Johann Grolle (Hrsg.): "Evolution"

Wege des Lebens


Neueste Antworten der Forschung auf zwanzig Fragen an die Evolution

Seit Darwin die Naturwissenschaft - und übrigens auch die Geisteswissenschaften - revolutionierte, hat sich die Evolutionslehre als wichtiger Teil der Biologie etabliert, erklärt doch das Wissen über die Mechanismen der Veränderung von Lebewesen durch Selektion unter anderem, warum die modernen Arten so sind, wie sie sind.

Die Evolutionslehre bietet aber auch fachübergreifend Antworten auf höchst interessante und manchmal bedrückend aktuelle Fragen. Zwanzig solche Fragen beantworten die Autoren von "Evolution - Wege des Lebens". Das Buch wurde im Zusammenhang mit einer gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden herausgegeben, versteht sich jedoch trotz enger Anlehnung an die Ausstellung nicht als Katalog.

Die einzelnen Beiträge verteilen sich auf drei übergeordnete Abschnitte:

Im ersten Teil geht es folglich um die neuesten Theorien zur Entstehung des Lebens, um Selektion durch Umwelteinflüsse (die zu speziellen Anpassungen führt), um die sexuelle Selektion (die zum Beispiel für das Rad des Pfaus verantwortlich ist), um die Mechanismen der Genexpression (warum aus einem Fliegenei zwangsläufig eine Fliege und keine Maus wird) und so weiter.

Die Autoren des zweiten Teils befassen sich mit Gemeinsamkeiten und Widersprüchen zwischen Religion und Evolutionslehre, der verschwommenen Grenze zwischen Urmensch und Mensch, der Zweibeinigkeit, der Sprache und den Besonderheiten des menschlichen Gehirns sowie Aspekten der kulturellen Evolution.

Der letzte Teil enthält Beiträge zur Tier- und Pflanzenzucht als vom Menschen initiierte Evolution, zu den Chancen der "grünen Gentechnik", zum Sinn der Artenvielfalt, zur Co-Evolution von Menschen und Seuchen verbreitenden Viren, zu Geschichte und (nicht vorhandenen) biologischen Grundlagen des Rassebegriffs und Ausblicken für die Zukunft.

Jeder einzelne Artikel ist in sich abgeschlossen, steht aber selbstverständlich in Bezug zu anderen Beiträgen. Da in der Evolutionslehre mancher Sachverhalt mit unterschiedlichen Theorien erklärt wird, tauchen im Buch mit seinem Anthologiecharakter gelegentlich inhaltliche Widersprüche auf, etwa bezüglich des Ursprungs der ersten zweibeinigen Vormenschen: Lebten sie an Gewässern oder in der Savanne? Auch solche voneinander abweichende Meinungen der Autoren, unter denen sich dem interessierten Laien aus eigenen Büchern bekannte Wissenschaftler wie Steve Jones und Friedemann Schrenk befinden, leisten ihren Beitrag dazu, "Evolution - Wege des Lebens" zu einem spannenden Querschnitt durch den gegenwärtigen Stand der Forschung auf diesem Gebiet zu machen.

Sämtliche Beiträge sind gut verständlich und lebendig verfasst und führen zu einem besseren Verständnis des Menschen und seiner Umwelt, sodass auch das Buch dem Anspruch der o.g. Ausstellung gerecht wird, das Interesse eines breiten Publikums einschließlich Jugendlicher am Thema "Evolution" zu wecken. Sehr interessant im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Diskussion finde ich den Artikel über die "grüne Gentechnik", also Gentechnik im Agrarbereich, in dem ausdrücklich die Chancen dieser Technik erläutert werden, denn in der deutschsprachigen Literatur findet man fast ausschließlich Texte über Gefahren und Risiken. Zu einer sinnvollen Abwägung gehört aber auch das Wissen um zukunftsträchtige Möglichkeiten einer neuen Technologie.

Viele weitere Beiträge im Buch bieten wertvolle Denkanstöße: Ist der Drang, Kriege zu führen, im menschlichen Genom verankert? Wenn die Sprache uns erst zu Menschen gemacht hat, wie mag das erste Wort gelautet haben? Wann und wie entstand menschliche Kultur, und was verstehen wir überhaupt darunter?

Die gut durchdachte Aufmachung des Buchs ergänzt die interessanten Beiträge. Eine Fülle von Fotos und Grafiken mit Erläuterungen trägt zum Verständnis bei. Zu jedem Autor gibt es eine Kurzvita. Neben den Beiträgen findet man Kästen "Zum Weiterlesen" mit Hinweisen auf gut zugängliche Literatur zum jeweiligen Thema. Ein gründliches Glossar erklärt Fachbegriffe. Mir fehlt allerdings ein Stichwortverzeichnis, mit dessen Hilfe ich Erläuterungen unterschiedlicher Autoren zu einem Begriff ohne viel Blättern hätte vergleichen können.

Das Buch mit seinem robusten Einband wäre übrigens eine hervorragende Investition für Schulen oder wenigstens Schulbibliotheken - als Jugendliche hätte ich es mit Begeisterung verschlungen.

Fazit: Ein klassisches Lehrbuch zur Evolution liegt hier nicht vor, dafür eine hervorragend gegliederte Sammlung interessanter und individueller Beiträge zu vielen Facetten dieses packenden Themas.

(Regina Károlyi; 09/2005)


Johann Grolle (Hrsg.): "Evolution"
DVA, 2005. 224 Seiten.
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Johann Grolle, geboren 1962, studierte Physik in Berlin und Paris und ist Leiter des Wissenschaftsressorts beim "Spiegel". Ergebnis seiner ausführlichen Beschäftigung mit der Evolution war im Jahr 1999 das Buch:
"Darwins Finken oder Wie der Affe zum Menschen wurde"
Warum richtete sich der Affe auf seine Hinterbeine auf? Wieso wuchs sein Gehirn? Waren die Urmenschen Vegetarier? Wie reagierten sie auf den Klimaschock vor 2,5 Millionen Jahren? Wann entstanden Sprache, Religion und Kunst? Wieso starb der Nussknackermensch aus? Und woher wissen die Forscher all das? (Rowohlt)
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