Werner Lampert: "Schmeckt's noch?"

Was wir wirklich essen


Wir geben nur etwa 13 bis 28 Prozent unseres Haushaltseinkommens für Essen aus. Tatsächlich ist der Wert von Lebensmitteln dem Preis nicht angemessen. Unzählige Preisdrückerangebote erschlagen den Konsumenten im Supermarkt. Da gilt es zuzugreifen!
Warum aber sind Obst, Gemüse und Fleisch derartig billig? Hinter den Vorhang des alltäglichen Wahnsinns lässt uns der Autor schauen, der auf unermüdliche Art und Weise darauf hinweist, die Symbiose zwischen Mensch und Natur in den Vordergrund zu stellen.
Der Grund für die - harmlos ausgedrückt - Billigprodukte, welchen wir Tag für Tag in den Supermärkten begegnen können, ist in erster Linie darin zu sehen, dass die Industrialisierung in der Landwirtschaft längst extreme Ausmaße angenommen hat. Täglich geben Bauern ihre Höfe auf, weil es kaum möglich ist, mit dem "Fortschritt" mitzuhalten. Als "Fortschritt" mag bezeichnet werden, dass die Kapitalmaximierung nur durch immense Stückzahlen von Tier und Pflanze ermöglicht sein kann. Wer nur ein paar Hühner und Schweine auf seinem Hof hält, bleibt unter normalen Umständen über. Die sogenannten Subventionen für Bauern beziehen sich in diesem Zusammenhang keineswegs auf Faktoren, welche biologische Landwirtschaft begünstigen mögen. Vielmehr geht es darum, die Bauern zu Handlangern der Industrie zu machen. Zu weiten Teilen ist dies mittlerweile gegeben. Es existieren Hochleistungsbauern, die nur darauf achten, sehr viel "Ware" zu produzieren und dem Markt zur Verfügung zu stellen. Der Verkauf einiger Hühner bringt fast kein Geld ein. Überleben kann der Bauer somit nur, wenn er sich in den Dienst einer Industrie stellt, der es nicht mehr darum geht, Qualität an den Konsumenten weiterzugeben, sondern durch Kosteneinsparung bei der Produktion Konsumenten zum Kauf von billigen "Waren" zu animieren.

Die Massentierhaltung ist ein grauenhaftes Phänomen, das Tiere zu reinen Nutzbringern der Industrie macht. In winzigen Käfigen oder Ställen untergebracht vegetieren diese wertvollen Mitgeschöpfe unter Lebensbedingungen, die zur Ausprägung von unnatürlichem Verhalten führen. In der kurzen Zeit, die ihnen bleibt, um ihr Leben zu fristen, müssen sie immense Qualen erleiden, weil sie schnell gewinnbringend den industriellen Prozess durchschreiten sollen.
Ferkel werden etwa ohne Stroh in großen Gruppen gehalten. Nach nur drei bis vier Wochen wird die Säugezeit beendet, was ein Martyrium einleitet. In nur fünfeinhalb Monaten werden die Schweine auf ein Gewicht von 100 bis 120 Kilo gemästet. Unter natürlichen Bedingungen wird dieses Gewicht erst nach drei oder vier Jahren erreicht. Was dem Konsumenten als "erwachsenes" Schwein eingeredet wird, ist nie älter als höchstens sechs Monate. Um ihre Produktivität pro Quadratmeter zu steigern, werden viele von ihnen auf Vollspaltenböden gehalten, wodurch sie direkt über ihren Fäkalien stehen müssen. Ihre Ausscheidungen entwickeln einen intensiven beißenden Ammoniakgeruch, der die Augen der Schweine ständig tränen lässt. Das kann in letzter Konsequenz bis zur Erblindung führen. Dies ist nur ein Beispiel für den Wahnsinn, der Tieren angetan wird. Hühnern, Puten, Rindern, Fischen und vielen anderen Mitgeschöpfen geht es nicht anders. Sie sind nur auf ihren Nutzen für die Industrie reduziert und verschaffen den Kapitalisten hohe Renditen.

Was wir also auf dem Teller haben, ist in den seltensten Fällen kein Industrieprodukt. Es ist billige Massenware, einheitlich im Geschmack. Das trifft übrigens ebenso auf Obst und Gemüse zu, welches meist unter künstlichen Bedingungen angebaut und geerntet wird. Durch Zusätze von Pestiziden der verschiedensten Färbungen wird es von Schädlingen befreit; verliert aber gleichzeitig an Geschmack und verkommt somit zu wässriger Ware. Die schädliche Wirkung von Pestiziden auf den Organismus ist nur unzureichend erforscht. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass Pestizide zumindest für Kinder nicht ungefährlich sind.

Insgesamt lässt sich aus der Lektüre des Buches schließen, dass wir Konsumenten allesamt entmündigt scheinen. Wir fressen sozusagen, was auf den Teller kommt, ohne zu wissen, unter welchen Bedingungen diese Lebensmittel entstanden sind. Alles wird nur mehr in Massen erzeugt, wobei Tierleid und geschmackloses Obst und Gemüse in Kauf genommen werden. Der Mensch hat sich so sehr von der Natur entfremdet, dass es eine Leichtigkeit ist, ihm ein "Geschmackserlebnis" vorzugaukeln. Wenn der Konsument etwas zu schmecken meint, so ist es meist nur irgendein Zusatzstoff, der zu diesem Effekt auf der Zunge und dem Gaumen führt. Tatsächlich würden diese Lebensmittel, wobei sich der Autor gegen diesen Begriff verwehrt, keinen eigenen Geschmack aufweisen.

Das Kochen kann eine eigene Kunst sein. Ist alles auf eine Vereinheitlichung aufgebaut, so verliert dieser Vorgang gänzlich an Bedeutung. Werner Lampert hat einige Freunde, die als Bauern ihren Traum leben. Von ihnen erzählt er. Zahlreiche Fotos vermitteln einen Eindruck davon, wie es sein könnte, wenn biologische Landwirtschaft an der Tagesordnung wäre. Es sind kleine Nischen, die noch existieren. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden bald auch in Europa US-amerikanische Verhältnisse existieren. Der Grund, warum die Nordamerikaner zu extremer Fettleibigkeit neigen, hängt mit der dort üblichen überbordenden Industrialisierung zusammen. Bald könnte dieser Wahnsinn auf Europa überschwappen.

Der Autor appelliert an die Leser, wachsam zu sein und sich bewusst mit dem Thema Essen auseinander zu setzen. Es ist ein schlechter Witz, dass für Essen, welches für das Wohlergehen des Menschen wesentlich bestimmend ist, am wenigsten Geld ausgegeben zu werden scheint. Alles Andere mag teurer sein. Doch es ist letztlich unsere Gesundheit, die akut gefährdet ist. Wollen wir Konsumenten uns völlig der hyperkapitalisierten Industrie ausliefern, oder Gegenmodelle entwickeln? Wo immer es auch geht, können Zeichen gesetzt und Nischen besetzt werden. Wobei wir schon mal damit anfangen können, nicht zu viel zu essen. Immerhin bestimmen wir das Angebot mit. Würden wir weniger essen, könnte sich eine Zurückstutzung der industriellen Lebensmittelproduktion ergeben. Nachfrage ist keineswegs ein leeres Wort. Und insbesondere der Fleischkonsum in Europa hat bedrohliche Ausmaße angenommen. Wie Werner Lampert nachweist, ist so eine kleine Jause mit Brot, Wurst, Obst und Joghurt kein Honiglecken. Da steht eine Industrie dahinter, die diese Mahlzeit extrem manipuliert.

"Schmeckt's noch?" bietet zahlreiche Informationen über den Stand der Dinge. Das Buch zeigt auch auf, wie statistische Daten so manipuliert werden können, dass Österreich in Bezug auf Vorhandensein von Pestiziden in Lebensmitteln so gut dastehen kann, was freilich keineswegs der Realität entspricht. Der heilige Franziskus kann uns Menschen als Vorbild dienen, was unseren Umgang mit unseren Mitgeschöpfen betrifft. Mit religiösen und poetischen Zitaten sind die einzelnen Kapitel gespickt, wodurch der Eindruck des Wahnsinns angesichts unserer Essgewohnheiten verstärkt wird. Vielleicht kann dieses Werk ein klein bisschen Veränderung in den Lebenswirklichkeiten der Konsumenten bewirken, oder aber noch viel mehr. Angesichts der unglaublichen Tatsachen, die dieses Buch aufzeigt, wäre dies wünschenswert. Essen darf nie zu einer Gewohnheit werden, die uns Menschen abstumpfen lässt ...

(Jürgen Heimlich; 10/2005)


Werner Lampert: "Schmeckt's noch?"
Ecowin, 2005. 192 Seiten.
ISBN 3-902404-26-4.
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