"Bilder im Dunkeln"
Höhlenkunst der Eiszeit. Die
Sammlung Wendel.
CD-ROM
Ein Archiv erzählt immer sehr viele
Geschichten. Die Hintergründe, wie Archive entstehen, sind mannigfaltig.
Inwieweit ein Archiv Bedeutung erlangt, hängt von jenen Personen ab, die sich
dem Sammeln verschiedenster Dinge verschrieben haben und diesbezüglich bereit
sind, eine Menge an Lebenszeit zu opfern. (Al Truis-Mus; 06/2004) "Bilder im Dunkeln"
Heinrich Wendel schuf ein
Archiv, das die Geschichte der künstlerischen Ursprünge der Menschheit
eindrucksvoll demonstriert. Er sah sein "Projekt" nicht als wissenschaftliche
Arbeit an, sondern widmete sich seinem Hobby jahrelang und von der
Öffentlichkeit unbeachtet in aller Stille. Als Bühnenbildner war er für viele
Opernhäuser tätig und schuf ungewöhnliche Lichtobjekte, die sich buchstäblich
auf die Bühne brannten und gefahrlos zu durchschreiten waren. Licht war für den
begeisterten Fotografen von essenzieller Bedeutung. Und gerade in Bezug auf
seine Dokumentation von etwa 3000 Dias aus über 50 Höhlen Frankreichs und
Spaniens hat sich diese Affinität zum Licht als wertvoll erwiesen. Tatsächlich
sind die Fotografien von erstaunlicher Qualität. Die Gravuren von
(hauptsächlich) Tieren, und (sehr selten) Menschen sind Bestandteil der Höhle,
und das Fehlen jeglichen Entfremdungseffektes, den Kunst oft fälschlicherweise
suggeriert, macht die Wanderung durch diese Höhlen zum großen Erlebnis. Da
Lagepläne der Höhlen die Struktur dieser Lebenswelt zeigen, kann sich der
Betrachter buchstäblich als Teil dieser natürlichen Behausungen fühlen, die den
modernen Menschen aufhorchen lassen sollten.
Heinrich Wendel interessierte sich sehr für
Geschichte und
Philosophie. Ein kleiner
Audioausschnitt aus dem Jahre 1977 belegt nachdrücklich, dass für ihn die Auseinandersetzung
mit der Höhlenkunst der Eiszeitmenschen
eine Möglichkeit darstellte, die Ursprünge der Menschheitsgeschichte für sich
zu entdecken und deren Spuren zu folgen. Der Mensch der Eiszeit zog sich in die
Höhle zurück, um dort sein Inneres im INNEREN nach AUSSEN zu richten. Die Eigenheit
der "modernen" Gegenwart, jeden Schwachsinn nach außen zu projizieren und damit
künstlerische Qualitäten zu verwässern, da im Strom auch viele faule Fische schwimmen,
die sich - ganz im Sinne von Wendel - im Licht sehen, obzwar sie dafür keinerlei
Voraussetzung mitbringen, erweist sich als prächtiger Unsinn im Vergleich zu Kunstwerken,
die im Inneren der Höhlen schwebten und dort eine Einheit zwischen Lebenswelt
und künstlerischer Projektion ergaben.
Höhlen haben etwas Geheimnisvolles an sich und gelangten nicht zuletzt durch
das
Höhlengleichnis des Plato zu "Berühmtheit". Dass Höhlen auch als Metapher
für innere Widersprüchlichkeiten im Sinne von selbstreflexiven Prozessen und Identitätssuche
gelten mögen, hat Max Frisch mit der Cowboygeschichte im "Stiller" bewiesen.
Es gibt unzählige Mythen, die sich mit Höhlen auseinandersetzen. Hinzu kommt noch
die spirituelle Komponente, da die Stille in der Höhle jene Dimension des Gebets
erlaubt, die sich nicht als pharisäerhafte Zurschaustellung präsentiert. Die Fotos
von Heinrich Wendel zeugen von dieser beruhigenden Qualität, die aus der Stille
heraus möglich ist (insofern sie nicht gestört wird).
Zwischen 1964 und 1977 hat Heinrich Wendel mit viel Aufwand und Ausdauer Höhlenkunst
fotografiert. Sein großes Ziel, alle bedeutenden Höhlen zu dokumentieren, konnte
er nicht ganz verwirklichen - es fehlen Tito Bustillo und Lascaux -, doch er schuf
eine wunderbare Gesamtschau der Motive, die Jäger und Sammler der späten Altsteinzeit,
also zwischen 35000 und 12000 Jahren vor unserer Zeit, an den Wänden ihrer Behausungen
verewigt haben. Dazu gehören
Pferde, Wisente,
Hirsche,
Mammuts und Steinböcke.
Ebenso zahlreich sind abstrakte Zeichen wie Punkte, Linien, Pfeile oder Schraffuren.
Vollständige Darstellungen von Landschaften und Menschen fehlen.
Die vorliegende CD-ROM bietet dem Interessierten die Möglichkeit,
Höhlenkunst aus der Zeit vor ihrer Entdeckung durch den Massentourismus zu
betrachten. Die Mehrzahl der dokumentierten Malereien ist heute nicht mehr
zugänglich oder durch Umwelteinflüsse oder Tourismus bereits geschädigt. Wer
also eine Reise zu nahezu unberührten Pfaden der Höhlenkunst tun will, der wird
mit dieser CD voll auf seine Kosten kommen. Sie sei dem Leser dieser Zeilen
jedenfalls absolut empfohlen!
Mit einem
Vorwort von Paul G. Bahn.
Andreas Pastoors / Gerd-Christian Weniger
(Hrsg.)
Theiss, 2004.
System: Windows 98, Windows Me, Windows 2000,
Windows XP.
ISBN 3-7831-2322-4.
ca. EUR 30,-.
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