Ditte und Giovanni Bandini: "Das Buch der Engel"


Gibt es Engel überhaupt?
Und wenn ja, wie sehen sie aus?
Glanz und Elend der Theologie, was sich in diesen Fragen manifestiert.


Frage eins wird im vorliegenden Buch nur angeschnitten, aber (Gott sei's gedankt) nicht behandelt, weshalb sie umso mehr bei dieser kurzen Rezension entfallen darf. Es wäre ja auch von einem nicht allzu dicken Taschenbuch zuviel verlangt, Gewissheit über ein Thema derartigen Gewichtes, immerhin rührt Frage eins nicht nur ganz am Rande an die fundamentale Frage des Menschseins, nämlich ob Gott existiert oder nicht, zu erlangen.

Aber ganz unerwähnt ist sie nicht geblieben, diese Frage. In einem Nebensatz, ziemlich zu Beginn heißt es sinngemäß, "... soferne Engel überhaupt existieren...." Ehrlichkeit kann man den Autoren sohin nicht absprechen, denn schließlich zieht dieser unbeantwortete, weil nicht zu beantwortende Einwurf die Sinnhaftigkeit des ganzen Buches, oder zumindest des überwiegenden Teils davon, der ja bei Verneinung ganz anders zu behandeln gewesen wäre, nämlich als Ursachenforschung oder Deutung von gewaltigen Narreteien und Halluzinationen, in Zweifel.

Damit ist eine zentrales Problem derartiger Bücher im Allgemeinen angesprochen: "Das Buch der Engel" wird in der Regel nur von solchen Menschen gelesen werden, die an die Existenz von Engeln glauben. Dieser Glaube wiederum bringt notgedrungen eine sehr dogmatische Einschränkung mit sich, denn man bewegt sich hier in einem durch die Nichtwahrnehmbarkeit des Beschriebenen völlig uferlosen Feld, welches nur durch Dogmen einigermaßen eingegrenzt werden kann, sodass eigentlich ohnehin nur umschrieben werden kann, was längst ohnehin für den Leser als Dogma feststeht.

Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Vor allem subjektive Engelserfahrungen diverser Zeugen bieten doch viel interessanten Stoff, vor allem in ihrer beeindruckenden Häufigkeit (ca. 30 Prozent der Befragten!), die angesichts unserer im Geistigen ziemlich verarmten Zeit, was sowohl das Spirituelle als auch das Philosophische anbelangt, als sehr überraschend und natürlich auch als höchst erfreulich anzusehen ist. Problematischer wird es schon beim etwas zu burschikosen Stil in der Beschreibung von auf Engel bezugnehmender biblischer Stellen, welcher mit diversen Dogmen des präsumptiven gläubigen Lesers (wer sonst sollte dies Buch lesen?) mitunter in Konflikt geraten kann, und, schlimmer noch, theologische Fragen, welche zu den allerschwierigsten zählen, zum Beispiel warum Gott den bösen Widersacher, der als gefallener Engel natürlich auch in diesem Buch vorkommen muss, überhaupt zulässt, meines Erachtens eine Spur zu leichtfertig behandelt. Aber dies nur am Rande, eingeräumt werden muss, dass ein Buch in einer derartigen Form einen durchaus schwierigen Balanceakt zwischen Vorgaben dogmatischen Glaubens und der Notwendigkeit einer interesseweckenden lebendigen Darstellung bildet, der hier über weite Strecken durchaus als gelungen zu bezeichnen ist.
Überdies sind wir längst bei Frage zwei angelangt: Wie sehen Engel aus? Diese Frage, obschon genauso unbeantwortbar wie Frage eins, wird natürlich umfassend behandelt, wie auch nicht anders von einem "Buch der Engel" mit Recht zu erwarten, und zwar nicht nur in Wort, sondern auch in gestochen scharfen Abbildungen. In dieser durch die gänzliche Absenz jeglicher Wissenschaftlichkeit bedingten Uferlosigkeit des dargebotenen Themas liegt schlussendlich der hauptsächliche Reiz des Buches. Wenn ein Ergebnis der umfangreichen Untersuchungen erzielt wird, dann muss es ungefähr so lauten: Da es, sofern es Engel überhaupt gibt, von ihnen nicht nur ein Exemplar sondern eine Vielzahl gibt, und da sie alle als Individuen unterschiedlich sind, sehen sie auch alle unterschiedlich aus. Dieser zugegebenermaßen etwas tautologische Schluss wird noch zusätzlich unbestimmter durch die Vermutung, dass Engel ihre Gestalt auch ändern können.

Nun, spätestens hier muss gegen mich der Vorwurf der Unernsthaftigkeit erhoben werden, selbstverständlich begeben sich die Autoren niemals auf ein derartig niedriges Niveau. Natürlich liefert die Vielzahl der Zeugen von Engelserscheinungen kein einhelliges Erscheinungsbild, aber eine gewisse Tendenz kann schon festgestellt werden: so dürften Engel entgegen der traditionellen Darstellung zumeist flügellos sein, dazu von lichterfüllter Transparenz oder transparenter Lichterfülltheit, in jedem Fall von wunderbarer Schönheit. Stärker noch als die äußere Erscheinung ist ihre Wirkung auf die innere Befindlichkeit der Zeugen, nahezu alle beschreiben das Erleben intensiven Glücks, und das trotz mitunter durchaus pessimistischer Prophezeiungen, die sie bei dieser Gelegenheit erfahren haben.

Neben Berichten über derartige Sichtungen bietet das Engelbuch noch wie erwähnt eine ausführliche Abhandlung über Bibelstellen mit Engelsbezug, sowie einen kunstgeschichtlichen Abriss über die Engelsdarstellung sowie aktuelle Themen, wie etwa ein Kapitel über das sogenannte Engelswerk, über welches nicht viel Gutes berichtet wird. Kurz gesagt: Finger weg davon! Die Faszination des Phänomens "Engel" ruft offenbar auch dunkle Kräfte auf den Plan.
Ob ich nach Lektüre des Buches an Engel glaube, ist leicht zu beantworten, nämlich mit ja, denn selbstverständlich habe ich schon vorher an sie geglaubt. Andernfalls hätte ich das Buch ja nach meiner obigen These erst gar nicht zu lesen begonnen.

Bereut habe ich es jedenfalls nicht, weshalb ich es getrost allen an Engel glaubenden Menschen und solchen, die es werden wollen, empfehlen kann.

(Franz Lechner; 01/2006)


Ditte und Giovanni Bandini: "Das Buch der Engel"
dtv, 2005. 258 Seiten.
ISBN 3-423-24519-0.

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Leseprobe:

Erzengel und Todesengel

Du schönlockiger Engel des Abends,
Da nun die Sonne rührt ans Gebirg, entzünd uns
Die lichte Fackel der Liebe. Setz dir die Strahlenkrone
Aufs Haupt und lächle herab auf unser abendlich Lager!

William Blake

Gedenke des Erzengels Gabriel, wenn es donnert, und es wird dir nicht schaden. Gedenke Michaels, wenn du dich am Morgen erhebst, und es wird dir ein fröhlicher Tag beschert sein. Wenn du Uriel gedenkst, wenn es gegen den Feind geht, so wirst du ihn besiegen. Gedenke beim Mahle Raphaels, dann wird dir nie Speise und Trank ermangeln. Wenn du auf Reisen gehst, gedenke Raguels, und du wirst gute Geschäfte machen. Barachael wird dir im irdischen Gerichte helfen, wenn du seiner gedenkst. Wenn du zum Gastmahl kommst, gedenke Pantasarons, dann werden alle in deine Freude einstimmen.
Dieses hoffnungsfrohe Gebet stammt aus einer Handschrift des 9. Jahrhunderts, und hier sind, wie man sieht, sieben Erzengel aufgezählt. Die ersten drei kennt jeder, Uriel die meisten, aber bei den letzten drei schauen vermutlich auch Erzengelfestere ratlos drein. Zwar gibt es in der Bibel durchaus Anspielungen auf sieben Engel, die sich in der Nähe Gottes aufhalten, namentlich genannt werden allerdings nur die drei, mit denen auch wir Heutigen in der Hauptsache vertraut sind. Und so erklärte die Lateransynode von 745 auch ausdrücklich, es gebe für Christen nur die drei genannten Engelnamen.
In den apokryphen Texten werden wir allerdings mit mehr Namen konfrontiert. In der äthiopischen Fassung des Henochbuches, das etwa ab dem 3. Jh. v.Chr. entstanden sein dürfte, ist an einer Stelle von den vier "Angesichtsengeln" die Rede, die da heißen Michael, Raphael, Gabriel und Phanuel. Diese vier werden auch später noch erwähnt, während anderswo Uriel Phanuels Platz einnimmt. Andererseits heißt es auch von ihnen, den "heiligen Engeln, welche wachen", es gebe sechs an der Zahl.
Uriel ist einer der heiligen Engel, nämlich der über das Engelheer und den Tartarus gesetzte Engel. Raphael heißt ein zweiter der heiligen Engel, der über die Geister der Menschen gesetzt ist; Raguel heißt ein dritter der heiligen Engel, der Rache übt an der Welt der Lichter; Michael heißt ein vierter der heiligen Engel, nämlich der über den besten Teil der Menschen gesetzt ist, über das Volk Israel; Sariel heißt ein fünfter der heiligen Engel, der über die Geister, die gegen den Geist sündigen, gesetzt ist; Gabriel heißt ein sechster der heiligen Engel, der über das Paradies, die Schlangen und Kerube gesetzt ist.
Wie man sieht, sind nur fünf der Engelnamen mit den weiter oben zitierten identisch, und so gibt es auch noch weitere, von diesen abweichende Aufzählungen - wo etwa außer Raphael, Michael und Gabriel noch Chamael, Zadkiel, Amnael und Sabbathiel genannt werden, die sämtlich jeweils einem Gestirn zugeordnet werden. Danach entspricht Raphael der Sonne, Gabriel dem Mond und Michael dem Merkur.
Bei den Juden werden in einem Abendgebet die vier Erzengel genannt, wie Isaac B. Singer in seinem Roman Die Familie Moschkat einen seiner Protagonisten zitieren lässt: "Zu meiner Rechten steht Michael. Zu meiner Linken steht Gabriel. Vor mir steht Uriel. Hinter mir steht Raffael. Und über mir ist die Allgegenwart Gottes." So beschützt, kann einem kein Dämönchen etwas anhaben ...
Wie uns Christen aber eben eigentlich nur Michael, Raphael und Gabriel als Erzengel wirklich ein Begriff sind, treten sie in bildlichen Darstellungen auch nur selten zu viert auf. Dafür wurden diese drei richtig volkstümlich, und der Grad ihrer Beliebtheit lässt sich allein schon daran ablesen, wie oft Kinder nach ihnen benannt wurden und werden. Fragt man im Internet bei Google die Namen ab, so erscheint "Michael" allein bei der deutschen Suche über fünf Millionen Mal, während als Nächste Gabriel mit nur etwa 600000 und Raphael mit 200000 Einträgen erscheinen. Weit abgeschlagen ist, wie vorherzusehen war, Uriel mit nur 18000 Hits. Damit ist Michael der einsame Favorit - ganz wie der nach ihm benannte Schumi.

Michael, der Drachentöter

Michael ist mit der wichtigste Engel der Bibel, der Anführer, Oberbefehlshaber der himmlischen Heerscharen - wobei hinzugefügt werden muss, dass es an vielen Stellen eine Sache der Auslegung ist, ob mit dem "Engel des Herrn" wirklich er gemeint ist. So soll er es gewesen sein, der vom Himmel herabstieg, um Hagar in der Wüste beizustehen; er, der Abraham in den Arm fiel, als der auf Gottes Befehl hin seinen Sohn Isaak opfern wollte; er, der die Plagen nach Ägypten brachte, und wiederum er, der die Israeliten durch die Wildnis führte. Und durch ihn soll nach dem Glauben der Juden und früherer christlicher Väter Gott zu Moses aus dem brennenden Busch gesprochen haben. Es ist also durchaus verständlich, dass er als Schutzengel des Volkes Israel und der Stadt Jerusalem gilt.
Schließlich war es Michael - und das ist wohl seine bekannteste und bis zum Abwinken dargestellte Tat -, der sich mit dem aufrührerischen Luzifer anlegte und ihn samt seinen Anhängern aus dem Himmel herauswarf. Darüber hinaus gilt der Erzengel - dessen Name früher immer als "Wer ist wie Gott" übersetzt wurde, nach neueren Erkenntnissen aber mit dem hebräischen jakal "siegen, übermächtig sein" zusammenhängen soll - auch als Herr über die Seelen, als Führer und Beschützer der Geister der Toten, die auf ihrem Weg ins Jenseits den Anfechtungen der Dämonen ausgesetzt sind. Dabei bleibt der Mächtige aber immer höflich und respektvoll - und zwar sogar dem Teufel gegenüber, wie uns der Judasbrief belehrt: "Als der Erzengel Michael mit dem Teufel rechtete und über den Leichnam des Mose stritt, wagte er nicht, den Teufel zu lästern und zu verurteilen, sondern sagte: Der Herr weise dich in die Schranken."
Kein Wunder also, dass dieser strahlende Held erst im Osten und dann auch im Westen Karriere machte, ja, zum bekanntesten Engel überhaupt wurde. Er selbst trug aber sein nicht geringes Scherflein dazu bei, indem er leibhaftig auf der Erde erschien und gehörig die Werbetrommel für sich rührte - und zwar an verschiedenen Orten, von denen wenigstens drei zu einiger Berühmtheit gelangten.
Im 5. Jahrhundert lebte in Apulien, im Ort Siponte, ein Mann namens Garganus, der jede Menge Vieh besaß. Eines Tages geschah es, dass einer seiner besten Stiere, ein weißes Tier, nicht mit der Herde abends von der Weide heimkehrte, und Garganus zog mit seinen Leuten aus, ihn zu suchen. Es dauerte lange, bis ihn die Männer auf dem Gipfel eines Berges am Eingang einer Höhle entdeckten, über der plötzlich und zur Verwunderung aller ein heller Lichtschein zu sehen war, der dann wieder verschwand. Voll Zorn über den Ungehorsam des Stieres spannte Garganus seinen Bogen und wollte das Tier erschießen. Der Pfeil traf allerdings nicht sein Ziel, sondern kehrte nach Art eines Bumerangs zu dem zurück, der ihn gesandt hatte, und drang direkt ins Auge des Stierbesitzers ein. Voll Staunen und Entsetzen (und vermutlich auch ziemlich außer sich vor Schmerz) ging Garganus zum Bischof und fragte ihn nach der Bedeutung des Erlebten.
Als der Geistliche, um der Sache auf den Grund zu gehen, drei Tage lang fastete und betete, erschien ihm der Erzengel Michael in einer Vision und erklärte ihm, die Höhle auf dem Berggipfel sei sein Heiligtum. Die Sache mit dem Auge sei geschehen, weil Garganus diesen heiligen Ort entweiht habe. Nun solle ihm, Michael, dort eine Kirche errichtet und gewidmet werden.
Als man, um sich die Sache einmal näher anzuschauen, die Höhle betrat, fand man drei Altäre vor, von denen einer ein wunderschön verziertes Altartuch trug; und außerdem war da eine sprudelnde Quelle, die alle Krankheiten heilen konnte.
Michael musste trotz dieser Wunderdinge noch zwei weitere Male erscheinen, bis die Kirche dort endlich errichtet wurde. Dann aber breitete sich ihr Ruhm mit der Zeit über ganz Italien, ja über ganz Europa aus, und viele Pilger, darunter auch Kaiser Otto III. und Heinrich II., besuchten den Berg Garganus, der nun Monte Sant’Angelo genannt wurde. Und bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts feierte man am 8. Mai, dem Tag, als Michael das erste Mal erschienen sein soll, ein Fest ihm zu Ehren.
Auch heute noch, das sei ergänzt, stehen die Pilger an diesem Heiligtum des Michael Schlange, um dem Engel ihre Reverenz zu erweisen und ihre Gebete darzubringen.
Die andere berühmte Erscheinungsgeschichte ist eine Art Abklatsch dieser Legende und könnte von Rechts wegen gut und gern hier unter den Tisch fallen, wenn sie nicht ein Heiligtum beträfe, das in der Folge eines der berühmtesten und wunderträchtigsten in ganz Europa werden sollte: der Mont St. Michel in der Normandie. Hier soll der Erzengel zu Anfang des 8. Jahrhunderts dem Bischof von Avranches im Traum erschienen sein und ihm befohlen haben, den eindrucksvollen Berg aufzusuchen und an der Stelle, wo ein Stier verborgen sei, ihm zu Ehren ein Heiligtum zu errichten, das so umfangreich werden solle wie der Platz, den der Stier mit seinen Hufen zertrampelt habe. Als der Bischof diese Erscheinung als puren Traum abtat, erschien Michael ihm ein zweites und dann, diesmal recht ungehalten, ein drittes Mal, und als das immer noch nicht half, den für einen Bischof doch recht Ungläubigen zu überzeugen, drückte er ihm mit dem Daumen ein schmerzhaftes Mal auf den Schädel ein, das der Bischof bis an sein Lebensende behielt. Aber die Aktion des Engels hatte letztendlich durchschlagenden Erfolg, denn jeder weiß, wie viele Kranke sich am Stock mühsam zum Mont St. Michel schleppen, um dann aufgrund einer Wunderheilung durch Michael gesund wieder nach Hause zu marschieren. Wen erstaunt es also, dass er zum Nationalheiligen der Franzosen avancierte!
Die dritte Geschichte schließlich, die Michael großen Ruhm einbrachte, soll sich Ende des 6. Jahrhunderts in Rom zugetragen haben. Zu dieser Zeit wurde die Stadt von einer Pestepidemie heimgesucht und die Einwohner starben wie die Fliegen. Schließlich ordnete Papst Gregor der Große an, dass eine mehrtägige Prozession durch die Straßen Roms ziehen solle. Er selbst setzte sich an die Spitze des Umzuges, und am Ende des dritten Tages sahen sie auf dem Gipfel des Hadrianhügels Michael stehen, in seiner Hand ein bluttriefendes Schwert, das er gerade im Begriffe war, in die Scheide zurückzustecken. Da wusste Gregor, dass Michael der Seuche Einhalt geboten hatte, und ließ dort, wo er erschienen war, eine Kirche errichten. Das Grab des Hadrian heißt seitdem die "Burg des heiligen Engels" oder Engelsburg (Castel Sant’Angelo).
Eines seiner frühen Heiligtümer, im kleinasiatischen Phrygien, in Chonae, rettete Michael übrigens, als heidnische Einwohner der Gegend es zerstören wollten. Ihnen war das von einem Priester namens Archippos gepflegte Quellheiligtum, das sich in einer Kluft im Berg befand, ein Dorn im Auge, weil sich dort schon viele Wunder und Bekehrungen ereignet hatten - so erhielt beispielsweise eine Taubstumme ihre Sprache wieder. Da versuchten also die Heiden zunächst die Quelle dadurch zu verunreinigen, dass sie ein zweites Flüsschen zu ihr hinleiteten. Das aber weigerte sich diskret und floss zu beiden Seiten der Quelle weiter, ohne sich mit ihr zu vereinigen. Daraufhin stauten die Gottlosen zwei andere Flüsse in der Hoffnung, die Wassermassen würden das Heiligtum überschwemmen. Im letzten Augenblick, als Archippos ergeben zu Michael betend darauf wartete, dass dieses Unheil seinen Lauf nähme, erschien wie ein Blitz der Erzengel, stieß mit seinem Kreuzstab ein Loch in den Felsen, und die Wasser flossen darin ab und traten am Fuß des Berges als Heilquelle hervor. Michael aber erklärte den Anwesenden, bevor er in seinen Himmel zurückkehrte, dass jeder, der ihn selbst und die Heilige Dreifaltigkeit an dieser Stelle anriefe, von seinen Krankheiten geheilt werden würde. Am 6. September gedenkt die Ostkirche noch heute dieses Ereignisses, bei dem die Heiden (wie sich eigentlich von selbst versteht) durch die Wassermassen ums Leben kamen.
Im Buch Daniel wird ein Engel wahrlich und wahrhaftig so beschrieben, dass jeder, der ihn sähe, vermutlich vor Schreck in Ohnmacht fiele. Ob es sich bei ihm um Michael handelt - oder eher um Gabriel, wie manche annehmen -, ist nicht recht klar. Die Rede ist jedenfalls nur von einem "Mann": "Ich blickte auf und sah, wie ein Mann vor mir stand, der in Leinen gekleidet war und einen Gürtel aus feinstem Gold um die Hüften trug. Sein Körper glich einem Chrysolith, sein Gesicht leuchtete wie ein Blitz, und die Augen waren wie brennende Fackeln. Seine Arme und Beine glänzten wie polierte Bronze. Seine Worte waren wie das Getöse einer großen Menschenmenge." (Daniel 10:5ff.)
Ob nun er dieser Adonis ist oder nicht, in der Kunst jedenfalls, die ihm viel Ehre antat, wird Michael als jung und schön dargestellt, und zwar meist von einer herben, strengen Schönheit, also nicht etwa als weichlicher Beau. Auf frühen Bildern ist er weiß gekleidet, hat Flügel und hält in der Hand nur das Zepter oder die Lanze mit dem Kreuz. Später allerdings trägt er oft eine Rüstung, ein Schwert und einen Speer und einen Schild. Er hat lange Haare, die zuweilen von einem Helm bedeckt sind. In seiner Funktion als Seelenrichter und Totenbegleiter ist er mit einer Amtstracht versehen und hält eine Waage in Händen.
Am häufigsten begegnet man Michael in der Kunst allerdings im Zusammenhang mit dem Drachen, Inbegriff, Personifizierung des Bösen, des Satans, den er besiegt. In späterer Zeit wurde Michael dann in dieser Funktion leider, könnte man sagen, nach dem Misserfolg des zweiten Kreuzzugs deutlich von Georg übertrumpft, um nicht zu sagen abgelöst, der daraufhin zu dem Drachenheiligen schlechthin avancierte. Aber auch so blieben für Michael noch genug Ämter und Lorbeeren übrig, wurde er doch zum Patron der katholischen Kirche, ja sogar des deutschen Volkes, weshalb man auch vom "deutschen Michel" spricht. Darüber hinaus haben ihn sich angesichts seiner Vielseitigkeit vor allem als Heiler, Gesandter, Krieger und Friedensbringer etliche Berufsstände zu ihrem Schutzheiligen erkoren, darunter die Apotheker, Händler, Soldaten, Seeleute und Maler.
Michael wird von manchen mit dem Lebensende in Verbindung gebracht. Dass er oft mit der Farbe Blau assoziiert wird, soll zum einen damit zu tun haben und zum anderen auf sein Amt anspielen, die Bösen zu richten und sie an den Ort der Verdammnis zu führen. Seine Jahreszeiten sind Herbst und Winter, sein Festtag ist der 8. November.

Gabriel, der ernste Bote

Irgendwie wirkt Gabriel, dessen Name "Mann Gottes", "Stärke Gottes" oder aber "Gott hat sich stark gezeigt" bedeutet, ein wenig blasser als Michael. Das liegt vielleicht daran, dass ihm in der Bibel stets nur die Funktion des Boten zukommt, weshalb er nicht ohne Grund nun der Patron der Briefträger ist und Heinrich Heine ihn in einem Gedicht im "Buch der Lieder" dazu abstellt, seinen Freund Eugen von der Erde in den Himmel zu bringen, weil ihm dort als lieber Gott herzlich langweilig ist:

Du langer Engel Gabriel,
Geh', mach dich auf die Sohlen,
Und meinen teuren Freund Eugen
Sollst du herauf mir holen.


Mit so aufsehenerregenden Taten, wie den Teufel aus dem Himmel zu werfen, kann Gabriel leider nicht aufwarten. Dafür ist er aber mit Leib und Seele Bote und wird deshalb auch oft genug mit Hermes verglichen. So hat er dem Michael voraus, dass er Maria die Geburt des Jesus verkündigen durfte, was ihm eine Unmenge an Abbildungen einbrachte, auf denen er sich nun, wenn ihm daran läge, bewundern könnte und sich darüber amüsieren, wie unterschiedlich er darauf aussieht. Aber vermutlich würde er keine Miene verziehen, denn er ist ein ernster Engel, was vielleicht daran liegt, dass er immer nur höchst wichtige göttliche Botschaften auszurichten hat.
So erscheint er im Alten Testament dem Daniel, um ihm eine Vision, die dieser nicht versteht, ausführlich zu erklären. Man könnte sich fragen, warum überhaupt eine solch komplizierte Vision von einem Widder und einem Ziegenbock inszeniert wurde, wenn der Engel sich anschließend doch auf die Erde bemühen und sie deuten musste ... Jedenfalls fällt Daniel bei seinem Anblick vor Schreck in Ohnmacht, woraufhin ihn der Engel mit den Worten "Mensch versteh: Die Vision betrifft die Zeit des Endes" wieder auf die Füße stellt (Daniel 8:18).
Später erscheint "der Mann Gabriel" dem Daniel noch einmal, um ihm zu weissagen, dass der Messias kommen werde. Wer nun aber glaubt, er hätte da von einem Ereignis der näheren Zukunft gesprochen, irrt, denn die angegebenen siebzig Wochen entsprechen, so kluge Forscher, einer Dauer von 490 Jahren. So brennend eilig waren diese Botschaft und die weiteren Details also nicht. Aber Gott rechnet eben in anderen Zeitdimensionen.
Bei den Juden gilt Gabriel als Wächter der himmlischen Schätze. Da er es war, der die Geburt Christi ankündigte, gilt er seitdem auch als der Engel, der über die Geburten wacht.
Obgleich Gabriel bei uns zu Lande weit weniger punkten konnte als Michael, hat er keinen Grund zur Klage. Er ist ja, wie schon berichtet, der Paradeengel der Muslime und war Mohammeds persönlicher Schutzengel und gewissenhafter Lehrer.
Nun könnte man sich fragen, ob Michael, als Beschützer der Juden und Christen, und Gabriel als derjenige der Muslime dicke Freunde sind. Aber man kann zumindest hoffen, dass im Himmel andere Zustände herrschen als auf Erden und dort die verschiedenen Religionen nicht die Rolle spielen, die ihnen von deren fanatischen Verfechtern bei uns zugeschrieben wird.
Gabriel ist sehr oft majestätisch dargestellt, manchmal recht weiblich, in reichen Gewändern mit Krone und Lilie zum Zeichen der Reinheit. Er ist eng mit der Farbe Rot und damit auch mit dem Feuer verbunden. Zugeordnet wird er Frühling und Sommer und den reifenden Früchten. Sein Fest wird zusammen mit demjenigen des Michael am 8. November gefeiert. Aber er hat auch eine Gedächtnisfeier am 26. März.
Ein wenig zum Lächeln finden wir die Information, dass Papst Pius XII. ihn im Jahr 1951 feierlich zum Patron des Rundfunk- und Fernmeldewesens erhob.

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