Erika Mann: "Wenn die Lichter ausgehen"
Geschichten aus dem Dritten Reich
Die unterschätzte Mann
Im deutschen literarischen Kosmos gibt es, was die Familie Mann betrifft, eine
festgefügte Hierarchie. Da ist zuerst der "Zauberer" Thomas Mann, der nicht
nur mehrere Bestseller schrieb, den
Literaturnobelpreis erhielt
und Germanistikseminare bis zum heutigen Tag dominiert, ein Mann, dessen Hauptwerke
sämtlich und das oft mehrmals verfilmt wurden. Dann kommt sein Bruder
Heinrich,
ein Mann, bei dem einem immer die Silbe "Un" einfällt, wegen seines Klassikers
"Der Untertan", wegen seiner Erzählung "Professor Unrat", die ihn unsterblich
machte, weil in dessen Verfilmung Marlene Dietrich mitspielte - und wegen aller
möglichen unmöglichen und ungebührlichen Ansichten und Handlungen, deren schwerwiegendste
wohl sein Liebäugeln mit dem Stalinismus war. Als nächstes Klaus Mann, der älteste
Sohn des Zauberers, Autor des "Mephisto", der ja dank
Klaus Maria Brandauer
auch ein Filmerfolg wurde, durch frühen Selbstmord und Drogensucht mit einer
gewissen Seelenschwärmer-Romantik für Anhänger der Verlorenen Generation behaftet.
Dann kommt Golo Mann, der bedeutende Historiker, dann Elisabeth Mann, das sympathische
Nesthäkchen, Wissenschaftlerin und Autorin einer lesenwerten Autobiografie,
dann Michael Mann, der begabte Musiker etc.
Ganz am Ende des Spektrums kommt dann Erika Mann. Nicht, weil es ihr an Talent,
Ausstrahlung und Engagement gefehlt hätte, nein. Und doch wird sie in den zahlreichen
Biografien, die um den Literaten-Clan der Manns kreisen, trotz starken Familiensinns
und Einsatzes für ihre Eltern immer wieder als schwarzes Schaf der Familie empfunden,
als Spaßbremse, als hohle Emanze, als Großzicke mit Oberlippenbart etc. Ganz
unschuldig wird Erika Mann an diesen ungerechten Karikaturen nicht gewesen sein.
Hatte sie sich schließlich in den Roaring Twenties vor allem der Genusssucht
hingegeben, war Rennfahrerin, hing auf Partys ab, dröhnte sich mit Drogen zu
und zeigte lange keine Anstalten dazu, den
genialen Genen, die in ihr schlummerten, gerecht
zu werden. Als sie dann Anfang der Dreißiger Jahre politisch wurde und früh
und entschlossen gegen die Nazis vorging, färbte der Hohn der Nazi-Propaganda
auf sie ab, die sie u.a. als "politische Gebrauchsdirne" bezeichnete.
Aus heutigem Blickwinkel rauben
einem Weitsicht und Mut dieser Frau den Atem. Bis 1936 in Europa zu touren und
mit ihrem Kabarett "Die Pfeffermühle" den Nazis vor der Nase herumzutanzen hat
etwas von Todesverachtung. Die Sketche, die dabei auf die Bühne kamen, waren
heftigste nazifeindliche Propaganda, bei der Erika Mann Platitüden trällernd als
SS-Mann mit Peitsche auf die Bühne stiefelte, um das Dritte Reich mit den
Mitteln des politischen Theaters vorzuführen. Auch wer in ihrem 1940 in New York
erschienenen Buch "Wenn die Lichter ausgehen" liest, erkennt aus den dort
versammelten zehn Geschichten ganz klar, was auf Deutschland und die Welt
zukommt. Die ganze Bestialität des Nazi-Regimes ist dort sehr früh sehr klar
dokumentiert. Es sind zehn kurze Ausschnitte aus dem Leben normaler deutscher
Bürger am Ende der Dreißiger Jahre, die auf verschiedensten Ebenen die
Schattenseiten der neuen Zeit kennen lernen, dazu schweigen, mitmachen oder sich
auch mehr oder minder stark dagegen auflehnen.
Wer unvorbereitet das Buch
zu lesen beginnt, wird erst stocken, denn offenbar handelt es sich hier um
Propagandaliteratur. Die Darstellung der Menschen erscheint eindimensional,
zielt immer darauf hin, einen politischen Streitpunkt darzustellen, und
Menschen, die positiv über Nazideutschland denken könnten, zu belehren und zu
warnen. Die Einarbeitung tatsächlicher Artikel aus dem "Völkischen Beobachter"
oder von Ausschnitten aus einer Rede Heinrich Himmlers wirkt mitunter
mechanisch, wenn sie in einem Dialog zwischen Mann und Frau wortwörtlich
wiedergegeben werden. Bald aber gibt man als Leser seine Skepsis auf, denn man
spürt: Was man erfährt, ist authentisch und akribisch erarbeitet. Man liest hier
Dinge über das Dritte Reich, auf die man sonst heute nur mehr sehr selten
stößt.
Wir befinden uns nämlich in dem Dilemma, dass die heutige Welle der Holocaust-Literatur
zum Großteil von Menschen verfasst ist, die lange nach dem Zweiten Weltkrieg
geboren sind und nur mehr reduzierte Kenntnisse der Quellen aufweisen. Die hautnahe
Erfahrung, die Erika Mann in den Dreißiger Jahren in Deutschland gewinnen konnte,
ist im Vergleich dazu unendlich wertvoll. Die Art der Darstellung, die berichteten
Vorfälle und Verhältnisse sind belehrender als vieles, was man heute zu dem
Thema lesen kann. Die Entscheidung, hier scheinbar wahllos Bürger einer Stadt
herauszugreifen, gewährt uns Einblicke in die Gefühlswelt von SA-Männern oder
Gestapochefs genauso wie in die von Unternehmern, Angestellten, Bauern, Wirten,
Journalisten, Priestern oder Ärzten. Das Regime hat auf alle einen Einfluss,
und je nachdem, wie man sich dazu stellt, wird man von der Staatsgewalt zertreten
oder kann sich durchlavieren. Wirklich gut geht es dabei keinem. Man erlebt
als Leser die erdrückende Macht des
Faschismus und die beschränkten Möglichkeiten,
sich ihm zu entziehen. Im Laufe des Buches erfährt man glaubwürdige und ergreifende
Menschenschicksale. Dabei steigert sich dann auch der literarische Impetus bis
zur letzten Geschichte hin, der Torpedierung eines Flüchtlingsschiffes, die
der Erzählkraft des Vaters oder Bruders in nichts nachsteht. Hier ist Erika
Mann ganz in der Literatur angekommen und bringt das Buch mit großer Erzählkunst
nach größter Anspannung des Lesers zu einem berührenden Ende.
Das ausgezeichnete Nachwort hat die
Göttinger Professorin für neuere deutsche Literatur, Irmela von der Lühe,
geschrieben, deren äußerst lesenswerte Biografie Erika Manns das ideale
Begleitbuch zu diesem Buch darstellt. "Wenn die Lichter ausgehen" wieder neu zu
übersetzen und aufzulegen ist ein wichtiger Schritt zur literarischen
Ehrenrettung Erika Manns, die noch einige sehr interessante Bücher verfasst hat.
Die Kindergeschichte "Stoffel fliegt übers Meer" wurde unlängst neu aufgelegt.
Spannende und launige Reiselektüre ist auch ihr gemeinsam mit Lieblingsbruder
Klaus verfasster Bericht ihrer Weltumquerung 1927, der einen Hauch der Roaring
Twenties und Hemingway in die trübe Stube bringt.
(Berndt Rieger; 01/2005)
Erika Mann: "Wenn die Lichter
ausgehen"
Deutsch von Ernst-Georg Richter.
Rowohlt, 2005. 288 Seiten,
mit 11 Zeichnungen.
ISBN 3-498-04496-6.
ca. EUR 20,50.
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Erika Mann wurde am 9. November 1905
in München geboren. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin und Journalistin.
Anfang 1933 gründete sie in München das Kabarett "Die Pfeffermühle"; wenige
Wochen später ging sie mit der gesamten Truppe ins Exil. Ab 1936 lebte sie überwiegend
in den USA, als Vortragsrednerin und Publizistin. Während des Zweiten Weltkriegs
wirkte sie u. a. an den Deutschland-Programmen der BBC mit und war Kriegsberichtserstatterin
für die Alliierten. 1952 kehrte sie mit den Eltern zurück nach Europa. Erika
Mann starb am 27. August 1969 in Zürich.
Weitere Bücher von Erika Mann:
"Stoffel fliegt übers Meer" (Ab 10 J.)
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Erika Mann, Klaus Mann: "Das Buch von der Riviera"
Sie waren jung, verwöhnt und berühmt. Als Klaus und Erika Mann einen Reiseführer
über die Riviera schrieben, war ihnen öffentliches Interesse sicher. Mit sichtlichem
Vergnügen berichten sie aus dem abenteuerlichen Marseille, dem mondänen Cannes
und natürlich aus Monte Carlo. Das Ziel der beiden: Mit möglichst wenig Geld
möglichst aufwändig leben, ein Vorhaben, das im Frankreich des Jahres 1931 scheinbar
mühelos umsetzbar war.
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Ergänzende Buchtipps:
Irmela von der Lühe: "Erika Mann. Eine Biografie" (S. Fischer)
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Helga Keiser-Hayne: "Erika Mann und ihr politisches
Kabarett 'Die Pfeffermühle' 1933-1937"
Texte, Bilder, Hintergründe.
Sie feierte Premiere noch in München Anfang Jänner 1933, doch schon wenige Wochen
später musste sie ins Exil gehen: die "Pfeffermühle", eine Kabarett-Truppe um
Erika Mann und Therese Giehse. In über tausend Vorstellungen auf den Kleinkunstbühnen
der Schweiz, Hollands, der Tschechoslowakei und schließlich der USA spielte
die "Pfeffermühle" ihre politisch-satirischen Revuen. Helga Keiser-Hayne erzählt
und dokumentiert mit vielen Bildern und Originaltexten die Geschichte dieser
wohl erfolgreichsten Theaterunternehmung der antinazistischen Emigration. (Rowohlt)
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Armin
Strohmeyr: "Klaus und Erika Mann. Eine Biografie"
Porträt einer
geschwisterlichen Symbiose.
Sie schienen lange Zeit unzertrennlich, traten
als "literarische Zwillinge" auf und faszinierten das Publikum mit ihren frechen
Texten. Erika löste sich zunehmend aus der engen geschwisterlichen Bindung, war
Mitbegründerin des legendären Kabaretts "Die Pfeffermühle", arbeitete als
Kriegsberichtserstatterin und schrieb Kinderbücher. Klaus Mann wandelte sich vom
Dandy und Ästheten zu einem der kritischsten Autoren seiner Zeit.
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