Verena Stössinger und Anna Katharina Dömling (Hrsg.): "Von Inseln weiß ich ..."

Geschichten von den Färöern


"Wie ich schon oft, vielleicht aber nicht überzeugend genug behauptet habe, weil es immer noch Menschen zu geben scheint, die sich skeptisch dazu verhalten, liegt der absolute Mittelpunkt der Welt auf den Färöern und heißt Tórshavn." (Auszug aus "Nasse Heimat" von William Heinesen)

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Anthologie, bestehend aus Klassikern der färöischen Literatur bis hin zu Erzählungen der Gegenwart. Zu den 25 Autorinnen und Autoren gehören Pioniere wie Sverra Patursson und Andrea Reinert, Klassiker wie Heðin Brú und William Heinesen sowie junge Literaten der Gegenwart wie Elias Askham und Marjun Kjelnæs.

Da das Buch aus Kurzgeschichten besteht und auf Auszüge von Romanen verzichtet wurde, sind nicht alle Autoren mit ihren bekanntesten Werken vertreten. Erkennbar in den Geschichten ist, wie Themen und Motive über die Jahrzehnte weitergegeben und aus anderen Perspektiven betrachtet wurden. Für deutschsprachige Leser wird eine bislang kaum übersetzte Literatur in ihrer gesamten Bandbreite zugänglich.

Die Färöer sind eine im Mittelalter entdeckte, zum Königreich Dänemark gehörende Inselgruppe im Nordatlantik zwischen den Britischen Inseln, Norwegen und Island. 48000 Menschen leben dort, verteilt auf 18 schroffen und baumlosen Inseln. Die Bewohner leben vorwiegend von der Fischerei. Früher stand die Landwirtschaft im Vordergrund, künftig hofft man auf Erdölfunde vor der Küste.

Im Laufe der Jahrhunderte ist auf den Färöern auf Basis mündlicher Überlieferungen von Balladen, Sagen und Märchen eine eigenständige, experimentierfreudige Literatur entstanden, die sich mit den großen Themen der Menschheit beschäftigt. Die Geschichten sind nicht streng chronologisch angeordnet, jedoch befinden sich die Klassiker in der ersten Hälfte und die jüngeren Werke in der zweiten Hälfte des Buches.

Den Anfang macht Jakob Jakobsen (1864-1918) mit "Die Sage von Beinta und Peder Arrheboe", der Geschichte der hübschen aber boshaften Beinta, die ihrer Umgebung das Leben schwer macht und Menschen in den Tod treibt. Jakobsen sammelte Sagen und Märchen und arbeitete diese literarisch auf. Die Sage von Beinta und Peder Arrheboe hat, wie viele Sagen, einen historischen Kern.

Der weltweit bekannteste färöische Autor ist William Heinesen (1900-1991), dessen Werk "Nasse Heimat" dem Buch als Vorwort vorangestellt ist. Heinesen ist mit der unterhaltsamen Geschichte "Don Juan vom Tranhaus" vertreten, in der ein schiffbrüchiger Malteser die Herzen vieler junger Inselfrauen bricht. Südländisches Temperament und färöische Traditionen prallen hier aufeinander und beschwören nach einigen Intrigen eine Tragödie.

Aber die seltsamen Menschen kommen nicht immer von auswärts. So erzählt Eilif Mortansson (1916-1989) in "Der fliegende Glöckner" die Geschichte eines Glöckners, der naturgegebene Grenzen überwinden will. Auch diese Erzählung lebt vom Kontrast zwischen den bodenständigen Inselbewohnern und einem Außenseiter, der Unmögliches schaffen will. Geistreich dargestellt wie sein Mut im Stillen bewundert wird, er bei Misserfolgen aber nur Hohn und Spott erntet.

Besonders gefallen hat mir die Parabel "Der Schmetterlingsverkäufer" von Rakel Helmsdal (geb. 1966), die von einem alten Mann handelt, der vom Verkauf seiner präparierten Schmetterlinge lebt. Diese bietet er im Winter bei eisigen Temperaturen auf der Straße an. Seine Identifikation mit den Tieren nimmt ungeahnte Ausmaße an.

So wie am Anfang der Anthologie eine Volkssage stand, endet das Werk auch mit einer traditionellen Erzählform, dem Märchen "Die Kette" von Marjun Kjelnæs (geb. 1974). Die Geschichte entstammt ihrem ersten Erzählband "Eine Spur Kohlenwasserstoff" und handelt davon, wie in einem Kaiserreich eine magische Kette die Stimmung der Kaiserin beeinflusst und damit die Depressionen im gesamten Kaiserreich verfliegen.

Verena Stössinger und Anna Katharina Dömling weisen in einem Nachwort darauf hin, dass junge färöische Künstler sich lieber der Musik zuwenden als der Literatur, weil diese keine engen nationalsprachlichen Grenzen kennt. Die Geschichten liefern einen farbenfrohen Querschnitt färöischer Kultur und tragen wesentlich dazu bei, dass diese weit in die Welt hinausgetragen wird. Der Titel "Von Inseln weiß ich ..." stammt aus einem bekannten färöischem Nationallied.

Verena Stössinger, geboren 1951 in Luzern, ist Autorin und Kulturjournalistin. Sie studierte Nordistik in Basel und Århus und hat Lehraufträge für Neuere Skandinavistik an der Abteilung für Nordische Philologie der Universität Basel. Letzte Publikation: "Spielzeit Nummer zwölf".

Anna Katharina Dömling, geboren 1972 in Hamburg, studierte Nordistik in Kiel und Uppsala. Sie ist Oberassistentin an der Abteilung für Nordische Philologie der Universität Zürich und hat über schwedische und dänische Erzählprosa der frühen Neuzeit promoviert.

(Klemens Taplan; 10/2006)


Verena Stössinger und Anna Katharina Dömling (Hrsg.): "Von Inseln weiß ich ..."
Unionsverlag, 2006. 352 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Klaus Böldl: "Die fernen Inseln"

Der Beginn der Literatur ist die Erinnerung, ihr Ort ist der Rand der Welt. Die Landschaften Islands und der Färöer Inseln, die in Klaus Böldls Buch in klaren Linien entworfen werden, sind in ihrer scheinbaren Menschenferne doch auch Orte der Erinnerung: Ein Gehöft am Meer, ein ungewöhnlich geformter Felsen werden zum Kristallisationspunkt einer Erzählung, die unversehens in die heidnische Wikingerzeit zurückführt. "Die fernen Inseln" ist kein klassischer Reisebericht, sondern eine poetische Beschwörung der nordatlantischen Inselwelt - ein Buch, in dem die Zeitlosigkeit der Landschaft und die Geschichten ihrer Bewohner im Medium des Erzählens zu einer magischen Einheit zusammentreten. (S. Fischer)
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