Åke Edwardson: "Zimmer Nr. 10"
Gekürzte
Lesung von Boris Aljinovic
(Hörbuchrezension)
Ein
neuer Fall weckt alte Erinnerungen
Paula Ney wird erhängt in einem Hotelzimmer eines billigen
Stundenhotels aufgefunden. Der gefundene Abschiedsbrief könnte
sowohl eine Lebensbeichte als auch die wütende Anklage gegen
ihren Mörder sein. Eine der Hände der Toten ist mit
Farbe weiß gestrichen. All diese Details stellen die
Ermittlungsgruppe rund um Kommissar Erik Winter vor viele
ungelöste Fragen. Weitere Ungereimtheiten ergeben sich, als
man die Freundin befragt, mit der Paula Ney den letzten Abend vor ihrem
Tod verbracht hat, sowie die Eltern der Toten. Wollte Paula aus ihrem
bisherigen Leben entfliehen? Als Erik Winter den Tatort besichtigt,
wird er an einen Fall erinnert, der zwanzig Jahre zurückliegt
und für ihn von besonderer Bedeutung ist. Das Verschwinden von
Ellen Börge war der erste Fall seiner langjährigen
Polizeikarriere - und "seine erste Niederlage in einer langen Folge von
Niederlagen". Beide Fälle endeten im Zimmer Nr. 10 der
Absteige, und in Erik Winter keimen Befürchtungen auf, dass
dies die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Fällen
bleiben wird; denn egal in welche Richtung ermittelt wird, letztendlich
laufen alle Spuren und Indizien ins Leere.
In Åke Edwardsons Roman "Zimmer Nr. 10" lernen wir einen
gänzlich anderen Kommissar Erik Winter kennen: Nach zwanzig
Jahren im Polizeidienst ist er amtsmüde. Es stellt sich
für ihn die Frage, ob er langsam an den Ruhestand denken, eine
weitere Karriere anstreben oder etwas völlig Neues beginnen
soll. Einerseits liebt er seinen Beruf, andererseits nerven ihn diese
ständigen Fragereien, die unentwegten Auseinandersetzungen mit
Lügnern, das fortwährende Entscheiden zwischen "Ja
und Nein", "Schwarz oder Weiß". Neben seiner beruflichen
Desorientierung stellt sich eine ähnliche Frage auch in seinem
Liebesleben: Liebt er seine Lebensgefährtin Angela, oder ist
es nur die Gewohnheit, die sie zusammenleben lässt?
Kunst statt Eitelkeit
Boris Aljinovics Lesung bringt all diese widerstrebenden
Gefühle zu Gehör. Bereits mit den ersten Worten wird
sich der Hörer des müden Tons bewusst, den er den
Passagen unterlegt, die Erik Winter betreffen. Auch wenn er, wie im
Telefonat mit Angela, fröhlich, entschlossen und entspannt
redet, klingt hintergründig doch immer wieder diese
Müdigkeit durch - der Zwang, Entscheidungen treffen zu
müssen, scheint den für seine Hartnäckigkeit
berühmten Kommissar völlig zu überfordern.
Doch dies sind nicht die einzigen Stellen, bei denen der Sprecher zu
glänzen weiß. Wie in vielen ähnlichen
Romanen ist es nicht ein einzelner Ermittler, sondern eine Gruppe von
Polizisten, deren Leben und Ermittlungsmethoden so etwas wie eine
Rahmenhandlung bilden. Åke Edwardson nervt jedoch seine
Leser/Hörer nicht mit dem Wiederkäuen von
Personensteckbriefen. Stattdessen werden seine Figuren dadurch
lebensecht, dass sie Gefühle und wiedererkennbare
Verhaltensmuster haben. Beispielsweise klingt in diesem Roman Erik
Winter müde, teils genervt und demotiviert, hingegen sein
Kollege ruppig-schroff bis fast zur Verächtlichmachung seiner
Kollegen; dessen Gegenpol ist ein bedächtiger Mann, der so
sich anhört, als habe er Mühe, das Gesagte schnell zu
verarbeiten, dann jedoch den Hörer durch brillante
Schlussfolgerungen überrascht.
Åke Edwardson legt mit dem siebenten Roman rund um Kommissar
Winter wieder eine gelungene Mischung aus psychologischem
Porträt, spannender Handlung und interessanten Ideen vor, die
den Hörer bis zum Ende fesselt - nicht zuletzt wegen der
äußerst gelungenen Interpretation von Boris
Aljinovic, der letzthin auch mit der Lesung von Patricia
Cornwells "Gefahr" zu überzeugen wusste. Mit "Zimmer
Nr. 10" zeigt er, dass er nicht eine einmal gefundene "Masche"
ausreizt, sondern seinen Vortrag von den intertextuellen
Bezügen leiten lässt. Dies ist deshalb beeindruckend,
weil es zum einen unprätentiös, zum anderen mutig
ist. Wenn der Vortragende hinter den Vortrag zurücktritt, muss
es seine schauspielerische Leistung sein, die überzeugt. Bei
einem nicht-visuellen Medium wie einem Hörbuch ist dies
besonders schwierig, weil der Wiedererkennungswert einer Stimme im
Vergleich zu einem Gesicht oder der Mimik verschwindend gering ist,
wenn man nicht eine besonders markante Stimme besitzt wie Christian
Brückner. Boris Aljinovic ist eine
künstlerisch hervorragende Lesung gelungen. Er hat
beeindruckend unter Beweis gestellt, was ein Sprecher leisten kann,
wenn man, wie beispielsweise auch Gert Westphal, Christian
Brückner oder Ulrich
Matthes, Kunst vor Eitelkeit setzt.
(Wolfgang Haan; 10/2006)
Åke Edwardson:
"Zimmer Nr. 10"
(Originaltitel "Rum nummer 10")
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch.
Gebundene Buchausgabe: Claassen, 2006. 480 Seiten.
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Hörbuch:
HörbucHHamburg, 2006. 5 CDs, Laufzeit ca. 450 Minuten.
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