Sándor Fekete: "Eine sträfliche Satire"
Die
Absurdität des Totalitären auf den Punkt gebracht
In der Tat ist es sträflich - und wird unausweichlich bestraft
-, einer Diktatur von innen heraus den Spiegel vorzuhalten,
insbesondere, wenn dies in Form einer äußerst
geistreichen Satire und nicht durch einen "plumpen" Aufstand geschieht.
Der ungarische Autor Sándor Fekete wurde 1958 zu neun Jahren
Haft verurteilt, vor allem, weil er das vorliegende Manuskript verfasst
hatte. Schon allein diese Tatsache macht neugierig.
In einer Vorbemerkung schildert der Autor zunächst die
Entstehung und die persönlichen Auswirkungen seiner ironischen
"Taschenenzyklopädie des Marxismus-Leninismus", die scheinbar
von einem regimetreuen russischen Berater der ungarischen Regierung
verfasst wurde. Anschließend werden voller Wortwitz,
Scharfsinn und vor allem Sachkenntnis Schlagworte von A bis Z scheinbar
im Sinne der Dialektik und vor dem Hintergrund der Ereignisse in Ungarn
fast unmittelbar nach der kommunistischen Machtergreifung (das
Manuskript entstand 1957/1958, zum Teil noch ganz unter dem Eindruck
des Ungarnaufstandes) erläutert.
Unter A wie "Absolute Verelendung" kann man nachlesen, dass diese eine
unweigerliche Folgeerscheinung des
Kapitalismus ist, werden doch die
Bewohner amerikanischer Provinzstädtchen aufgrund der hohen
Wohnungsmieten geradezu genötigt, sich ein eigenes Haus im
Grünen zu bauen. Deshalb benötigen sie aber auch ein
Auto für den Weg zur Arbeit - und müssen einen
erheblichen Teil ihres Gehalts zur Abzahlung der Raten für
Haus, Auto und Haushaltsgeräte aufwenden. Na also: "Das ist
die pure Hypersuper-Verelendung!"
"Zensur", ursprünglich vom despotischen
Papst Alexander VI.
eingesetzt, gibt es im kommunistischen Staat natürlich
üblicherweise so wenig wie absolute Verelendung, weil die
Medien ja nur von der regierenden Partei und Staatsorganen
herausgegeben werden dürfen. In diesem Zusammenhang sei
erwähnt, dass eine sehr wohl existierende "Nachrichtensperre"
selbstverständlich nur zum Schutz der proletarischen Massen
dient, die ansonsten von der Fülle schwer zu analysierender
Nachrichten schier erschlagen würden.
Der Sozialismus hatte zudem interessante, die Sprache belebende
Wortneuschöpfungen zur Folge, kannte man doch beispielsweise
unter den vorherigen Systemen den verbreiteten Ausdruck "Mangelware"
nicht, den man noch weiter differenzieren kann: ständige
Mangelware sind etwa Südfrüchte und Autos,
gelegentliche Mangelware so ziemlich alles andere.
Auch für die Klärung des Begriffs
"Identität" muss der Leser aufrichtig dankbar sein, hat er
dessen dialektische Bedeutung ja mit Sicherheit vor der
Lektüre noch nicht erfasst. Als Beispiel dienen hier die nur
scheinbar verschiedenen Identitäten des Genossen
Kádár (ungarischer Parteichef 1956-1988, der es
meisterlich verstand, auch schon vor dem Ungarnaufstand das
Fähnlein nach dem Moskauer Wind zu drehen, Anm. d.
Rezensentin), der maßgeblich am Schauprozess seines
Parteifreundes Rajk beteiligt war, je nach Bedarf gegen oder auch
für seinen Vorgänger Rákosi agitierte und
vor allem während des Aufstandes sehr geschickt lavierte.
Selbstverständlich handelt es sich im Sinne der Dialektik nur
um eine einzige Identität.
Auf diese Weise ließe sich eines der geschickt
ausgewählten Stichwörter nach dem anderen besprechen,
wenngleich freilich eine Zusammenfassung der bitterbösen,
nicht selten zynischen Ironie des Buchs nicht annähernd
gerecht wird. Der Autor versteht es perfekt, die Absurdität
des Systems auf den Punkt zu bringen und dessen Lächerlichkeit
mit seinen eigenen Mitteln preiszugeben, wobei sich viele der genannten
Begriffe auf alle Diktaturen anwenden lassen, denn die Mittel der
totalitären Regimes sind grundsätzlich dieselben, und
selbst die Personen ähneln einander.
Charmant wirken dennoch die typisch ungarischen Stichpunkte und
Beispiele, insbesondere für Leser, die mit der
jüngeren ungarischen Geschichte ein wenig vertraut sind und
die sarkastischen Anspielungen nachvollziehen können. Vieles
wird indes in der erwähnten Vorbemerkung erläutert,
sodass man keine tieferen Kenntnisse über Ungarn
benötigt, um ein - allerdings aufgrund der zugrunde liegenden
traurigen Wahrheit nicht immer ungetrübtes -
Vergnügen an der Lektüre zu finden. Ein spontanes
Lachen lässt sich trotz des ernsten Hintergrundes oft nicht
vermeiden.
Die Übersetzung des kleinen politisch-geschichtlichen
Meisterwerks ins Deutsche ist sehr gut gelungen - ein weiterer Grund
für den deutschsprachigen an Politik und Zeitgeschichte
Interessierten, dieses ungewöhnliche Buch zu lesen.
(Regina Károlyi; 01/2007)
Sándor
Fekete: "Eine sträfliche Satire"
Deutsch von Hannelore Schmör-Weichenhain.
Kortina Verlag, 2006. 205 Seiten.
Buch
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