Vito Bianchi: "Dschingis Khan"


Sehr informative und spannend verfasste Biografie

Mythos Dschingis Khan: die Faszination, die von dem Mann ausgeht, der die zahlreichen nomadisierenden Mongolenstämme einte und ein Weltreich schuf, ist bis heute ungebrochen.
Dabei sieht es viele Jahre lang schlecht aus für den Spross von königlichem Geblüt. Temüdschin, so Dschingis Khans Geburtsname, verliert als Kind seinen Vater und muss in den folgenden Jahren ständig vor rivalisierenden Stammesverbänden fliehen. Es scheint wie ein Wunder, dass er die ständigen Verfolgungen überlebt. Kaum erwachsen, heiratet er - und verliert seine junge Frau an einen konkurrierenden Stamm. Auf abenteuerliche Weise sammelt er Kampfgenossen um sich und gewinnt seine Frau zurück. Temüdschins unerschütterlicher Mut und sein taktisches Geschick bringen ihm mit der Zeit immer mehr Verbündete ein, auch wenn es häufig zu Rückschritten kommt, weil enge Bundesgenossen ihm überraschend in den Rücken fallen oder sich eifersüchtig von ihm abwenden und selbst versuchen, möglichst viele der verfeindeten Mongolenstämme um sich zu scharen. Denn Temüdschin ist durch seine Geburt keineswegs zum Anführer der Mongolen prädestiniert.

Es sind die Chinesen mit ihrer raffinierten Spaltungspolitik, die Temüdschin schließlich immer mehr Verbündete zutreiben. Immer wieder haben die chinesischen Herrscher Tartaren und Mongolen aufeinander gehetzt, und auch Temüdschin hat unter den Tartaren gelitten. Nun gelingt es ihm, sie auszuschalten. Mit der Zeit bleiben seinen Feinden innerhalb der mongolischen Stämme nur die Optionen, sich ihm anzuschließen oder blutig unterzugehen. Temüdschin und seine Krieger kennen keine Gnade mit Unterlegenen, allenfalls junge Frauen haben eine Chance zu überleben: als Bräute der mongolischen Krieger.

Teile Chinas werden tributpflichtig. Temüdschin alias Dschingis Khan ist nun der Anführer praktisch aller bedeutender Mongolen- und weiterer Nomadenstämme. Er zieht nach Mittelasien und verheert zahlreiche muslimische Städte, darunter Samarkand und Buchara. Bis nach Indien hinein ziehen einige seiner Heerführer.

Vermutlich stirbt Dschingis Khan an den Folgen eines Sturzes vom Pferd, ein schmählicher Tod für einen Mongolen! Seine Nachfolger werden Russland erobern und Europa in Angst und Schrecken versetzen.

Vito Bianchi hat eine spannende und detaillierte, möglichst eng an die verlässlichsten Quellen angelehnte Biografie des Mongolenkhans verfasst. Bestehen Zweifel an der historischen Berichterstattung, treten Lücken auf oder widersprechen die Quellen einander, so diskutiert er diese und zeigt das wahrscheinlichste Szenario auf.

Der Autor zeichnet nicht nur Dschingis Khans wahrlich abenteuerliche, fast unglaublich anmutende Vita nach, sondern er macht dem Leser auch die religiösen Ideen der mongolischen Nomaden verständlich, lässt sich doch manche Handlung des Herrschers nur aufgrund des Schamanenglaubens nachvollziehen; umso erstaunlicher, dass sich Dschingis Khan, auch das arbeitet Bianchi sorgfältig heraus, gegen Ende seines Lebens dem Taoismus zuwandte. Darüber hinaus lernt der Leser die komplizierte Stammesstruktur und die destruktiven Rivalitäten innerhalb des mongolischen Volkes - wenn man es denn so bezeichnen darf - kennen, mit denen Dschingis Khan konfrontiert war, und die er überwinden musste.

Bianchi erläutert zudem ausführlich die Taktik der Chinesen den gefährlichen Nomaden gegenüber. Sehr drastisch, selbst wenn man wie Bianchi die Übertreibungen mancher Quellen berücksichtigt, lesen sich die Beschreibungen der Schlachten und die damit einhergehenden Gräueltaten, die freilich zu den Gepflogenheiten der asiatischen Nomaden gehörten.

Vito Bianchi ist es gelungen, eine Biografie zu erstellen, die zugleich eine hohe Informationsdichte besitzt und sich als packende Lektüre erweist. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass Dschingis Khan den weiteren Verlauf der Geschichte durchaus dramatisch beeinflusst hat und es sich lohnt, sich mit dieser Figur vertraut zu machen, kann man das Buch sehr empfehlen, zumal es, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Abbildungen von Kunstwerken aus Dschingis Khans Zeit, ansprechend gestaltet ist.

(Regina Károlyi; 07/2007)


Vito Bianchi: "Dschingis Khan"
Aus dem Italienischen von Uwe Ludwig.
Patmos, 2007. 270 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Vito Bianchi, Professor an der Universität Bari, Historiker und Archäologe, zählt zu den namhaften Mittelalterforschern Italiens und beschäftigt sich vor allem mit den weltweiten Ost-West-Beziehungen unserer Geschichte.

Noch ein Buchtipp:

Galsan Tschinag: "Die neun Träume des Dschingis Khan"

Neun: die heilige Zahl der Nomaden. - Galsan Tschinag erzählt in diesem außerordentlichen historisch-psychologischen Roman mit archaischer Sprachgewalt das Leben des Dschingis Khan: In neun Tag- und Nachtträumen blickt der sterbende Weltherrscher zurück auf seine Erfolge und seine Niederlagen, auf seine Hoffnungen und seine Ängste.
Längst ist Dschingis Khan ein Mythos geworden, in der Mongolei wird der "ozeangleiche Khan" noch heute fast als Gott verehrt. Er starb im Jahr 1227, nicht durch Feindeshand, sondern - für einen Reiterfürsten schmachvoll - nach einem Sturz vom Pferd. Er, den seine Diener noch zur letzten Schlacht tragen, versinkt in Fieberträumen von Krieg, Verrat und Mord - Bilder, in tiefes Rot getaucht. Sein Blick geht nach innen, denn "auch die tausendjährige Eiche hat eines Tages mit dem end- und sinnlosen Weiterwuchern in die Ungewissheit aufzuhören". Erinnerungen an seine Kindheit werden wach, an seine Getreuen, an seine Frauen und an die Liebe, die er empfunden hat: ein Weltenbeherrscher am Ende seines Lebens, getrieben von Halluzinationen, bekenntnisbereit, aber nicht sentimental, unerbittlich auch gegen sich selbst: "Jeder Tropfen Blut, geflossen über den Rand der Kelle, jede Handvoll Asche, geflogen über den Rand der Schaufel, jeder Armvoll Fleisch und Knochen, gerutscht über den Rand des Troges - jedes anderen zugefügte Leid musste auf meinem Weg gelegen und auf die Stunde der Vergeltung gewartet haben ..." (Insel)
Buch bei amazon.de bestellen