John von Düffel: "Beste Jahre"
John
von Düffel berichtet über die Schwierigkeit eines
Kinderwunschprojektes
John von Düffels Romanheld in "Beste Jahre" sinniert
tiefsinnig und humorvoll zwischen der postkoitalen
Überflüssigkeit und dem himmelhoch jauchzenden
Gefühl des zu erwartenden Vaterseins.
Die "besten Jahre" - ein vielschichtiger, komplexer und facettenreicher
Begriff. Wann hat ein Mensch seine "besten Jahre"? Woran erkennt man
sie eigentlich?
Die Jugend wird vitale Körper, Unbekümmertheit,
Aktivitätsdrang ins Spiel bringen. Oder fangen die "besten
Jahre" tatsächlich erst im Alter an, wenn die Kinder aus dem
Haus sind, man finanziell abgesichert ist und wieder mehr Zeit
für sich hat?
Darüber sinniert auch John von Düffels namenloser
Held, Anfang Vierzig und Schauspieler an einem Hamburger Theater. Er,
der früher jedem Rockzipfel hinterherjagte und seinem Ich eine
überdurchschnittlich große Bedeutung zukommen
ließ, bemerkt im Jetzt eine tiefe innere Zufriedenheit, weil "er
nichts mehr um jeden Preis wollte: Er musste nicht mehr unbedingt mit
dieser oder jeder Frau schlafen und auch nicht länger seinen
Vater umbringen. Er hatte keinen Konflikt mehr mit der älteren
Generation und noch keinen mit der jüngeren".
So weit, so gut. Doch der völlige Verlust des "Dramatischen
in seinem Leben" wirkt sich offensichtlich negativ auf seinen
Beruf aus. Es gibt Tage, da absolviert er seine "öffentliche
Seelengymnastik" nur noch mit Mühe.
Die Dramatik stellt sich jedoch schneller ein, als er denkt.
Auslöser ist der Zuschnitt der neuen Wohnung, die er mit
seiner ebenfalls schauspielernden Frau Lisa bezieht. Beide stellen
fest, dass man dem "zusätzlichen Gästezimmer"
durchaus noch eine andere Funktion zukommen lassen könnte. Und
als seine Frau ihm offenbart: "Du wirst Vater",
werden die spannungsarmen Szenen ihrer Ehe fortan ordentlich
durcheinandergewirbelt.
Orwell'scher Vaterwerdungs-Prozess
Aber ganz so einfach und unspektakulär ließ sich
dieser Zustand nicht herbeiführen.
Der Autor lässt seinen Helden von den Bemühungen der
beiden Eheleute berichten, endlich den erwünschten Nachwuchs
zu bekommen. "Wir manipulierten die
Biologie
nach unserem
Bilde, indem wir in unseren fruchtbarsten Jahren künstlich
verhüteten, um in unseren beinahe unfruchtbaren Jahren
künstlich Kinder zu zeugen."
Das Ehepaar besucht ein "Zentrum für Kinderwunschbehandlung",
schlägt sich fortan mit solch fürchterlichen Namen
und Kürzeln wie ICSI (Intracytoplasmatische Spermieninjektion)
oder IVF (In-vitro-Fertilisation) herum und diskutiert über
veritable Empfängnisverhinderer, Hormon-Manipulation,
Mehrstufenplan und Spermiogramme.
Diesen fast Orwell'sche Züge annehmenden
"Vaterwerdungs-Prozess" beschreibt von Düffel nichtsdestotrotz
wunderbar leicht, mit jeder Menge Humor, Charme, aber auch tiefgehenden
Selbstreflektionen seines Helden. Der Autor überzeugt den
Leser auf durchgängig hohem Niveau von den Schwierigkeiten
eines späten Kinderwunsches, den genetischen
Demütigungen und der Leere einer beginnenden Mittlebenskrise.
Einen zusätzlichen treibenden Spannungsbogen und
überraschenden Richtungswechsel der Erzählung
erreicht der Autor mit dem Auftauchen des besten Freundes seines
Protagonisten - Hans-Christian Meyerdierks, genannt "HC". Deren
gemeinsame Erlebnisse in ihren "wilden Jahren", kurz nach dem Mauerfall
in Stendal, spielen eine entscheidende Rolle für die weitere
Romanhandlung. Diese Erinnerungen gehören zu den
großartigsten und humorvollsten Passagen des Romans. Hier ist
von Düffel ein wunderbarer und scharfsinniger Einblick in die
damalige epochale Umbruchsstimmung gelungen.
Mörderischer Fertilisations-Seitensprung
"HC", der gleichfalls einen Parcours durch Kinderwunsch-Therapien
absolviert hat, sorgt dafür, dass die Geschichte mit einem
"mörderischen Fertilisations-Seitensprung" endet und im
menschlichen Zeugungsprozess ein gerechtes Urteil gesprochen wird.
Temporales Rahmenkonstrukt der Erzählung sind Lisas vierter
bis fünfter Schwangerschaftsmonat. Von hier aus gleitet John
von Düffel in verschiedene Ebenen der Vergangenheit seines
Protagonisten. Der Roman wechselt jedoch nicht nur mehrfach seine
Zeitebenen, sondern auch die Erzählperspektive und seinen
auktorialen Erzähler. Der Autor selbst erklärt sich
dazu: Zunächst mal habe ich mich ganz klar
entschieden, die Geschichte zu erzählen in der Art des
epischen Abstands, in der dritten Person, weil ich auch wollte, dass
eine Art Selbstdistanz kenntlich wird. Ich habe aber auch gemerkt, dass
es in dem Buch viele Momente gibt, emotionale Momente, wo der
Erzähler wieder gezwungen wird, Ich zu sagen, nachdem er lange
denkt, er hat das schon hinter sich, dieses ständige Ich-Sagen
und Ich-Schreien und auf-sich-aufmerksam-Machen. Deswegen kommt er vom
Abstand immer wieder in die Nähe."
In besonders emotionalen Augenblicken verfällt sein Held gar
in die 2. Person oder berichtet in der Wir-Form. Diese Wechsel erfolgen
allerdings harmonisch und werden vom Leser keineswegs als
störend empfunden. Es sind Stilmittel des Autors, um die
multiplen Persönlichkeiten und Rollen des Protagonisten zu
verdeutlichen.
Vater werden ist (nicht) schwer ...
So flackert letztendlich die verloren geglaubte Dramatik von John von
Düffels Held nicht nur, sondern sie lodert bereits im Verlauf
"seiner Schwangerschaft" geradezu lichterloh auf. Womit gleichzeitig
der erste Teil von Wilhelm
Buschs berühmtem Spruch "Vater
werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr" als "nicht
mehr zeitgemäß" widerlegt wäre. Denn "damals
habe man [noch] verzweifelt nach einer
Fortpflanzungsverhinderungsmedizin gerufen, heute dagegen (...) liege
man vor einer hochtechnisierten
Fortpflanzungsermöglichungsmedizin auf den Knien",
räsoniert der Erzähler.
Stellt sich am Ende nur noch die Frage nach autobiografischen
Zügen des Romans. Auch wenn der promovierte
Erkenntnistheoretiker John von Düffel auf der ersten Seite
seines Romans von "frei erfundenen Personen" spricht, hat er
offensichtlich trotz alledem eine Art Alter Ego geschaffen. So ist der
Protagonist wie sein literarischer Erzeuger Anfang 40. Er lebt wie
dieser in Bremen und arbeitet in Hamburg am Theater. Auch hat die
Hauptfigur ihr erstes Theaterengagement in Stendal, wo auch von
Düffel Anfang der 1990er-Jahre arbeitete. Und auch von Düffel ist vor kurzem Vater einer Tochter geworden, die, so
der Autor, jedoch auf natürlichem Weg gezeugt wurde.
Auf jeden Fall ist John von Düffel ein genauer Beobachter und
souveräner Erzähler. Mit seinem Roman, der es
immerhin auf die
Liste der für den "Deutschen Buchpreis 2007" nominierten
schaffte, ist ihm ein wunderbares Porträt eines Mannes in den
"besten Jahren" gelungen. "Beste Jahre" ist ein großartiges
Buch über das Älterwerden sowie eine
einfühlsame Geschichte zweier Menschen, die jahrelang alles
getan haben, um Schwangerschaften
zu verhüten, und nun alles dafür tun, ein Kind zu bekommen.
(Heike Geilen; 11/2007)
John von Düffel: "Beste Jahre"
Gebundene Ausgabe:
DuMont Buchverlag, 2007. 256 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010.
Buch
bei amazon.de bestellen
Der
als Theater- und Filmkritiker, Dramatiker und
Übersetzer tätige John von Düffel wurde am
20. Oktober 1966 in Göttingen geboren.
Für sein Erfolgsdebüt "Vom Wasser" (1998) wurde er u.
a. mit dem
"Aspekte-Literaturpreis" und dem "Ernst-Willner-Preis/Klagenfurt"
ausgezeichnet. Darüber hinaus erschienen von ihm die Romane
"Zeit des
Verschwindens" (2000) und "Ego" (2001). Für seinen Roman
"Houwelandt"
(2004) wurde er mit dem "Nicolaus-Born-Preis" ausgezeichnet. Zuletzt
veröffentlichte er 2006 die Erzählung "Hotel Angst".
Weitere Bücher des Autors
(Auswahl):
"Wovon ich schreibe"
Worauf kommt es im Leben an? Am Ende sind es die gleichen Dinge, die in ein
gutes Buch gehören. Und wie meistert man das Leben? Mit allem, was auch zum
Schreiben eines Romans gehört.
John von Düffel ist ein dem Leben zugewandter Schriftsteller. Seine Themen,
Figuren und Geschichten verfolgt er über den Rand der Buchseite hinaus. In persönlichen
Beobachtungen macht er sich nun auf die Suche nach den vielfältigen Berührungspunkten
von Literatur und Wirklichkeit, er verknüpft Leben und Schreiben. Die Kunst,
Ich zu sagen, ist auf beiden Feldern gefragt, ebenso der Umgang mit Familie, die
Bewegung, die verschiedenen Formen von Zeit. Und erstaunlich viele
Deutungsmuster aus der Literatur lassen sich auf den ganz privaten Alltag übertragen.
Was John von Düffel gelingt, ist nicht weniger als eine Poetik des Lebens. (DuMont)
Buch
bei amazon.de bestellen
"Goethe ruft an"
Es gibt zwei Sorten von Schriftstellern: die strahlenden Zauberer und
die erfolglosen Zweifler.
Der Erzähler von John von Düffels Roman gehört zweifellos zu den Erfolglosen.
Seit Jahren schon sitzt er "an etwas Größerem".
Doch er hat einen Förderer:
Goethe. Der heißt
natürlich nicht wirklich so - doch wenn irgendjemand heute Goethes Format hat,
dann er. Ein Klassiker zu Lebzeiten, ein Literaturgott. Seine Lesungen gleichen
Messen. Oder Rockkonzerten.
Goethe überredet den Freund, ihn bei einer Veranstaltung in der Lausitz zu
vertreten. Seine Assistentin bringe ihm den Ordner mit den Unterlagen gleich
vorbei, der alles enthalte, was zum erfolgreichen Schreiben nötig sei. Aber
Vorsicht: Es ist sein einziges Exemplar.
So kommt der Erzähler in den Besitz der Goethe-Formel. Und macht gleichzeitig
die Bekanntschaft von Frau Eckermann. Sind Formel und Frau bei ihm in guten
Händen?
"Goethe ruft an" erzählt die ebenso rasante wie charmante Jagd nach dem
Geheimnis des Erfolgs - und nähert sich darin auf augenzwinkernde Weise dem
Schnittpunkt von Lesen
und Leben. (DuMont)
Buch
bei amazon.de bestellen