Viola Roggenkamp: "Erika Mann. Eine jüdische Tochter"

Über Erlesenes und Verleugnetes in der Familie Mann-Pringsheim.


Eine jüdische Tochter? Erika Mann und die Frauengenealogie der Familie Mann-Pringsheim.

Die Mann-Pringsheims waren eine der bedeutendsten Familien des deutsch-jüdischen Bildungsbürgertums. Man denke nur an Hedwig Dohm, Frauenrechtlerin und erfolgreiche Schriftstellerin, ihre Tochter Hedwig Pringsheim Salonnière in München, verheiratet mit einem Unternehmer und Wagner-Verehrer und Förderer, deren Tochter Katia wiederum Ehefrau von Thomas Mann und Managerin des Familienunternehmens Mann, dann das Schriftstellerbrüderpaar Thomas und Heinrich Mann, von denen der eine Nobelpreisträger wurde und beide im antifaschistischen Exil landeten. Schließlich die sechs Mann-Kinder, alle Schriftsteller und Schriftstellerinnen auf die eine oder andere Weise.
So könnten Biographien der Familie, Berichte und Analysen beginnen. Tun sie aber nicht. Stattdessen: individuelle Streiflichter auf die Familie Thomas Manns, des deutschen Schriftstellers schlechthin: Hedwig Dohm wurde durch die Frauenbewegung als eine der ersten Frauenrechtlerinnen im 19. Jahrhundert bekannt, und viele Studien versuchten die Gründe zu analysieren, warum die Enkelin Katia hinter dem Genie Thomas Mann die traditionelle Frauenrolle übernahm. Katia Mann wurden erst vor kurzem zwei große Biographien gewidmet, das schriftstellerische Werk ihrer Kinder Erika und Klaus Mann wurde neu verlegt, um es vor dem unerbittlichen Vergessen zu bewahren, Golo Mann ist als Historiker und die jüngste Mann-Tochter wurde durch ihre ungewöhnliche Karriere als Meeresforscherin bekannt.

Die Mann-Pringsheims eine deutsch-jüdische Familie? "So ein Blödsinn", schimpfte, von Augenzeugen dokumentiert, Katia Mann, wenn die Frage auf die jüdischen Wurzeln der Familie Pringsheim kam. Die Pringsheims waren ein Paradebeispiel des säkularen, assimilierten deutschen Judentums. Sie empfanden sich nicht als jüdisch, sondern als deutsch und in der Familie war das Thema tabu. Eine Haltung, die angesichts des wütenden deutschen Antisemitismus verständlich ist und der eine Schutzfunktion zukommt. Aber warum wurde in der Familie Mann die Bedrohung durch den Nationalsozialismus lediglich für Thomas Mann gesehen, und nicht auch auf die alleine durch ihre jüdische Herkunft tatsächlich von vornherein gefährdete Ehefrau und Kinder? Und warum hat die brillante politische Analystin Erika Mann das jüdische Thema nie auch auf sich bezogen? Und warum ist es kein Thema für all die vielen, die über die Manns forschen und schreiben?

"Worüber ich schreiben will, hätte Erika Mann nicht gefallen, und ihrer Mutter Katia Mann auch nicht." Mit diesen Worten beginnt Viola Roggenkamp ihr Buch über Erika und die anderen Manns, die sie aus einer ungewöhnlichen Perspektive betrachtet. Denn, "ich will über das Jüdische in der Familie des deutschen Dichters Thomas Mann schreiben." Im Zentrum der Überlegungen steht Erika Mann, die unkonventionelle politische Intellektuelle. Sie war mehr als die Tochter ihres Vaters als die sie letzten Endes in die Literaturgeschichte einging. Sie war Schauspielerin, Schriftstellerin, Journalistin, Im Mittelpunkt ihres Denkens stand der Kampf gegen den Nationalsozialismus - als Kaberettistin, Vortragsreisende in den USA, politische Journalistin, Kriegsberichterstatterin, Berichterstatterin beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Nach 1945 wurde sie allerdings immer mehr zur Assistentin ihres Vaters, seine Lektorin, Herausgeberin, Nachlassverwalterin.
Sie war aber auch Tochter ihrer Mutter und damit auch jüdisch. Darf man darauf hinweisen? Was bringt es? Ihr Antifaschismus nährte sich aus dem Kampf gegen Diktatur und Krieg und für eine Demokratie, die Frieden und Toleranz lebt. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden wurde kaum thematisiert, und schon gar nicht die eigene Betroffenheit, die eigene Familiengeschichte. Nicht von Thomas Mann, nicht von Erika Mann, der politischen Journalistin und Vortragsreisenden. Angesichts der Stellung Thomas Manns in der deutschen Literaturgeschichte und angesichts der Flut biographischer Forschungsarbeit zu den Manns insgesamt ist es doch erstaunlich, dass das jüdische Thema insgesamt ausgeblendet wurde, als ob es kein Thema wäre. Was im Angesicht der Schoah doch auch seltsam anmutet.

Viola Roggenkamp macht es sich nicht leicht. Sie umkreist das Thema von vielen Seiten - analysiert Erika Manns schriftstellerisches und journalistisches Werk, ihren Lebenslauf, ihre Familiengenealogie, die Biographien über sie und die Familie. Man merkt, dass Roggenkamp, die selbst, wie Erika Mann, Journalistin, Publizistin, Schriftstellerin ist, aus einer deutsch-jüdischen Familie stammt und im letzten Jahr den autobiographisch inspirierten Roman "Familienleben" veröffentlicht hat, mit dem Thema sehr vertraut ist. Es sind wohl ihre eigenen Fragen, die sie stellt, und es sind nicht schnelle Antworten, die sie sucht. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist die Frage nach dem deutsch-jüdischen Verhältnis heute. Noch immer. Das Jüdische der Familie Mann-Pringsheim war und ist kein Geheimnis. Viola Roggenkamp deckt nichts auf, was nicht ohnehin bekannt ist, aber sie legt ihren Finger auf diese deutsche Wunde.

(Dr. Brigitte Lichtenberger-Fenz; 11/2005)


Viola Roggenkamp: "Erika Mann. Eine jüdische Tochter"
Arche Zürich/Hamburg 2005,
256 Seiten; ISBN: 3716023442

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