René Oth: "Bevor Kolumbus kam"

Die frühen Entdecker Amerikas


Spekulative Thesen zur Entdeckung Amerikas

Erreichten die ersten Immigranten den amerikanischen Kontinent nicht wie bisher angenommen über die Beringstraße, sondern auf dem Seeweg? Und muss die Besiedlung der so genannten "Neuen Welt" 50.000 Jahre zurückdatiert werden statt lediglich 12.000 Jahre, wie man bisher geglaubt hat? Falls die Thesen derjenigen Forscher, auf die René Oth sich hier beruft, stimmen, so muss man diese Fragen offensichtlich bejahen. Bislang als etabliert geltende Lehrmeinungen werden also in Oths neuem Buch "Bevor Kolumbus kam" radikal in Frage gestellt. Und dabei stützt sich der Autor nicht in erster Linie auf neue Erkenntnisse der Archäologie, sondern lässt Genetiker und Molekularbiologen zu Worte kommen, die mit detektivischer Akribie den genetischen Code der Immigranten bzw. der amerikanischen Urbevölkerung zu entschlüsseln suchen. Darüber hinaus scheinen die durch Gentechnik und Molekularbiologie gewonnenen Erkenntnisse noch ihre Bestätigung durch die Forschungsergebnisse der Linguisten zu finden. Die Hauptaussage des ersten Teils dieses Buches lautet also: Amerika wurde wesentlich früher besiedelt als bislang angenommen und dazu noch von Völkern unterschiedlichster Herkunft.

Allerdings akzeptieren nicht alle, vor allem die us-amerikanischen Wissenschaftler nicht, die neuen Theorien, doch laut René Oth ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie gezwungen sein werden, ihre Dogmen, an die sie sich so hartnäckig klammern, angesichts einer erdrückenden Beweislast aufzugeben. Sollte sich nun aber tatsächlich die Vermutung bestätigen, dass beispielsweise Ureinwohner kaukasoider Abstammung vor den heutigen Indianern den amerikanischen Kontinent besiedelten, so könnte dies nach Ansicht des Autors weitreichende Konsequenzen politischer sowie juristischer Art für die "First Nations" (offizielle Bezeichnung in Angloamerika für die heutigen Indianer) nach sich ziehen. Ein brisantes Thema also.

Der zweite Teil des Buches widmet sich der Frage, ob bereits vor Kolumbus andere europäische und außereuropäische Völker Handelsbeziehungen mit den Bewohnern der "Neuen Welt" geknüpft haben, und hier verliert sich der Autor zunehmend im Dunstkreis populär- bzw. pseudowissenschaftlicher Spekulationen. Dort lesen wir dann von Huishen, dem chinesischen Kolumbus und von der dubiosen Rolle, die Erdnüsse in seiner Lebensgeschichte gespielt haben. Außerdem erfahren wir einiges über den chinesischen Odysseus, Großadmiral Zheng He, den die Natur mit der Stirn eines Tigers ausgestattet (was immer man sich darunter vorstellen mag), ihm dafür allerdings die Hoden vorenthalten hatte. Mit Erstaunen lesen wir vom mit Rothäuten bemannten Kanu, das im Jahre 62 vor Chr. an den Küsten Germaniens strandete, von der jahrhundertealten chinesischen Kolonie am Russian River in Kalifornien, von irischen Mönchen, die die christliche Lehre schon Jahrhunderte vor Kolumbus in Amerika verbreiteten und von den schwarzen Königen von Kusch.

Dies sind alles Personen und Begebenheiten, die keinen Eingang in die gängigen Geschichtsbücher gefunden haben, hochspekulative Hypothesen, die vermutlich auf wackligen Füßen stehen. Auf eine dieser Personen möchte ich noch einmal näher eingehen, und zwar auf den Großadmiral Zheng He, dem von der Regierung Singapurs im August 2005 eine Ausstellung gewidmet wurde, in der des Admirals zweifelsohne große Verdienste gewürdigt werden sollten. Der Hobby-Forscher Gavin Menzies schrieb ein kommerziell erfolgreiches Buch über Zheng He, auf das sich René Oth häufig bezieht und wo behauptet wird, dieser Zheng He habe schon lange vor Kolumbus mit einer ganzen Flotte den amerikanischen Kontinent angesteuert. Gavin Menzies Theorien stoßen aber in der Fachwelt auf Unverständnis, Kritik und Spott, man vergleicht ihn sogar mit Erich von Däniken. Menzies selbst geht jeder direkten Konfrontation mit seinen Kritikern aus dem Wege. Und selbst der Außenminister Singapurs ging anlässlich der Ausstellungseröffnung deutlich auf Distanz gegenüber Menzies. Zitat: "Es ist unwahrscheinlich, dass die chinesischen Historiker, die sehr penibel in der Aufzeichnung von Daten waren, in ihren Werken historische Ereignisse und geografische Plätze wie Seereisen über den Atlantik und den Pazifik komplett ignoriert haben sollten."

Soviel zum zweiten Teil des vorliegenden Bandes, der zwar recht interessant und spannend zu lesen ist, doch sollte man auch mit einer gesunden Skepsis an die Lektüre gehen, einige Thesen klingen doch ziemlich gewagt, mitunter gar abstrus.

Im dritten, epilogartigen Teil bemüht sich René Oth noch einmal um eine objektive Darstellung des indianischen Menschen, indem er mit einigen Klischees aufräumt. Sowohl das Bild vom edlen Wilden als auch das vom nichtsnutzigen Faulenzer und blutrünstigen Krieger werden in Frage gestellt und der Realität angepasst. Gewiss ist vieles in dem Buch, das zudem gut ausgestattet und reich illustriert ist mit Fotos, Karten, Skizzen etc., beachtenswert und diskussionswürdig. Doch bleiben zahlreiche offene Fragen, über die sich der Schleier des Geheimnisses gelegt hat, von dem man aber immer nur einen Zipfel lüften kann, so dass uns das Gesamtbild der Vergangenheit wohl immer verborgen bleiben wird.

(Werner Fletcher; 04/2006)


René Oth: "Bevor Kolumbus kam"
Theiss-Verlag, 2006. 192 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Völker der Sonne. Versunkene Kulturen Südamerikas"

Von El Dorado bis zur Osterinsel, von Machu Picchu bis Nasca - Südamerika besitzt eine enorme Vielfalt versunkener Hochkulturen mit Goldschätzen und Mumien, Inkastraßen und Sonnentempeln.
Felsenstädte und waghalsige Brücken, prächtige Tempel und Paläste der Sonnenkönige - als die Spanier Peru eroberten, stießen sie auf hoch zivilisierte Indianerkulturen.
Der Autor präsentiert nicht nur die großartige Hochkultur der Inkas in den Anden, er geht auf ihre geheimnisvollen Vorläufer und die Goldkultur des legendären El Dorado in Venezuela ein. Er zeigt die Kultur der Nasca mit ihren geheimnisvollen Felszeichnungen und spannt den Bogen bis hin zur rätselhaften Besiedelung der Osterinseln weit vor der Küste Chiles im Pazifik.
Mit spannenden Texten und großartigen, neu aufgenommenen Bildern zeigt dieser Band die ganze Vielfalt der indianischen Hochkulturen zwischen Anden und Amazonas, Karibik und Feuerland. (Theiss-Verlag)
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