Andreas Eschbach: "Der Letzte seiner Art"
Ein Mann versucht mit
aller Kraft, sich aus seinem Bett hinaus zu befördern. Alles in ihm scheint
starr zu sein. Er versucht, klaren Kopf zu behalten; doch es fällt schwer, in
einer solchen Situation nicht zu verzweifeln. Oft schon gelang es ihm überhaupt
nicht, den Weg aus dem Bett hinaus zu finden. Es ist immer wieder eine Tortur,
die letztlich nicht belohnt wird. Er wird wieder den Arzt konsultieren müssen,
dem er vertrauen kann.
Was sich anfangs wie ein Bericht eines alten Mannes anliest, der sich stets
geweigert hat, in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden, ist tatsächlich die
Höllenfahrt eines Cyborgs, dessen maschinelle Ausstattung wieder mal rebelliert.
Eine Mischung aus Mensch und Maschine also, die an den Terminator gemahnen lässt.
Der Terminator allerdings hat ganz gut funktioniert, wenngleich die humane Gesinnung
kaum noch gegeben war. Duane Fitzgerald, der Hauptprotagonist des Romans, ist
keine "beseelte Maschine", sondern ein Mensch, dem im Rahmen eines verrückten
Projektes namens "Steel man" spezifische computergenerierte Überfunktionen in
den Körper implantiert wurden, welche den "perfekten" Soldaten(roboter) darstellen
mochten. Ja, die Regierung der Vereinigten Staaten, hatte es für entscheidend
angesehen, einen Wettbewerbsvorsprung zu konzipieren, durch den Kriege mit Leichtigkeit
gewonnen werden, und die Zerstörungswut keine Grenzen haben würde. Es wurden
Männer gesucht, die bereit wären, sich voll und ganz in die Dienste für das
Vaterland zu stellen, und einen Prototyp für unermüdliche Kämpfer demonstrierten,
der mit einem Lächeln auf den Lippen dereinst stürbe, da sich der Lebenstraum
für ihn erfüllt habe. Das Projekt jedoch erwies sich von Anfang an als problematisch.
Die Versuchskaninchen mussten viele Operationen über sich ergehen lassen, die
nicht selten mit dem Tod des gewillten "Soldaten der Zukunft" endeten. Jene,
die offensichtlich gut "funktionierten", lösten sich teilweise schon bald in
ihre Bestandteile auf, da sie von innen zerfressen wurden. Übrig blieben Blutlacken
und seltsam zuckende Teile der Robotertechnik. Wegen der Fehlerhaftigkeit des
Projekts "Steel man" wurden die Überlebenden in die Frühpension geschickt und
sollten in aller Abgeschiedenheit ein Leben führen, das keines mehr war.
Duane Fitzgerald lebt in einem
kleinen Kaff in Irland, und seine einzige Abwechslung von der teilweise
unerträglichen Einsamkeit ist sein mehrwöchiger Gang zum Postamt, wo er Pakete
erwartet, die Nahrungsersatz enthalten. Der Cyborg kann keine gewöhnliche
Nahrung zu sich nehmen, sondern ist auf eine spezielle Kraftfuttermischung
angewiesen, sodass sein verkürzter Darm nicht rebellieren kann.
Zwölf
Jahre lang passiert nichts. Duane ist mittlerweile Mitte 30 und hat sich an die
scheinbare Idylle gewöhnt. Doch mit einem Mal ändern sich die Dinge. Ein Asiate
ist ihm auf der Spur, und der Cyborg glaubt langsam aber sicher, dass das
bestgehütete Staatsgeheimnis womöglich entdeckt worden ist, und dieser Asiate
ihn in das Licht der Öffentlichkeit zerren möchte. Auf jeden Fall geht er diesem
Menschen aus dem Weg, bis dieser unvermittelt vor ihm steht und ihn auf einen
Drink in ein Hotel einlädt. Duane stimmt widerwillig zu. Während der Asiate
Unterlagen aus seinem Hotelzimmer zu holen beabsichtigt, rührt Duane in einer
Schale Kaffee herum. Weder Drinks noch Kaffee sind seinen Innereien zuträglich.
Plötzlich hört Duane einen extrem lauten Knall, und da brennen fast die
Sicherungen durch. Er schaltet auf "Kampfmodus" und nimmt die Umgebung kaum noch
wahr. Die bildhübsche Hotelmanagerin verliert ihren Reiz, da aus dem harmlosen
Duane eine furchterregende Maschine wird, die unberechenbar ist. Mit rasender
Geschwindigkeit erreicht er das Hotelzimmer des Asiaten, der ermordet auf dem
Boden liegt. Duane schaltet seine in einem Auge lokalisierte Infrarotkamera ein
und entdeckt den flüchtenden Mörder auf dem Vorhof. Gerade als er dabei ist,
sich mit einem gewaltigen Sprung auf diesen zu stürzen, bricht das System nahezu
zusammen, und er hat gerade noch genug Kraft, um einen Stein auf den Kerl zu
werfen, der diesen immerhin auf der Schulter trifft.
Dies ist der Anfang
einer Geschichte, die sich von Seite zu Seite mehr verdichtet. Denn Duane ist
bemüht, dem Mörder auf die Schliche zu kommen. Gleichzeitig sieht er sich mit
der Tatsache konfrontiert, dass das Projekt "Steel man" aufgedeckt wurde und
allerlei Geheimorganisationen ihre Spürhunde auf ihn hetzen, sodass er verbraten
werden möge. Die Nahrungsersatzpakete kommen nicht mehr an, und der Hunger macht
ihm bald zu schaffen. In seiner Verzweiflung kauft er sich einen Happen Fleisch
und verspeist diesen in rohem Zustand. Klarerweise spielen da seine Gedärme
nicht mit, und er muss alles wieder auskotzen. Er hat keine Chance, doch er will
sie nutzen. Zwar ist er nicht "Superman", aber immerhin so etwas Ähnliches. Der
Arzt, den er als einzigem Menschen seine Geschichte anvertraut hat, will eine
kleine Operation an ihm durchführen, da im rechten Unterschenkel die Drähte lose
sitzen, und somit die Möglichkeit besteht, die Funktion des Fußes nur mehr sehr
eingeschränkt gewährleisten zu können. Dr. O'Shea, ein Schürzenjäger höchster
Güte, kommt seine Menschenliebe teuer zu stehen. Er wird brutal ermordet, und
Duane schwört Rache, auch wenn er sich dies nur in seinem Unterbewusstsein
eingesteht.
Warum wurde dieser Asiate ermordet? Es scheint klar zu sein,
dass diese Unterlagen der Schlüssel zur ganzen Katastrophe sind. Die reizende
Hotelmanagerin war bald nach dem geglückten Attentat verschwunden, und ihr
Bruder teilt Duane mit, wo die Akten bereit lägen und seine Schwester zu finden
sei. Der Cyborg wird aus der Stadt hinausgefahren und landet an einem
geheimnisvollen Ort, der ein wunderbares Versteck für eine so hübsche,
lebensbedrohte Frau abgibt. Duane bekommt einen Einblick in die Akten des
Asiaten. Die Vermutung stellt sich als Wahrheit heraus: Das Geheimprojekt "Steel
man" war identifiziert worden, und nunmehr gab es zahlreiche Menschen, die
bereit waren, den Cyborg in ihre Gewalt zu bringen und der Nachwelt als
misslungenes Experiment zu präsentieren.
Duane bringt der
Hunger fast
schon um, als endlich sein Chef an das bescheidene Landhäuschen klopft, und ein
"Fresspaket" dabei hat. Obzwar dieser Fraß nach nichts schmeckt, schlingt er
diesen, mit verträglichen Gewürzen angereichert, in sich hinein und fühlt sich
dann immerhin wohler. Kurz vorher war eine unfassbare Misere von ihm entdeckt
worden. Sämtliche übriggeblieben Cyborgs waren bei merkwürdigen Unfällen und
sogar durch Thrombosen ums Leben gekommen. Nunmehr ist Duane der einzige lebende
Cyborg auf dieser weiten Welt.
Die Geschichte nimmt zum Ende hin
unglaubliche Wendungen, und selbst am Schluss bleiben mehr Fragen offen, als
Antworten präsentiert werden könnten.
Was von mir nur angedeutet wurde,
ist insgeheim eine total irre Story, die mehrere Verflechtungen in Vergangenheit
und Zukunft aufweist. Im Gegensatz zu dem großartigen Roman "Eine Billion
Dollar" handelt es sich bei dem Nachfolgeroman um eine fast "klassische"
Science-Fiction-Geschichte. Der Mangel des Romans ist zweifelsfrei seine Kürze.
Viele Dinge werden nur angedeutet und oft nur ungenügend aufgelöst. Der Schluss
ist zu früh da und nicht wirklich schlüssig. Dennoch überwiegt aufgrund der
hochgradigen Spannungselemente und des hochinteressanten Themas der positive
Eindruck.
Für den Rezensenten erstaunlich ist die Verschränkung von
Philosophie und Belletristik.
Den Kapiteln ist jeweils ein Zitat von Seneca
vorangestellt. Und die Handlungsstränge sind auch so konzipiert, dass die
philosophischen Einsprengsel eine - wenn auch teilweise stark konstruierte -
Kongruenz mit der Innenschau des seine Wunden leckenden Cyborgs ergeben.
Es ließe sich noch eine Unzahl von Vermutungen und Erkenntnissen aus dem Roman
ableiten. Das wäre aber nicht im Sinn der Sache. Tatsache ist, dass die Suche
nach dem perfekten Soldaten damit nicht persifliert wird. Patriotismus und pure
Befehlsempfängerei ohne Selbstreflexion sind Eigenheiten, die die Voraussetzungen
nicht nur des Irak-Kriegs des Jahres 2003
bilden. Solche Menschen wie Duane Fitzgerald gibt es - leider - zur Genüge auf
diesem Planeten. Menschen, die glauben, etwas "Gutes" zu tun; und in Wirklichkeit
nur den "Höllenhunden" dazu dienen, ihre Psychosen ausleben zu können. Psychische
Deformation kann,
um beim Beispiel USA
zu bleiben, nicht als Problem für blinde Befehlsempfänger erkannt werden, wenn
diese eine Spezifikation dafür ist, als "mächtigster" Mensch der Welt zu gelten.
Kritische Selbstreflexion bleibt den Menschen überlassen, die sich nicht auf
diese Maschinerie des Wahnsinns einlassen. Die Welt ist zu einem Ort verkommen,
wo tatsächlich Maschinen das Sagen haben. Und zwar Maschinen, die nicht einmal
so viel Einfühlungsvermögen besitzen wie jener traurige Cyborg Duane Fitzgerald,
dessen Leben am Ende wenigstens einen kleinen Hoffnungsstrahl am Horizont erkennen
lässt.
(Jürgen Heimlich; 09/2003)
Andreas Eschbach: "Der Letzte seiner Art"
Lübbe, 2003. 350
Seiten.
ISBN 3-7857-2123-4.
ca. EUR 19,90.
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