T. C. W. Blanning: "Das Alte Europa 1660-1789"
Kultur der Macht und Macht der Kultur
Die Monarchien und die wachsende
Bedeutung der Öffentlichkeit
Der Autor Tim(othy Charles William)
Blanning ist Professor für Moderne Europäische Geschichte an der University of
Cambridge. Bei dem vorzustellenden Buch handelt es sich um die deutsche
Übersetzung des im April 2002 bei Oxford University Press erschienenen
englischen Titels "The Culture of Power and the Power of Culture - Old Regime
Europe 1660-1789".
Das Buch umfasst 516 Seiten inklusive Anmerkungen,
Auswahlbibliografie und Register. Sehr angenehm sind die Seitenzahlen im Kopf
der Anmerkungen, die einen Bezug zum Text bilden und das übliche Blättern
reduzieren helfen. Das Deutsch dieser Übersetzung ist herausragend, wofür der
Übersetzerin Monika Carbe an dieser Stelle ein dickes Lob ausgesprochen sei.
Muss man gelegentlich einen Satz zweimal lesen, so offenbart er dann meist auch
seinen konstruktiven Charme.
Im Vorwort erfährt man, dass die Deutschen
(anscheinend im Vergleich zu den Engländern) auch mit dicken Geschichtsbüchern
gut klar kommen und dass sie Einleitungen lieben, in denen die Methodologie des
Autors erläutert wird.
Im ersten Kapitel gestattet der Autor einen Blick
auf den Hof des Louis XIV. in all seinem operettenhaften Pomp, aber auch seinen
ausgeklügelten Mechanismen der Macht und Gunstverteilung. Man könnte den kleinen
wie ein Pfau einher schreitenden Ludwig fast lieb gewinnen, wenn da nicht heute
noch im Südwesten Deutschlands die Spuren seiner hemmungslosen Außenpolitik zu
besichtigen wären - aber das ist nicht Gegenstand des Buches. Es geht vielmehr
um Kulturgeschichte, und da hatte er einiges zu bieten, denn von Moskau über
Potsdam bis nach Sizilien lernten die Höfe während seiner Regentschaft
Französisch. In Sanssouci war zu der Zeit kein deutsches Wort zu hören, wie
Voltaire zu berichten wusste. Die Schlösser in Schwetzingen, Ludwigsburg (wo Schiller als Zögling
einsaß) oder Würzburg sind Beispiele für den Einfluss französischer
Repräsentationswut in deutschen Landen. Es troffen nicht mehr Fett und Bier aus
den fürstlichen Bärten, man betrank sich vielmehr kultiviert mit feinsten
französischen Tropfen. Wobei sich auch die Frage stellt, ob man als Bürger
damals lieber in Sachsen gelebt hätte, wo unter August dem Starken jeder
verfügbare und manch geliehener Kreuzer in kurfürstlichen Prunk und Pracht
flossen, oder in Preußen, wo in protestantischer Strenge ein Klima vorherrschte,
das heute noch als Deutsches Klischee schlechthin herhalten
muss.
Künstler hatten einen schweren Stand, denn sie waren in aller Regel
von einem Fürsten abhängig. Und unter denen gab es Banausen und Despoten am
unteren Ende der Skala und einige wenige Kunstsinnige und Aufgeklärte am anderen
Ende. Der flötende Friedrich der Große saß beispielsweise stets hinter dem
Dirigenten und las die Partitur mit, sehr zur Freude der Dirigenten, wie man
sich denken kann. So ging es
Joseph Haydn bei den Esterházys noch
vergleichsweise gut, während
Mozart
mit dem Salzburger Fürsterzbischof Graf Colloredo auch so seine Schwierigkeiten
hatte. Schauspieler gehörten übrigens lange zur untersten sozialen Schicht
...
Obwohl der Autor den Nachweis führt, dass bereits Louis XIV. seine
Interessen mit denen des Staats gleichsetzte, gewinnt dieser Ansatz erst durch
Friedrich den Großen von Preußen sichtlich an Kontur, der sich als ersten Diener
des Staates bezeichnete. Er unterstützte den Philosophen und politischen
Aufklärer Christian Wolff, den Friedrichs Vater zuvor noch aus dem Land gejagt
hatte. Zu Wolff gibt es heute übrigens kaum Literatur - sieht man von einem
sündhaft teuren Werk bei Beck aus dem Jahr 2004 zum 250. Todestag ab und zwei
ebenfalls recht happigen deutsch-lateinischen Ausgaben bei Meiner. Die Preußen
wussten bereits im späten 17. Jahrhundert die Protagonisten der aufkommenden
pietistischen Bewegung ins Land zu holen, die - aus freilich anderen Motiven
heraus - sich zu den Zielen Preußens bekannten und aktiv an der Entwicklung
Preußens mitwirkten. Nicht mehr die katholische Armut war erstrebenswert,
sondern der aus der Arbeit geborene protestantische Erfolg. Armut war kein
Zeichen der Gnade, sondern des Versagens!
Auch wenn von der Gestalt
Friedrichs vergleichsweise viel staatsmännisches Licht ausgehen mag, so war er
kulturell überwiegend eine Niete. Er verachtete die deutsche Sprache, die er
nicht oder weil er sie nicht beherrschte, und verfügte über keine Antenne zu
deutsch-österreichischer Musik: Haydns Musik war für ihn "ein ohrenbetäubender
Lärm". Gegen 1775 verkündete er, das kulturelle Niveau Deutschlands liege
zweieinhalb Jahrhunderte hinter jenem Frankreichs zurück, wenngleich er mit der
zeitgenössischen französischen Literatur auch wiederum nichts anfangen
konnte.
Man vermisst bei der Präsentation Friedrich II., dass er ein
arger Despot war, ein kriegslüsterner Misanthrop, denn allein der von ihm
maßgeblich angezettelte Siebenjährige Krieg soll einer Million Menschen das
Leben gekostet haben.
Für die Entwicklung eines deutschen Nationalgefühls
macht der Autor insbesondere die eigenständige deutsche Literatur
verantwortlich, die sich nach Gottscheds, Lessings und Herders Vorarbeiten an
Goethes Götz und seinem Werther festmachen lassen. Aber auch der von dem jungen
Schiller so verehrte Klopstock bildete mit seinem Messias - zwar nicht
inhaltlich, aber formal - einen Grundstock deutscher Literatur, die sich von dem
französischen Vorbild löste. Die hohe Verehrung der Antike war von diesem Wandel
übrigens nicht betroffen.
Die auf Sprache gegründete kulturelle
Gemeinsamkeit und das auf der Lehre Luthers beruhende individuelle
Auserwähltsein wetteiferten miteinander und bildeten das Eigentümliche der
deutschen Nation heraus. Diese Entwicklung führte auch zur Entstehung von
deutschen Nationaltheatern 1776 in Wien, 1778 in Mannheim, 1786 (nach dem Tod
Friedrichs II.) in Berlin, während Lessings zuvor
in Hamburg gegründetes Nationaltheater nicht von Dauer war - es entstand
schlicht eine Dekade zu früh.
Auch der Blick auf die britische Geschichte
ist erhellend, denn der Beginn des britischen Nationalgefühls und des Übergangs
zu einem speziell britischen Chauvinismus scheint unter Historikern nicht
unumstritten zu sein. Dieser britische Chauvinismus jedenfalls macht sich
insbesondere im Verhältnis zu Irland bemerkbar, doch nicht ausschließlich, denn
auch die Schotten und die Franzosen wurden seinerzeit mit Verachtung gestraft.
Aber im Falle Irlands wurde der überwiegende Teil dieses besonderen
Verhältnisses durch den Kontrast der britischen Selbstbestimmtheit des
Anglikanismus zu dem fremdbestimmten Katholizismus der Iren herausgebildet, was
letztlich auch auf Frankreich und Schottland übertragen werden konnte. Wenn
jedoch heute zumindest in den deutschen Medien der Nordirlandkonflikt
überwiegend auf das Thema Protestanten gegen Katholiken reduziert wird, so
erscheint diese Etikettierung nicht ganz zutreffend zu sein.
Doch
insgesamt ist das britische Kapitel für Nicht-Briten etwas zu hoch, was
folgender Satz verdeutlichen mag: "Die Geschichte der Krise von 1782-1784 ist
oft erzählt worden und braucht uns hier nicht länger aufzuhalten. (S. 315)"
Dieses Kapitel ist in seiner Detail- und Namensfülle doch eher etwas für
entsprechend vorbelastete Briten.
Einer Aussage dieses Britenabschnitts
sei auch vorsichtig widersprochen. "Die Reaktion zeigte wieder einmal, dass
nicht der Krieg, sondern militärisches Scheitern unpopulär war." Der Krieg war
zu dieser Zeit schon lange unpopulär, denn insbesondere diesen Umstand machte
der Brite Thomas Hobbes 150 Jahre vorher zur Grundlage seines Leviathans. Auch
wenn es eine Reihe verantwortungsloser Demagogen immer wieder schaffte, die
Bevölkerung vor ihren Karren zu spannen, waren die Schrecken des Krieges jedem
bewusst, der bis drei zählen konnte.
Im letzten Kapitel geht es um die
Zeit der Veränderungen in Frankreich vor der Revolution von 1789. Die Ära des
pompösen Absolutismus wurde von Louis XV. und seinem Enkel Louis XVI. ohne
Gespür für politische Realitäten fortgeführt und in Teilen sogar noch
übertroffen. Die Mesdames Pompadour und du Barry bilden nur die Spitze des
Eisbergs eines mit Unverständnis in der Bevölkerung quittierten Verhaltens Louis
XV., dessen Maitressen immer jünger und ausgefallener wurden. Zwar führte sein
Nachfolger Louis XVI. ein sexuell sehr zurückhaltendes und sich ausschließlich
innerhalb der Ehe bewegendes Leben, aber
Marie-Antoinette
versorgte statt seiner die Klatschspalten mit allem, was diese begehrten. Die
relative Ferne Versailles zu Paris gepaart mit königlicher Ignoranz bewirkte
letztlich, dass sich der Absolutismus zunehmend von der Öffentlichkeit
entfernte. Diese Verhältnisse erinnern in ihrer Tragik ein wenig an die letzten
Tage der DDR. Der Beginn der Revolution war letztlich nur noch eine Frage der
Zeit. In beiden Fällen war es die Öffentlichkeit, die einem antagonistischen
Machtzeremoniell ein Ende bereitete.
Im Schlusskapitel werden die Akteure
Englands, Preußens und Frankreichs noch einmal an den zur Französischen
Revolution führenden Prozessen gemessen. Und ein vierter Akteur tritt hinzu: der
Habsburger Joseph II., der sich schon als Dienstleister des Staates begriff, als
seine Schwester Marie-Antoinette das Frankreich ihres Gatten Louis XVI. noch als
Eigentum betrachtete. Dass auch die Habsburger
auf der Halde der Historiografie landeten, ist eine völlig andere Geschichte,
die wiederum im zwanzigsten Jahrhundert spielte. Im achtzehnten Jahrhundert
leiteten Öffentlichkeit und Kultur im Westen Europas jedenfalls eine dauerhafte
Zeitenwende ein.
Fazit
Über den ein oder anderen Punkt ließe
sich trefflich mit dem Autor streiten, doch selten hat andererseits ein Buch den
Rezensenten so zum Denken neuer Gedanken veranlasst wie dieses. Dieses Werk
vermag die mehr oder weniger aus Monografien stammenden Kenntnissäulen dieser
Epoche zu einer nachvollziehbaren politischen und kulturellen Konstruktion zu
verbinden, und dafür sei ihm gedankt.
Die etwas unzeitgemäße
Vorgehensweise des Eindeutschens fremder Herrschernamen durch die historische
Zunft (seltsamerweise nur die Namen von Königen und bedeutenden Fürsten) stößt
mal wieder an seine Grenzen, wenn von Karl III. die Rede ist. Doch wenn eine
Lady Diana Spencer auftaucht, ahnt der Leser, dass damit der jetzige Prinz
Charles gemeint sein könnte. Da schlägt der Rezensent ein langsames Umdenken der
Lektoren vor.
Zu der Bibliografie sei noch ein Wort erlaubt. Sie ist, wie
in Geschichtsbüchern üblich, beeindruckend und vermutlich auch einigermaßen
vollständig. Aber die ideale Ergänzungsliteratur für die Leser des vorliegenden
Buches sollte in Deutsch geschrieben, verfügbar und erschwinglich sein. Das ist
jedoch eine Wunschvorstellung, der derzeit praktisch kein Verlag nachkommt und
somit dem Primus Verlag auch nicht zum Nachteil gereicht.
(Klaus Prinz; 01/2006)
T. C. W. Blanning: "Das Alte Europa"
Übersetzt von Monika Carbe.
Primus Verlag,
2005. 516 Seiten.
ISBN 3-89678-551-6.
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Waffen und Werkzeuge ebenso wie Kontinuität und Wandel der Reiche, der Kirchen
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Ferdinand Seibts
Augenmerk gilt dabei den Veränderungsschüben, den Routen und Umwegen des
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Gegenströmungen, den politischen und künstlerischen Revolutionen. Sein Buch
liefert überdies neben der faszinierend zu lesenden Geschichte unseres
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Zusammenleben in Europa. (Fischer)
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