Mark Leonard: "Warum Europa die Zukunft gehört"
Europäische
Wirtschafts- und Rechtslehre
Wenn ein Verlag ein Buch in den höchsten Tönen
anpreist, muss man normalerweise vorsichtig sein: hier
präsentiert der dtv den "brillantesten" Politikwissenschaftler
Mark Leonard: "Er hat sich bereits in jungen Jahren den Ruf erworben,
einer der interessantesten Denker in globalen Fragen zu sein ... und
berät Regierungen und Unternehmen. (...) Sein Buch ist ein
leidenschaftliches Plädoyer dafür, Europas Platz in
der Welt und seinen Einfluss völlig neu zu bewerten."
(Klappentext). Das englische Original 'Why Europe will run the 21st
century' erschien bereits 2005, hier liegt die von Kurt Neff
übersetzte Fassung vor.
Die EU-Bevölkerung ist mittlerweile auf über 450
Millionen gestiegen - Europa "bestimmt in zunehmendem Maße
die Spielregeln auf der weltpolitischen Bühne" - diese These
untermauert Leonard mit etlichen Beispielen. Der Autor spricht von der
"transformativen Macht" der Europäer (der Begriff
"verwandelnde Kraft" stammt ursprünglich von Richard Youngs),
die sich v.a. durch Marktpotenzial und Diplomatie auszeichnet.
Während im Innern um eine gemeinsame europäische
Verfassung gerungen wird, welche v.a. auch nationale und soziale
Belange integriert, gilt es nach außen ein
europäisches Außenministerium zu installieren,
welches etwa Zuwanderung oder Umweltschutzmaßnahmen regelt -
abgesehen vom Einsatz in Krisengebieten. Leonard ist davon
überzeugt, dass "die europäische Integration im 21.
Jahrhundert eine ebenso überzeugende Antwort auf die
Globalisierung
ist, wie sie es im 20.
Jahrhundert auf das Problem des
Krieges war."
Die europäische Erweiterung geschieht nicht aus territorialen
Interessen, sondern um eine Wertegemeinschaft auszudehnen und zu
stabilisieren. Interessant ist Leonards Beschreibung der Macht der EU:
"Die Europäer erwirken Veränderungen in einem Land
nicht mit Invasionsdrohungen: Das Land links liegen zu lassen, ist das
Schärfste, womit sie drohen." Aufgrund seiner kolonialen
Vergangenheit tritt Europa heute nicht mehr imperial, sondern
integrativ auf. Dabei gelten die Beitrittskriterien nach dem
Kopenhagener Abkommen von 1993 quasi auch als Richtschnur
außenpolitischer Kommunikation: "eine institutionelle
Stabilität als Garantie für demokratische und
rechtsstaatliche Ordnung,
für die Wahrung der Menschenrechte
sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten ... eine
funktionsfähige Marktwirtschaft." Interessanterweise bewirken
manche dieser Kriterien, die den Beitritt bestimmter Staaten
womöglich verhindern oder verzögern sollten (Beispiel
Türkei?),
dass in diesen Staaten europaorientierte Reformen
einsetzen.
Grobpädagogisch gesprochen verfahren die USA nach dem Prinzip
Strafandrohung und -praxis, Europa dagegen verspricht Belohnungen bei
Einhaltung gewisser Regeln bzw. den Beginn von Reformen. Leonard sieht
als Paradigma Jean de la Fontaines Fabel 'Der Landmann und seine
Kinder' - wo drei arbeitsscheue Söhne den Boden auf der Suche
nach einem verborgenen Schatz so gründlich umgraben, dass der
Ertrag darauf steigt und sie erkennen, "was für ein Schatz die
Arbeit ist." Die EU praktiziert also die Strategie des "passiven
Angriffs": sie belohnt Reformen und enthält Säumigen
Vergünstigungen vor. Das funktioniert allerdings nur mit
Staaten, welche auch die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie
anerkennen, anstreben oder eben schon zumindest in Ansätzen
praktizieren.
Im Laufe der letzten Jahre sah sich die EU veranlasst, ihre
friedensstiftende Strategie über eine humanitäre
Intervention zum präventiven Engagement umzubauen. Prinzipiell
entwickelt sich ein "Netzwerk Europa", welches in den Worten des
vormaligen Präsidenten der Europäischen Kommission
Romano Prodi "eine Zone des Wohlstands und der guten Nachbarschaft -
einen Ring von Freunden" entstehen lassen möchte. Angesprochen
wird eine "Ethik der globalen Verantwortung" beim "Aufbau eines
globalen Milieus". Das politische und wirtschaftliche Gewicht wird sich
von den USA und Europa auf mehr Staaten (wie China, Indien, Russland,
Brasilien) verlagern.
Sehr aufschlussreich ist Leonards Feststellung: "gegenwärtig
gehen die Gefahren, die der Welt bzw. großen Teilen von ihr
drohen, zu einem erheblichen Teil von Terroristen, bewaffneten Milizen
und und dem Verhalten großer Unternehmen aus." Dabei spricht
der Autor auch schon von einer "postamerikanischen" Welt - wobei ja die
USA und Europa nicht einmal ein Zehntel der Weltbevölkerung
ausmachen. Europa ist allerdings laut Leonard "der
größte Entwicklungshelfer der Welt". Und wenn es gut
läuft, wird die Welt den europäischen Politikstil
übernehmen: den friedlichen Zusammenschluss regionaler
Interessensgemeinschaften, um staatenübergreifende Probleme zu
lösen. Alles in allem ein hoffnungsvolles Buch, welches uns
alle - Normalbürger wie Politiker - nicht nur zum
europäischen, sondern zum weltweiten Optimismus animieren
möchte.
(KS; 06/2007)
Mark
Leonard: "Warum Europa die Zukunft gehört"
Aus dem Englischen von Kurt Neff.
dtv, 2007. 200 Seiten.
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Mark Leonard ist Direktor für Internationale Politik am "Centre for European Reform" in London.