Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm (Hrsg.): "Das Buch der Wunder"

Phantastische Erzählungen
Mit einem Vorwort von Carlos Ruiz Zafón


Auf gut 700 Seiten sind insgesamt 47 phantastische Geschichten zu lesen. Die längste umfasst etwa 35 Seiten, die kürzeste etwa vier. Ein Ausreißer mit 59 Seiten ist auch dabei. Vorteil an solchen Sammlungen von recht kurzen Erzählungen ist, dass man sie nicht in einem Stück lesen muss, sondern je nach Laune sich mit einer Geschichte begnügen oder gleich Hunderte Seiten auf einmal verschlingen kann.

Optisch gibt es an dem Buch nichts auszusetzen. Vielleicht gefällt der lilafarbene Einband nicht jedermann, er bringt jedoch ein wenig Abwechslung ins Bücherregal. Das Schriftbild ist übersichtlich, und auch das verwendete Papier ist nicht allzu dünn. Besonders praktisch ist das vorhandene Lesebändchen, mit dem man mühelos markieren kann, wie weit man in dem Werk bereits vorgedrungen ist.

Zu jeder der 47 Geschichten gibt es im Anhang im Quellenverzeichnis einen kurzen bibliographischen Hinweis, der den Namen und sowie Geburts- und Todestag des Autors enthält. Darüber hinaus findet sich das Medium und Jahr der Veröffentlichung. Leider handelt es sich dabei nicht durchgehend um die Erstveröffentlichung, beziehungsweise wird das Jahr der Entstehung der Werke im Dunklen gelassen. Die vorhandenen Angaben sind zweifellos sehr interessant, da die Geschichten bis zu 200 Jahre alt sind, hätte ich mir die Angabe des Entstehungsjahres sehr gewünscht. Ich persönlich hätte es auch begrüßt, wenn sämtliche Angaben - oder zumindest das Entstehungsjahr bei jeder Geschichte gleich unter dem Titel hätte Platz finden können. Vielleicht geht es außer mir noch anderen Lesern so, dass - besonders wenn sehr kurze Geschichten vorliegen - das ständige Vorblättern zum Quellenverzeichnis etwas mühselig erscheint.

Im Anhang enthalten ist auch ein Abriss zu Phantastik und phantastischer Literatur. Neben einleitenden Erörterungen zum Thema werden die enthaltenen Texte sehr knapp inhaltlich dargestellt. Damit bietet sich eine schöne Übersicht für jeden, der schon vorab wissen möchte, worauf er sich mit dem Lesen des Buches einlässt.

Das Zentrum des Werkes stellen natürlich die im Buch enthaltenen Geschichten dar. Gleich vorweg kann allen Freunden "harter Fakten" nur von der Lektüre des Bandes abgeraten werden. Es handelt sich tatsächlich um phantastische Erzählungen. Realismus stellt hier kein bedeutendes Kriterium dar. Wegen der großen Anzahl der enthaltenen Werke kann an dieser Stelle natürlich nicht jede Geschichte eigens besprochen werden. Ein grober Überblick soll den potenziellen Leser aber darüber in Kenntnis setzen, was ihn erwartet.

Teilweise begegnen dem geneigten Leser Geister oder Spukhäuser. Einmal dreht sich alles um einen Werwolf. Nichts Besonderes? Weit gefehlt - es handelt sich um einen "umgekehrten" Werwolf - also einen Wolf, der von einem Menschen gebissen wird und dann einige Zeit als Mensch sein Dasein fristen muss. Persönlich fand ich die Geschichte von Boris Vian ob ihrer ungewöhnlichen Grundidee sehr erfrischend. Freunde "echter" Werwölfe werden aber auch bedient.

Neben unter anderem angloamerikanischen und französischen Texten stechen auch Größen der deutschen Literatur hervor. Namen wie E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck oder Theodor Storm sind zu nennen. Nicht unterschlagen möchte ich, dass ein Text von Edgar Allen Poe das Potpourrie der Sammlung komplettiert.

Wirklich blutrünstig geht es nie zu. Gruselfreunde mögen enttäuscht sein, mir selbst kam dieser Umstand zupass. Um zum Konsum roher Gewalt zu kommen, ist ohnehin nur das Einschalten des Fernsehgeräts notwendig.

Insgesamt hat das Buch einiges zu bieten, und Langeweile kam beim Lesen nie auf. Es wäre aber gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mir alle Geschichten gefallen haben.

Man kann sich keine Wunder vom "Buch der Wunder" erwarten, solide Unterhaltung bietet es aber allemal.

Somit kann ohne schlechtes Gewissen eine Empfehlung abgegeben werden, besonders an all jene Leser, denen ein langer Roman zu viel Ausdauer abverlangen würde oder denen die Zeit für umfangreichere Lektüre fehlt. Anhänger des Genres können ohnedies ohne Bedenken zugreifen. Skeptiker der Materie erhalten die Chance, sich ein wenig "einzulesen".

(MagMaMa; 05/2005)


Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm (Hrsg.): "Das Buch der Wunder"
Insel, 2005. 768 Seiten.
ISBN 3-458-17239-4.
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