Ulli Kulke: "Die großen Entdecker"

Abenteuerliche Reisen ins Unbekannte


Reisen und Reisende, die Meilensteine setzten

Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die den Drang verspürten, in die Fremde zu ziehen, Grenzen zu überschreiten, Neues zu entdecken und gegebenenfalls zu erobern. Die Ursachen und Anlässe waren durchaus verschieden: Oft handelte es sich um die pure Not, um Mangel an lebenswichtigen Ressourcen, nicht selten um den Drang, die Macht der eigenen Nation auszuweiten und selbst Ruhm und Reichtum einzuheimsen, und gelegentlich einfach um einen unwiderstehlichen Zwang, wie ihn so mancher Forschergeist verspürte.

Nicht jeder von diesem Zwang Beseelte hatte wie Humboldt, der in Südamerika eine Fülle von Naturbeobachtungen und geografischen Entdeckungen machte, ein ererbtes Vermögen zur Disposition. Und auch vom Staat großzügig ausgerüstete Forschungsreisende wie David Livingstone scheiterten zuweilen an mangelhafter Logistik, Korruption und fremden Mentalitäten. Als der Reisende und Journalist Henry M. Stanley Livingstones Spuren folgte und den seit fünf Jahren Verschollenen am Tanganjikasee im Herzen Afrikas fand, verstand er es, daraus das vielleicht erste großartig angelegte Medienereignis zu machen.

Wikinger wie Leif Eriksson, die kühn nach dem Land hinter dem Nebel suchten und kurze Zeit Siedlungen in Amerika unterhielten, waren zwar auch auf der Suche nach neuem Lebensraum, der für ihr Volk knapp zu werden begann, doch sie genossen vor allem das Abenteuerliche an ihren Ausfahrten, den Nervenkitzel, den das Unbekannte bot.

Große Entdecker brachten das 15. und das 16. Jahrhundert hervor, insbesondere in Spanien und Portugal, die um die Entdeckung und Ausbeutung der fernen und sagenumwobenen Gewürzinseln wetteiferten. Zu ihnen zählen zum Beispiel Kolumbus, der sich bekanntlich gewaltig irrte, als er glaubte, Indien über den Atlantik erreicht zu haben, und Francisco Serrao, der als Erster tatsächlich die wichtigsten Gewürzinseln betrat.

Die Kartierung, Eroberung und Erschließung der Welt durch die Europäer waren nicht mehr aufzuhalten und wurden durch Desperados wie Pizarro und unerschrockene Seefahrer wie Cook weitergetrieben.

In Ulli Kulkes Auswahl von Lebensbildern finden sich aber auch weniger bekannte Reisende, die Unglaubliches geleistet haben, so der Mönch Wilhelm von Rubruk, der im 13. Jahrhundert bis nach Karakorum wanderte, um den mächtigen Mongolenkhan zum Christentum zu bekehren, oder auch der arabische Gelehrte Ibn Battuta, der im nächsten Jahrhundert 120.000 Kilometer zwischen Ostasien, Afrika und Europa zurücklegte. Wenig später gelangte der chinesische Admiral Zheng He möglicherweise bis nach Amerika - viele Indizien weisen darauf hin. Und auch im 19. Jahrhundert blieben noch einige weiße Flecken auf den Landkarten, vor allem in Afrika, wo Heinrich Barth, als Beduine verkleidet, bis ins sagenhafte Timbuktu gelangte, und im Westen der USA. Dort stießen Meriwether Lewis und William Clark nach vielen Abenteuern von St. Louis ausgehend bis zum Pazifik vor.

Ulli Kulke hat die Biografien seiner Helden sorgfältig recherchiert, und es gelingt ihm, sie spannend und in einem wunderbar spritzigen, nie langweiligen Stil zu präsentieren. Selbstverständlich erläutert der Autor auch den welt-, kultur- oder nationalgeschichtlichen Hintergrund der jeweiligen Reisen oder Epochen. Anhand zeitgenössischer Schilderungen erschließt er den Charakter und die Beweggründe der unerschrockenen Männer, die alles daran setzten, herauszufinden, welche Geheimnisse sich hinter dem Horizont verbargen.

Jedes Kapitel enthält eine Karte mit den beschriebenen Reiserouten und neben dem eigentlichen Essay eine Kurzbiografie des oder der Protagonisten. Zudem ist das Buch mit vielen Illustrationen versehen: Fotos besuchter Orte und Landschaften, Faksimiles historischer Karten sowie Gemälde und Stiche, die eine vorzügliche Ergänzung zum Text bilden.

Natürlich muss eine Auswahl von Entdeckerpersönlichkeiten immer subjektiv bleiben, so mag der Leser vielleicht die eine oder andere historische Figur vermissen. Mir persönlich gefällt die interessante Mischung aus allgemein bekannten und weniger berühmt gewordenen, aber nicht minder heldenhaften Entdeckern.

Das Lektorat hätte etwas sorgfältiger sein können. Dessen ungeachtet ist "Die großen Entdecker" ein Buch, das eine Reihe außerordentlicher Leistungen aus rund neun Jahrhunderten mitreißend schildert und sich für Jugendliche und Erwachsene, für geschichtlich Interessierte und Laien gleichermaßen eignet.

(Regina Károlyi; 09/2006)


Ulli Kulke: "Die großen Entdecker. Abenteuerliche Reisen ins Unbekannte"
Theiss-Verlag, 2006. 192 Seiten.
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Ulli Kulke ist Autor und Reporter bei der "Welt". Er schreibt regelmäßig über historische Themen, vorwiegend aus der Entdeckungs- und Kolonialgeschichte.