Helmut W. Pesch:
"Elbisch:
Grammatik, Schrift und Wörterbuch der Elben-Sprache von J.R.R.
Tolkien"
Crash-Kurs zur Sprache
spitzohriger Ästheten
Nach
Meinung vieler zählt John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) zu den kreativsten
Autoren des 20. Jahrhunderts. Der geborene Südafrikaner mit einem Lehrstuhl für
Englisch an der britischen Eliteuniversität Oxford liebte es zeitlebens
Geschichten epischer Dimension zu erfinden und diese mit fiktiven Sprachen
auszuschmücken. Selbst Experte für Alt- und Mittelenglisch, konstruierte Tolkien
neuartige Grammatiken und Vokabeln, die er seinen zu Papier gebrachten Helden
oder Schurken in den Mund legte. 1937 veröffentlichte J.R.R.
"Der kleine
Hobbit", 1954/55 die Trilogie "Der Herr der Ringe". Beide Werke sind in
einer mythischen Welt namens
Mittelerde angesiedelt, die nebst vielen anderen
Wesen von Menschen, Halblingen,
Zwergen, Orks,
Trollen und natürlich Elben
bewohnt ist. Elben haben bei Tolkien wenig mit den aus Kindermärchen bekannten,
an Blütenkelchen nippenden geflügelten Däumlingen, den
Elfen, zu
tun. Nein, das spitzohrige Volk der Elben beschreibt J.R.R. als das edelste und
vollkommenste, das je auf Mittelerde lebte. Anmutig in Gestalt und Wesen,
verfügten sie über Tapferkeit, Weisheit und ein inniges Verlangen nach Ästhetik,
welche auch in ihre Sprachen wohlklingend Eingang fand.
Helmut W. Pesch
machte sich die mühevolle Aufgabe, ein Kompendium mit dem Titel "Elbisch:
Grammatik, Schrift und Wörterbuch der Elben-Sprache von J.R.R. Tolkien"
zusammenzustellen. Ein nicht leichtes Unterfangen, zumal Altmeister Tolkien in
all seinen literarischen Schaffensjahren recht widersprüchliche Angaben über das
elbische Idiom machte, sei es was Grammatik, Aussprache oder Dialekte angeht.
Pesch merkt im Vorwort ehrlicher Weise auch an, dass er keine endgültige
Interpretation des Elbischen abliefern kann, sondern eben nur seine
subjektive.
Alles Elbische nahm seinen Anfang irgendwo im Osten
Mittelerdes am See Cuiviénen. Dort erweckte die Königin der Valar, überirdischer
Wesen, 144 Elben. Beim Anblick des Sternenhimmels war "Ele!", ein
Bewunderungsruf, das erste überlieferte Wort der Elben. Doch schon bald
entwickelte das "Volk der Sterne" seine eigene Sprache; noch mit wenigen
Vokabeln, aber bereits sehr wohlklingend, das Quendisch. Nach 520 Jahren an den
Gestaden des Cuiviénen brach der Großteil der Elben, unterteilt in die drei
Stämme der Vanyar, Noldor und Teleri gegen Westen auf, um das Land ihrer
Erwecker zu suchen. Nur die Avari blieben zurück; ihre Sprache geriet in
Vergessenheit. 270 Jahre dauerte die so genannte Große Wanderung der Eldar, wie
sich die drei Stämme als Volk nannten. Eldarin war ihre gemeinsame Sprache. Ein
Teil der Teleri blieb auf halbem Weg zurück und wurde zu den Waldelben (Nandor)
des Düsterwaldes. Ein kleiner Teil ihres Stammes, die Lindar, zogen mit den
Vanyar und Noldor über das Meer ins Land Aman, wo es schließlich zu einer
sprachlichen Aufsplitterung in Vanyarin, Noldorin und Lindarin kam. Aus dem
Noldorin entwickelte sich das Quenya, eine der beiden in Peschs Buch
beschriebenen elbischen Hauptsprachen. Als die Noldor unter ihrem Anführer
Feanor nach 3.500 Jahren im Westen wieder nach Mittelerde zurückkehrten,
brachten sie neben einer Schrift das Quenya mit. Die in Mittelerde
alteingesessenen Elben sprachen mittlerweile ein dazu sehr unterschiedliches
Idiom, das Sindarin, die zweite von Pesch angeführte Hauptsprache. Soweit ein
kurzer Aufriss der komplexen elbischen Sprachgeschichte.
Das Quenya wird
von den Elben bei Zeremonien und in Kunst und Wissenschaft verwendet. Es klingt
äußerst melodisch, wie Gesang. Die poetisch verbrämten Sätze bestehen aus
Wörtern, die außer auf Vokale nur auf l, n, r, s, t enden, so dass der Sprecher
jedes Wort mit leicht geöffnetem Mund beenden muss, wie bei einem Lächeln. Das r
wird gerollt, das w wie im Englischen als Zwielaut gesprochen. Pluralbildungen
geschehen durch Anhängen eines i, wenn die Vokabel auf einen Konsonanten endet
bzw. durch r bei Vokalendungen. Als Uniartikel fungiert "i", c ist immer als k
zu artikulieren. Zehn Fälle stehen für die Deklination zur Verfügung. J.R.R.
Tolkien lehnte viele Elemente des Quenya dem Altfinnischen an.
Das
Sindarin dient als elbische Umgangssprache und wurde auch von Königshäusern und
Adel der Menschen verwendet. Im Unterschied zum Quenya kommen im Sindarin der
Lispellaut "th" vor bzw. so genannte Lenierungen, Abschwächungen hart
gesprochener Buchstaben, wenn sie z. B. einem Artikel nachgestellt sind.
Lenierungen sind typisch für viele keltische Sprachen wie etwa das Walisische,
an welches das Sindarin stellenweise stark erinnert. Ein Beispiel zur
Illustration: Aus "tawar" (= Wald) wird "i dawar" (= der Wald), aus "mellon" (=
Freund) "i vellon" (= der Freund). Die Mehrzahlbildung nach a und e geschieht
durch Addition eines i (Edhel = Elbe; Edhil = Elben), o und u werden durch ein y
ersetzt (Orch = Ork, Yrch = Orks).
Auf den ersten Blick mag das Elbische
noch verwirrend klingen, bei näherem Hinsehen verläuft die Grammatik jedoch nach
sehr logischen Regeln. In der über Mittelerde hinaus erfolgreichen Filmtrilogie
"Der Herr der Ringe" spricht Elbenprinzessin Arwen zu ihrem künftigen Gemahl
Aragorn Liebesgeflüster in Sindarin; auf der Leinwand in der Menschensprache
untertitelt. Pesch lässt die Eigennamen der Heldinnen und Helden des Ring-Zyklus
in seinem "Elbisch" natürlich nicht unerklärt. Arwen heißt "noble/hohe Frau",
Aragorn steht für "königlicher Mut" bzw. bedeutet Galadriel "baumbekränzte
Maid".
Zugegeben, das Elbisch-Wörterbuch hat wenig Nutzwert im
Berufsleben oder während der Reise; es sei denn, man unterhält auf unerklärliche
Weise enge Beziehungen zur
Anderswelt. Wie dem auch sei, für Freundinnen und Freunde der Ästhetik, des
Fantastischen, bleiben Quenya und Sindarin eine Fundgrube; ein
Freizeitvergnügens mit viel Kurzweil. 2004 scheint ohnehin das Jahr der Elben zu
sein, wie elf Oscars bei elf Nominierungen für "The Lord of the
Rings" beweisen.
(lostlobo; 03/2004)
Helmut W. Pesch:
"Elbisch"
Lübbe, 2003. 450 Seiten.
ca. EUR 8,-.
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Ergänzender Buchtipp:
Wolfgang Krege: "Elbisches
Wörterbuch. Nach J.R.R. Tolkien"
Nicht erst seit dem Film, in dem die
Elben im vertraulichen Gespräch das Eldarin verwenden, sind die Tolkien-Leser
fasziniert von den Sprachen, die Tolkien für seine Welt Mittelerde entwickelt
hat. Meist sind nur wenige Wörter oder Begriffe überliefert, doch für die beiden
Elbensprachen Sindarin und Quenya hat Tolkien Wortlisten zusammengestellt, die
die Rekonstruktion einer - wenn auch rudimentären - Grammatik möglich
macht.
Ein elbisches Wörterbuch mit einer Grammatik stellt ein Desiderat dar,
und es ist unentbehrlich für alle, die ganz in Tolkiens Universum eintauchen
wollen.
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