Umberto Eco: "Lüge und Ironie. Vier Lesarten zwischen Klassik und Comic"
Umberto
Eco spannt unter obigem Titel, welcher quasi den gemeinsamen Nenner darstellt,
unabhängig von einander entstandene Aufsätze zusammen. Allesamt kreisen
sie um die Sprache und ihre unterschiedlichen Funktionen und damit natürlich
auch um - falls Sie es noch nicht wissen sollten, Umberto Eco lehrt Semiotik an
der Universität Bologna - Bezeichnungen und Zeichen.
Den Anfang
macht der berühmte Roman "Die Verlobten" von Alessandro Manzoni,
den Eco mit den Instrumenten seiner Wissenschaft ausgiebig durchleuchtet. Manzoni
steht in seinem Werk der Sprache äußerst kritisch gegenüber,
verfügt im besonderen über einen scharfen Blick für ihre starke
Abhängigkeit von den Mächtigen der Gesellschaft. Umso interessanter
findet er nichtsprachliche Zeichen (Kleidung, Körpersprache etc.), deren
Verständnis von einer Gesellschaft geteilt wird, Zeichen, die in dem Roman
manchmal auf hinterhältigere Weise täuschen als das gesprochene Wort
und manchmal zu Ritualen führen, die die Mängel der Sprache beheben.
Manzoni ist ein unbestechlicher Beobachter und Analytiker; virtuos beschreibt
er beispielsweise den Reaktionsablauf der Menschen auf kollektive Katastrofen
wie die Pest
(Leugnen, Schönreden, der Neurose entspringende Ursachenforschung usw.)
und bringt Eco mit der Genauigkeit und Aktualität des von ihm dargestellten
Prozesses zu der signifikanten Aussage: Ein einziger Signifikant für ein
einziges Signifikat - das ist die Obsession, der allgemeine Massenwahn.
Im zweiten Aufsatz geht es um Zeitgenossen, Cagliostro und den Grafen Saint-Germain, die beide als berühmte Magier bzw. Scharlatane des 18. Jahrhunderts gelten. Eco beweist filologisch, dass die beiden zu Lebzeiten doch ziemlich unterschiedliche Charaktere waren, und zeigt anhand der Rezeptionsgeschichte, wie und wo es zu dieser unzulässigen Gleichsetzung gekommen ist. Vor allem Saint-Germain arbeitete übrigens selbst seiner Mythenbildung eifrig vor, indem er, wie Eco genießerisch mit alten Textstellen belegt, bei jeder einigermaßen schicklichen Gelegenheit andeutete, bereits einiges über 500 Jahre alt zu sein.
Mit der Sprache als Träger und Objekt des Komischen im Werk des Humoristen Achille Campanile beschäftigt sich Eco im dritten Essay. Einige fein ausgesuchte Leseproben des im deutschsprachigen Raum zu Unrecht wenig bekannten Campanile machen Appetit auf mehr und geben Eco die Gelegenheit, über Begriffe wie Humor und Komik zu filosofieren (natürlich mit zahlreichen Hinweisen auf historische Definitionen), damit er angesichts von Campaniles komischer Vielfältigkeit, die mit vielerlei Nuancen von allzu wörtlich Nehmen, Missverständnissen, Absurditäten, freudianischen Versprechern und dergleichen aufwartet, schließlich feststellen muss, dass eine allgemeine Theorie des Komischen weniger Sinn hat als eine Fänomenologie komischer Effekte.
Zuguterletzt
widmet sich Eco noch kurz Werk und Wesen des Comiczeichners Hugo Pratt.
Umberto Ecos in einer stilvollen, selten professorenhaften Sprache geschriebenen
Essays stellen uns die subtile Materie auf eine das Selberdenken anregende Weise
vor und machen in den ausgewählten Leseproben Lust auf ein genaueres Kennenlernen
der von Eco mitbeschriebenen Personen.
(fritz; november 02)
Umberto
Eco: "Lüge und Ironie. Vier Lesarten zwischen Klassik und
Comic"
dtv
2002
isbn: 3423308591
142 Seiten
ca. EUR 8,00.
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Alessandro Manzoni: "Die
Verlobten"
Insel Verlag 2002
900 Seiten
ca. EUR 16,00.
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