Hans-Dieter Otto: "Im Namen des Irrtums!"

Fehlurteile in Mordprozessen: Ermittlungsskandale, unfähige Richter, zweifelhafte Freisprüche, skrupellose Staatsanwälte, falsche Geständnisse, Irrtümer der Sachverständigen.


Hätte, wäre, wenn

Hans-Dieter Otto, der erfolgreiche Sachbuchautor, bricht eine Lanze für die unschuldig Verurteilten und verdammt diejenigen, welche die Schuld daran tragen, dass Schuldige der gerechten Strafe entgingen. Sein neues Buch, betitelt "Im Namen des Irrtums!", mit dem Untertitel "Fehlurteile in Mordprozessen" führt in 13 Kapiteln in Juristenkreisen umstrittene Fälle auf, welche über die gesamte Erdkugel verteilt angesiedelt sind und mehrere Jahrhunderte in die Vergangenheit zurück reichen.

Laut Verlagstext will der Autor "mit seinem Kompendium spektakulärer Justizirrtümer dazu beitragen, das Gefühl der Mitverantwortung eines jeden in Sachen Strafjustiz wach zu halten." Ein hehres Ziel; doch erreicht Hans-Dieter Otto dieses mit seinem Buch?

Es könnte sein, wenn bestimmte Faktoren eintreffen, die bisher eventuell noch nicht berücksichtigt wurden. Schütteln Sie nun vielleicht den Kopf und fragen sich: "Was soll das denn jetzt?"

Wenn Sie die gleiche Skepsis während der Lektüre des Sachbuches aufbringen, könnte es unter Umständen sein, dass Sie zukünftig die Justiz in einem anderen Licht sehen, doch das muss nicht zwangsläufig so sein. Denn Hans-Dieter Otto revidiert keines der gefällten Urteile, sondern beschränkt sich unter Anwendung vorsichtigster Ausdrucksweise weitestgehend darauf, zu vermuten, was geschehen wäre, hätte man seiner Meinung nach relevante Daten und Fakten bei der jeweiligen Urteilsfindung berücksichtigt.

Schubladen

Man kann die vorgelegten Fälle grob in zwei Kategorien einteilen. In die erste Rubrik fallen diejenigen Fälle, in denen mittels Wiederaufnahmeverfahren in der Neuzeit anders entschieden wurde, als es die Richter "damals" taten. Hier fällt die Argumentation leicht, da diese ja bereits gefällt wurde.

Die zweite Rubrik betrifft die Fälle, in denen die Urteile nicht revidiert wurden, und hier ist die Beweisführung schon schwieriger und subjektiver. Der Autor war bei keinem der Fälle involviert und trifft seine Entscheidungen am grünen Tisch. Der juristisch unbeleckte Leser hat nun das Problem, die Argumentation des ausgebildeten Juristen nachzuvollziehen, welche sich darüber hinaus auch noch von Fall zu Fall widerspricht.

Beispielsweise führt der Autor im Fall der Eliza Fenning (1815) an, dass die Verurteilung erfolgte, obwohl als Schuldbeweis für eine tatsächlich vorgenommene Arsenvergiftung "nur die flüchtige Untersuchung eines Doktors" herangezogen wurde und es sich auch um eine Lebensmittelvergiftung gehandelt haben könnte. Die Angeklagte wurde zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Im Fall von Dr. Johann Sandner (1875) wurde dieser beschuldigt, seine Frau mit Strychnin vergiftet zu haben. Es wurde von Professor Dr. Buchner ein Gutachten erstellt, in dem er erklärte, dass trotz chemischer Analysen keine Giftspuren nachgewiesen werden konnten. Der Angeklagte wurde freigesprochen. Gegenständlich argumentiert der Autor, dass das erstellte Gutachten nicht als Grundlage für den Freispruch herangezogen werden kann, und "so ist in diesem Freispruch, zumindest aus heutiger Sicht, ein Fehlurteil zu sehen."

Suggestion statt Systematik

Des Weiteren steht dem Buch kein Vorwort voran, dem zu entnehmen wäre, welche Methodik zugrunde liegt. Im Anhang findet sich zwar ein umfangreiches Quellenverzeichnis, doch fehlen in den einzelnen Fallbeschreibungen Hinweise darauf, wo der interessierte Leser weitere Details zum konkreten Fall nachlesen könnte. Außerdem muss sich der Laie mit einer Reihe von Fremdwörtern auseinandersetzen, ohne dass ihm ein Glossar zur einfacheren Recherche zur Verfügung gestellt worden wäre.

Weitere Kritikpunkte sind die unterschiedliche Länge der Artikel sowie die höchst unterschiedliche Qualität bzw. Ausführlichkeit, in der Verfahrensfehler oder Beweisketten analysiert werden. Hier wäre eine Einschränkung auf eine geringere Anzahl an Fällen besser gewesen, die dafür jedoch gründlicher und laiengerechter zu präsentieren gewesen wären. Überhaupt scheint es wichtig, den Stil des Buches näher zu betrachten, handelt es sich doch laut Autor um ein Werk, das mündige Bürger aufrütteln soll. Somit erwartet man doch letztendlich einen sachlichen, doch unterhaltenden Schreibstil. Bedauerlicherweise befleißigt sich Hans-Dieter Otto einer eher reißerischen und voyeuristischen Schreibweise, welche an die Stilvorgaben einschlägig bekannter Fernsehserien erinnert und für die besprochenen juristischen Fehler keinerlei Relevanz besitzt.

Was bleibt, ist ein flott geschriebenes, schnell konsumierbares Buch, welches die selbstgestellten Vorgaben jedoch bei weitem nicht erfüllt. Stattdessen werden Vorurteile bestätigt, Voyeurismus befriedigt und Vermutungen als unwiderlegbare Wahrheiten präsentiert. Es steht also zu erwarten, dass dieses Buch ein voller Verkaufsschlager wird.

(Wolfgang Haan; 04/2006)


Hans-Dieter Otto: "Im Namen des Irrtums!"
Herbig, 2006. 399 Seiten.
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Hans-Dieter Otto, 1937 in Berlin geboren, war nach Abschluss des Jurastudiums in der Assekuranz als Sachbearbeiter für Großschäden tätig. Nach seinem Umzug nach Hamburg leitete er eine HUK-Direktion und wurde Prokurist in diesem Unternehmen. Das Strafrecht spielte in seiner beruflichen Laufbahn eher eine Nebenrolle, wurde aber sein juristisches Steckenpferd.

Weitere Bücher des Autors:

"Lexikon fataler Fehlentscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Von Alpenfestung bis Zitadelle"

Ein atemberaubender Blick zurück auf die schrecklichen, zwielichtigen Jahre des Zweiten Weltkriegs. Und auf die vielen, zum Teil grotesken militärischen Irrtümer, die es in der deutschen Führung und der ihrer Bündnispartner, aber auch auf Seiten der Alliierten gegeben hat. In 40 spannenden Fallstudien berichtet der Autor von verhängnisvollen Fehlgriffen, die den Verlauf des Krieges beeinflusst oder eine Schlacht entschieden haben.
Eine Fülle von Fakten und interessanten Details, lebendig geschilderte Geschichte, genauso spannend wie ein Krimi und dazu noch mit der Gewissheit, dass tatsächlich alles so gewesen ist. In der ungeheuren Dramatik des Geschehens tritt zugleich ein Mann in den Vordergrund: Adolf Hitler. Seine verheerenden Irrtümer machen ihn zur zentralen Figur dieses Buches. Überwunden, vergessen, vorbei? Nein, sagt der Autor und macht deutlich: Die Deutschen sind zwar von Hitler befreit worden, doch sie werden ihn nie ganz loswerden. (Herbig)
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"Lexikon der militärischen Irrtümer. Von Salamis bis zum Irak-Krieg"
Ein abenteuerliches Kaleidoskop militärischer Irrungen und Wirrungen über 2500 Jahre menschlicher Geschichte. Und ein aufregender Rückblick auf vergangene Epochen und auf Personen, die sie herausragend bestimmten. Irrtümer im Krieg hat es schon immer gegeben. 480 v. Chr. in der Schlacht bei Salamis ebenso wie im Irak-Krieg 2003. Auch hier beruhte der Kriegsgrund auf einem Irrtum.
In 46 spannenden Fallstudien berichtet der Autor von kleinen und großen Irrtümern, die eine Schlacht oder einen Krieg beeinflusst oder sogar gewendet haben. Bei der Spurensuche tritt oft Kurioses und Verblüffendes zutage. Irrtümer gleichen einander in ihren Ursachen ebenso wie in ihren Auswirkungen und legen die Annahme nahe, dass die Menschen nichts aus ihnen gelernt haben. (Herbig)
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"Das Lexikon der Justizirrtümer. Skandalöse Fälle, unschuldige Opfer, hartnäckige Ermittler"
Sie werden plötzlich verhaftet, mitten aus dem Leben gerissen, werden verurteilt und kommen hinter Gitter. Nach Jahren der Angst und Verzweiflung ist endlich bewiesen, dass sie unschuldig sind. Mit einer meist nur sehr kleinen Entschädigung und tiefen Rissen in der Seele werden sie zurück ins Leben geschickt.
Die Opfer der Justiz sind erschreckend häufig, es gab sie zu allen Zeiten und in allen Ländern. Hans-Dieter Otto ist den spektakulärsten Fällen aus Geschichte und Gegenwart nachgegangen. Seine umfassende Sammlung lässt den Leser erschauern und bietet nur wenig Grund für Hoffnung und Vertrauen. (Ullstein)
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