Albert Drach: "Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum"
"In dem sehr zweifelhaften Schatten eines sogenannten Zwetschkenbaumes
saß ein Mann, der hieß auch Zwetschkenbaum, aber er war es nicht."
Gleich im ersten Absatz
wird der Leser sozusagen voll ins Geschehen gestoßen und erfährt das Wichtigste,
nämlich dass der Jude Schmul Leib Zwetschkenbaum unter einem Baum gleichen Namens
aufgefunden und des Obstdiebstahls bezichtigt
wird. Der einfältige Talmudschüler darf sein Leben nicht nach seinen Vorstellungen
leben, sondern wird
von den Gesetzen,
bzw. der Interpretation dieser,
eingeholt. Nicht ganz geklärt werden kann, ob er es nicht versteht sich zu wehren
oder sich einfach wehrlos seinem Schicksal fügt. Dieses Buch und der darin verwendete
Protokollstil zeigt auf erschreckende Weise, wie Menschen aufgrund falscher
Verdächtigungen und pseudoobjektiver Protokollführung methodisch in den Abgrund
getrieben werden. Einmal in diesen Strudel aus beschämenden Verhören und haltlosen
Vorwürfen gelangt, gibt es für Zwetschkenbaum kein Entrinnen mehr.
Es erscheint,
als hätte sich alle Welt gegen ihn verschworen. Kaum tritt er irgendwo auf den
Plan, werden ihm böse Absichten unterstellt. Auch seine Identität und die Familienverhältnisse
führen anfänglich zu Verwirrungen und werden später vom Protokollanten mit bissigen
Kommentaren versehen, sodass ein ziemlich verzerrtes Bild erscheint und der Leser
sich im Zwiespalt befindet, wem nun eigentlich zu glauben sei, Zwetschkenbaum
oder dem Protokollanten.
Auch Gott eilt dem gläubigen Juden nicht zu Hilfe, der doch einen Mittelpunkt seines
Lebens darstellt. Zwetschkenbaum wird immer wieder heimgesucht von Visionen, deren
zentrales Thema die Frage nach einem adäquaten Verhalten eines Gläubigen im Angesicht
des Bösen ist. Doch eine befriedigende Lösung ist nicht in Sicht. Diese Visionen,
in denen es auch um die Frage geht, ob eine Übernahme der Schuld trotz Schuldlosigkeit
gerechtfertigt ist, werden drei gelehrten Rabbinern zur Begutachtung vorgelegt.
Die Ergebnisse sind konträr, und der Ansatz des dritten Rabbi, der Schmul Leib
Zwetschkenbaum Schuld zuweist ohne wirklich schuldig zu sein, aber darauf hinweist,
dass Zwetschkenbaum am jüdischen Schicksal trage, ist für die
Rezensentin zutiefst erschütternd,
beängstigend und auch zynisch.
Drachs
Protokollstil wirkt in vielen Passagen zynisch und gegen seinen naiven Helden
gerichtet. Was anfangs sehr gewöhnungsbedürftig und schwierig zu lesen erscheint,
macht mit der Zeit geradezu süchtig, und es fällt schwer, den Roman aus der Hand
zu legen. Zu sehr beeindrucken seine Wortspielereien und Zweideutigkeiten, sowie
einerseits der Zwetschkenbaum als Pflanze, die durchaus geschätzt wird und deren
Früchte begehrt sind, andererseits Zwetschkenbaum, der schon ob seines Namens,
der unweigerlich jüdischer Herkunft sein muss, geschmäht wird. Auch der krumme
Wuchs des Protagonisten birgt offensichtlich einen Hinweis auf dessen krummen
Lebensweg in sich.
Fazit:
Eine
Schicksalsgeschichte, die durch unmenschliche Bürokratie und mangelndes Interesse
an objektiver Wahrheitsfindung einen Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandelt.
Eine Satire, die stellenweise sogar komisch wirkt und doch zutiefst bedrückt,
da eine gewisse Realitätsnähe kaum verleugnet werden kann.
Der bereits 1939 entstandene Roman des am 27. März 1995 verstorbenen Rechtsanwalts
Albert Drach hat nichts an seiner Aktualität verloren und wurde von der
Rezensentin auch sprachlich
als absolutes Meisterwerk empfunden.
(Margarete Wais; 01/2003)
Albert Drach: "Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum" Ein weiteres Buch des Autors: Ergänzender
Buchtipp:
dtv, 2002. 270 Seiten.
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"Das Goggelbuch"
Werkausgabe Band 7/I. Herausgegeben und
mit einem Nachwort von Gerhard Hubmann und Eva Schobel.
Albert
Drachs grandiose Erzählung "Das Goggelbuch", die 1942 in Drachs prekärem Exil in
Südfrankreich entstand, verknüpft einen faustischen Pakt mit dem
Don-Juan-Stoff. "Das Goggelbuch" spielt zur Zeit des spanischen Dichters Tirso de
Molina, der 1630 mit seinem Drama "Der Spötter von Sevilla und der steinerne
Gast" den archetypischen Wüstling seinen Gang durch die Literaturgeschichte
antreten ließ. Xaver Johann Gottgetreu Goggel ist ein braver Diener
verschiedener Herren. Er buckelt nach oben und tritt nach unten, mit Vorliebe
seinen ihm treu ergebenen Hund Wonnemund. Goggel mordet, raubt und vergewaltigt.
Eines seiner Opfer "wimmert wie eine gequetschte Katze, und er lässt es gerne
gelten, denn die Liebe ist ein Gemetzel für den deutschen Mann, und wehe der
Unterliegenden". Die Erzählung treibt ein diabolisches Spiel mit der Tradition
des "Besserungsstücks" und kann mit Fug und Recht als einer von Drachs besten
Texten gelten. Erstmals in einer sorgfältigen edierten Textgestalt, mit einem
Nachwort, einem Stellenkommentar sowie Faksimiles aus den Originalhandschriften.
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Eva Schobel:
"Albert Drach. Ein wütender Weiser"
Als der Schriftsteller
und Anwalt Albert Drach (1902-1995) im Jahr 1988 mit dem "Georg-Büchner-Preis"
der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" ausgezeichnet wurde, war die
Überraschung auch in den gewöhnlich gut informierten Kreisen der literarischen
Szene groß. Albert Drach, wer war das? Ein Mann, der in den 1960er und 1970er-Jahren mit Romanen wie "Das große
Protokoll gegen Zwetschkenbaum" oder "Untersuchung
an Mädeln" Furore gemacht hatte, missverständlicherweise als neuer
Herzmanovsky-Orlando
gefeiert und schließlich wieder vergessen worden war. Doch nun brachte die infolge
des "Büchnerpreises" einsetzende Drach-Renaissance die entscheidende Wende. Eine
neue Generation von Lesern und Kritikern entdeckte in dem mittlerweile 86-Jährigen,
den das "Times Literary Supplement" bereits 1968 in einem Atemzug mit
Elias
Canetti zu den "bedeutendsten Avantgardisten deutscher Zunge" gezählt hatte,
einen der originellsten und radikalsten Schriftsteller nach 1945.
1988 nimmt Eva Schobel ihre kontinuierlichen Gespräche mit dem Autor auf und trifft
auf einen nach wie vor wütenden, aber auch weisen Mann, der das Österreich der
Zweiten Republik, die Gegenwartsliteratur, aber auch sein eigenes Leben und Schaffen
mit provokanter Schärfe beurteilt. (Residenz Verlag)
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