung der Welt zu retten.
Die Elfen wählen Lliane aus, ihre
wunderschöne blauhäutige, aber auch kampfgewaltige und zauberkundige Königin,
die den Expeditionstrupp anführen soll. Von den Zwergen wird Tsimmi, der
"Meister der Steine" und ihr mächtigster Zauberer, geschickt, und die Menschen
entsenden den tapferen Ritter Uther. Ergänzt um eine Eskorte wagemutiger
Gestalten machen sie sich auf einen Weg voller Gefahren.
Erstes Ziel ist Kab-Bag, die Handelsstadt der wenig vertrauenswürdigen Gnome.
Noch wissen sie nicht, dass sie nur Figuren in einem teuflischen Spiel sind.
König Pellehun, Vertreter der Menschen im Rat der freien Völker, strebt nach
der ganzen Macht im Land. Seine Intrige scheint aufzugehen: Krieg bricht aus
zwischen Elfen und
Zwergen,
und das Elfenvolk steht vor dem Untergang. Doch Uther und Lliane, zwischen denen
rasch eine erotische Spannung auftritt, bekommen von dem geheimnisvollen Zauberer
Merlin den Auftrag, ein neues Volk zu gründen. (dtv)
Buch bei amazon.de
bestellen
"Die Nacht der Elfen"
Die
Vernichtung des Zwergenkönigreiches steht am Anfang des zweiten Teils der
Elfentrilogie. Der junge Ritter Uther ist zum "Pendragon", zum obersten
Kriegsherrn der freien Völker von Menschen, Elfen und Zwergen, aufgestiegen. Mit
Hilfe seiner Geliebten, der schönen Elfenkönigin Lliane, und des Zauberers
Merlin soll er das Reich von der tyrannischen Herrschaft des Herzogs von Gorlois
befreien. Dieser brutale Machtmensch hat die junge Königin Igraine nach dem Tod
ihres Mannes gezwungen, seine Frau zu werden. Gorlois will mit allen Mitteln die
Vorherrschaft der Menschen über die anderen Völker erzwingen und bedient sich
dazu auch der Diener der neuen christlichen Kirche.
Der Liebe zwischen Uther
und Lliane ist inzwischen eine Tochter entsprungen, was Lliane in einen großen
Konflikt mit ihrem Volk stürzt und zum Bruch mit dem Elfenkönig Llandon führt.
Es kommt zu einem grausamen Krieg zwischen Elfen und Menschen - Lliane zieht
sich mit ihrem Kind nach Avalon zurück. Uther besucht sie dort oft, doch
erschöpft von seiner Rolle als "Pendragon" wendet er sich Igraine zu. Als
Geliebter zwischen der menschlichen und der Feen-Königin gerät Uther in einen
tiefen Gewissenskonflikt. (dtv)
Buch bei amazon.de
bestellen
"Die Stunde der Elfen"
Uther
ist nun König an der Seite Igraines, die ihm einen Sohn schenkt: Artur. Vierzig
Tage nach der Geburt wird Igraine im Rahmen einer Zeremonie wieder in die
christliche Gemeinschaft aufgenommen. Im Rahmen dieser Zeremonie beraten die
Zwerge, Elfen und Menschen auch über die Zukunft des Landes: Uther will den
Zwergen Excalibur zurückgeben, um das Gleichgewicht der Stämme
wiederherzustellen.
Doch die "Monstren" sind zurückgekehrt, und allein ihre
riesige Zahl stellt eine so schreckliche Bedrohung für das Reich dar, dass
dessen Untergang droht. Uther weiß: Nur mit Hilfe von Excalibur kann es noch
eine Chance geben, die "Monstren" zu besiegen. Also bittet er die Zwerge und
Elfen um Hilfe, doch es kommt zum Eklat. Die "Monstren" haben leichtes Spiel,
und Uthers Armee wird regelrecht abgeschlachtet. Ihnen allen ist klar, dass sie
die Feinde nur gemeinsam besiegen können, doch eine Einigung fällt schwer. Am
Ende aber gelingt es Merlin, die Völker für seine Vision von einer friedlichen
Welt zu gewinnen. (dtv)
Buch bei amazon.de
bestellen